Dermatologen können von den USA lernen: Als einen ersten Erfolg des neuen Gesundheitssystems feiern die „Archives of Dermatology“ die Einführung der Online-Sprechstunde. Doch anders als bei reinen Onlineberatungen in Europa zeigen sich Amerikaner pragmatisch.
Das Massachusetts General Hospital in Boston ist eine renommierte Adresse. Was das älteste und größte Lehrkrankenhaus der Medizinischen Fakultät der Harvard University herausfindet und publiziert, hat Gewicht. 500 Millionen US-Dollar umfasst das Forschungsbudget der Institution, kein anderes Krankenhaus der Vereinigten Staaten verfügt über so viel Geld.
Einen winzigen Teil dieser Summe investierten Mediziner um Alice J. Watson nun in die Erforschung der Online-Therapie von Akne. 121 Patienten, die das Hospital aussuchte, dienten als Probanden in einem zunächst skurril wirkenden Projekt. 74 der Patienten, denen vor dem Erstbesuch beim Arzt milde Akne zusetzte, verzichteten im Dienste der Wissenschaft freiwillig auf das persönliche Aufsuchen des Arztes. Stattdessen verpflichteten sie sich, über eine eigens dazu erschaffene e-Plattform des Krankenhauses im Intervall von jeweils sechs Wochen Bilder der zu Hause behandelten Hautpartien zu stellen. Am anderen Ende der virtuellen Sprechstunde sahen sich Dermatologen die Aufnahmen nach entsprechendem Upload an – und stellten die weitere Therapieempfehlung samt Arzneimittelverschreibung in den gesicherten Bereich des medizinischen Secure Web.
Die Ergebnisse sind erstaunlich. Denn nahezu alle "E-Visiten" nach der eigentlichen Behandlung führten zum gleichen Outcome der Therapie wie der wiederholte reale Besuch beim Arzt. Zudem zeigten sich die Patienten auf Grund der massiven Zeitersparnis wesentlich zufriedener mit der Therapie. Zwar ließ sich für die teilnehmenden Dermatologen kein signifikanter Zeitgewinn feststellen, die e-Visite schlug pro Sitzung mit vier Minuten und acht Sekunden zu Buche, während der Praxisbesuch im Schnitt auch nur 14 Sekunden länger dauerte. Doch konnten die Ärzte ihre Zeit besser einteilen – und lieferten Hinweise auf einen vollkommen neuen Aspekt der Diagnostik.
Digitale Bilder, so hat es Watson zufolge den Anschein, reichen in Verbindung mit digitalen Zusatzinfos des Patienten womöglich als Grundlage der Nachbehandlung aus. Der Wegfall des Smalltalks scheint zudem mit einer objektiveren Schilderung der Beschwerden durch den Patienten einherzugehen, was letztendlich dem Arzt die Therapie-Entscheidung erleichtert.
Gezwitscher statt Wartezimmer
Der Mausklick gegen Pickel kommt nicht von ungefähr und belegt einen neuen Trend. Während Europa in erster Linie auf nur aufwändig umsetzbare e-Health Lösungen setzt, praktizieren die US-Amerikaner eine pragmatische, virtuelle Offensive. Das Fachblatt Telemedicine and e-Health beispielsweise berichtete im vergangenen Jahr über die Einsatzmöglichkeiten von Twitter. Mittlerweile informiert das staatliche US Centers of Disease Control and Prevention (CDC) über eigene Tweets Ärzte und Patienten, hierzulande weiß hingegen manche Behörde im Gesundheitsbereich kaum etwas mit PING, Tweets oder Co Tweet und Seesmic anzufangen. Amerikanische Arztpraxen wiederum nutzen die virtuelle Power des Web – deutsche Sprechstundenhilfen zwitschern dagegen höchstens nach Feierabend über medizinisch belanglose Dinge. „Twitter ist eine Methode der Massenkommunikation“, erklärt jedoch Joseph C. Kvedar, Direktor des Center for Connected Health in Boston und betont dabei den größten Vorteil solcher Dienste für den praktizierenden Arzt: Die Infos kommen in Echtzeit daher.
Zudem ebnet Barack Obamas Gesundheitsreform den Weg zu noch mehr e-Visiten. Denn was bislang lediglich gut betuchten Bürgern zu Gute kam, dürfen nun auch Millionen Neuversicherte des Medicare Systems erfahren: Mitunter sind Therapien in den eigenen vier Wänden ebenso effektiv wie in der Arztpraxis. Ärzte müssen aber mit einem ernstzunehmenden Risiko rechnen: Die meisten e-Health Plattformen ließen sich auch als mobile Applikationen fürs Handy verbreiten – die Aknebilder des Patienten verfolgten, schlimmstenfalls, den Arzt auch noch nach Feierabend.