Wer Medizin studiert wird Arzt - oder doch nicht? Immer mehr Studenten entscheiden sich nach ihrem Abschluss gegen die Arbeit in einer Klinik. Mögliche Gründe hierfür sind in den Arbeitsbedinungen für junge Ärzte zu suchen.
Der klassische Weg, der vom Medizinstudium direkt in die Klinik führt, wird heutzutage immer häufiger verlassen. Warum ist das so? Und wohin gehen all die frisch ausgebildeten Mediziner, die dann in den Kliniken fehlen?
Sicher ist, dass die wenigsten Medizinstudenten ihr Studium mit dem Ziel beginnen, einmal „fachfremd“, also zum Beispiel in der Industrie, zu arbeiten. Die große Mehrzahl der Studenten träumt eher davon, später einmal im Kittel von einem Patienten zum nächsten zu gehen, Krankheiten zu heilen und zu helfen. In einer Umfrage der hessischen Landesärztekammer waren die drei häufigsten Gründe für das Medizinstudium wissenschaftliches/medizinisches Interesse, die Aussicht auf eine interessante, vielseitige Tätigkeit und der Umgang mit Menschen. Und all das bietet eine Arbeitsstelle in der Klinik. Wo also liegt das Problem?
Liegt es an der Bezahlung?
Bei der Vergütung von Klinikärzten und -ärztinnen hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Seit der Marburger Bund im Jahre 2005 die Verhandlungsgemeinschaft mit Verdi aufkündigte und sich weigerte, den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst zu unterschreiben, führt der Marburger Bund eigenständig Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern. Durch den zunehmenden Druck und den Ärztemangel zahlen inzwischen auch viele Häuser, die nicht primär mit dem Marburger Bund Verträge abschließen (zum Beispiel kirchliche Häuser) arztspezifische Gehälter, die sich an die Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes angleichen. Die finanziellen Aussichten alleine können also das Phänomen des Ärztemangels in den Kliniken nicht erklären.
Oder liegt es an den Arbeitsbedingungen?
Während des Studiums und insbesondere im Praktischen Jahr bekommt man als Student Einblicke in den Alltag als Klinikarzt bzw. -ärztin. Nicht selten soll der praktische Unterricht von überarbeiteten, müden Ärzten übernommen werden, die nebenbei noch eine Station zu versorgen haben. Das macht einfach keinen guten Eindruck und wenig Lust, möglichst bald in den Arbeitsalltag einer Klinik einzusteigen. Eine Umfrage des Marburger Bundes ergab 2007, dass rund 37% aller befragten Ärzte ihre Arbeitsbedingungen als "schlecht" und rund 10% sie sogar als "sehr schlecht" einschätzen. Gut jeder zweite befragte Krankenhausarzt ist demnach mit seinen Arbeitsbedingungen unzufrieden. Des Weiteren geben 71% der Mediziner an, ihr Arbeitgeber biete keine ausreichenden Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Trotz dieser ungünstigen Einschätzung der Kliniken entscheidet sich immer noch der Großteil der Absolventen für eine Arbeit in der Klinik. Die klinische Tätigkeit ist schließlich das, wofür man ausgebildet wurde, und das Behandeln von Patienten das, wovon man schon als Student geträumt hat. Arbeiten in der Klinik ist spannend und abwechslungsreich. Bis zu einem gewissen Maße gehören Überstunden, Wochenend- und Nachtdienste sicherlich zur medizinischen Ausbildung dazu und werden auch gerne in Kauf genommen. Sicherlich gibt es zudem auch viele Kollegen in der Klinik, die ihrer Arbeit unter guten Bedingungen nachgehen können und mit ihrer Stelle zufrieden sind.
Die Alternative
Um einen Berufsstart unter (möglicherweise) schlechten Arbeitsbedingungen zu vermeiden, entschließen sich einige junge Ärzte für eine Anstellung in der Industrie, zum Beispiel bei einem Pharmakonzern oder einem Medizintechnik-Hersteller. Hier locken geregelte Arbeitszeiten, ruhige Nächte im eigenen Bett und freie Wochenenden. Die Aufgabenbereiche für Ärzte sind breit gestreut und kreatives Denken und Arbeiten sind gefragt. Insbesondere Mediziner mit Zusatzqualifikationen auf den Gebieten Informatik oder Physik werden gesucht, aber auch Ärzte mit Interesse an Forschung und Wissenschaft können hier möglicherweise ihre Stelle finden.
In der pharmazeutischen Industrie zum Beispiel kann man an der Entwicklung neuer Arzneimittel arbeiten. In allen Stadien des Entwicklungsprozesses ergeben sich ganz unterschiedliche Betätigungsfelder für Ärzte: in der Grundlagenforschung, der klinischen Prüfung, der Arzneimittelsicherheit und der Markteinführung. Bei Herstellern medizinischer Geräte können Ärzte in den Bereichen Entwicklung, Marketing und Vertrieb, klinische Forschung und Studienbetreuung sowie Schulungen und produktbezogenes Training arbeiten. Man muss allerdings bereit sein, Kittel und Stethoskop an den Nagel zu hängen, denn Patienten wird man hier nicht behandeln.
Fazit
Abschließend lässt sich also wohl sagen, dass die klassische Tätigkeit in der Klinik trotz interessanter Alternativen nach wie vor die meisten Studenten und Absolventen zu fesseln vermag. Der Beruf des Arztes verliert kaum an Anziehungskraft und ist nach wie vor die am häufigsten angestrebte Arbeitsstelle von jungen Medizinern.