Wer sich regelmäßig auf die Sonnenbank begibt, setzt sich der Suchtgefahr aus. Zu der Erkenntnis kommen US-Wissenschaftlerinnen. Fast vierzig Prozent der Solariumsbesucher erfüllten klassische Kriterien einer Suchtkrankheit. UV-Süchtige neigten zudem vermehrt zu Substanzabhängigkeit und Angstzuständen. Das könnte erklären, weshalb Warnungen vor erhöhtem Hautkrebsrisiko oft ungehört verhallen.
Für ihre Untersuchung rekrutierten die New Yorker Wissenschaftlerinnen 421 Studenten einer großen Universität im Nordwesten der USA – 229 von ihnen besuchten regelmäßig Sonnenstudios, im Durchschnitt 23mal jährlich. Sie wurden von September bis Dezember 2006 mittels zweier modifizierter Testverfahren befragt, die sonst zur Diagnose von Alkohol- und Substanzabhängigkeit im Einsatz sind: Zum einen der CAGE-Fragebogen, kurz für Cut down, Annoyed, Guilty, Eye-opener und zum anderen das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-TR). Darüber hinaus beantworteten die Studienteilnehmer Fragen zu Angst- und Depressionssymptomen sowie zum Konsum von Alkohol und anderen Suchtmitteln wie unter anderem Marihuana. Was die Studienleiterinnen Dr. Catherine E. Mosher vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center und Dr. Sharon Danoff-Burg von der University of Albany dann bei der Auswertung ihrer Daten feststellten, bestätigte eine länger gehegte Vermutung: UV-Licht kann süchtig machen.
Klarer Fall von Tanorexie
Bereits vor einigen Jahren gaben eine Reihe von Publikationen Hinweise auf eine Abhängigkeit von UV-Strahlung. Dabei wurden Entzugserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Tremor beschrieben, sobald Solarienfans einmal für längere Zeit nicht in Sonnenstudios gegangen waren. Die aktuellen Ergebnisse der beiden US-Psychologinnen decken sich mit den damaligen Beobachtungen: Rund vier von zehn der von ihnen befragten Sonnenbankgänger zeigten mehrere deutliche Anzeichen einer Suchterkrankung. Kurz, sie entpuppten sich als klare Fälle von Tanorexie – wie der wissenschaftliche Terminus für UV-Sucht lautet. »39,9 Prozent der 229 Solariumsnutzer erfüllten die Kriterien des DSM-IV-TR-Tests«, so Dr. Mosher. 30,6 Prozent wiesen in der CAGE-Befragung sämtliche Symptome von Suchtverhalten auf. Bei diesen »UV-Junkies« fand sich nach den Worten von Dr. Danoff-Burg auch ein höherer Konsum von Alkohol, Marihuana und anderen Drogen. Zudem litten die Tanorexie-Patienten öfter unter Angstsymptomen als ihre Kommilitonen: »Die Rate moderater bis schwerer Angstzustände war nahezu doppelt so hoch«, so Dr. Danoff-Burg. Depressive Verstimmungen waren indessen nicht mit Tanorexie assoziiert.
Was laut Dr. Mosher ebenfalls für das Abhängigkeitspotenzial von Solarien spricht, sind Schuldgefühle und gescheiterte Versuche, das Suchtverhalten zu beenden: »78 Prozent der UV-Süchtigen hatten bereits ohne Erfolg versucht, auf den Gang ins Sonnenstudio zu verzichten und gaben an, sich nach dem Sonnen schuldig zu fühlen«. Ein weiteres Indiz für die Suchtgefahr ist laut den New Yorker Psychologinnen, dass es den UV-Abhängigen keineswegs nur um ein besseres Aussehen dank des gebräunten Teints geht. Vielmehr nutzen sie Solarien nach eigenen Angaben ganz gezielt zur Stimmungsaufhellung und zur Förderung sozialer Kontakte.
Besser drauf mit UV
Dafür, dass UV-Strahlen ein Suchtpotenzial bergen, gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Nach den Worten von Dr. Mosher könnte die Abhängigkeitsgefahr auf vergleichbaren Mechanismen wie bei Substanzabhängigkeit basieren – »auf ähnliche Prozesse im Gehirn, die jeweils der besseren Bewältigung von Emotionen dienen«. Demnach würde der exzessive Solarienbesuch eine Coping-Strategie darstellen, die den Umgang mit Stress, Konflikten, negativen Empfindungen und deprimierenden Erlebnissen erleichtern soll. Menschen mit psychischen Störungen nutzen die Kunstsonne mithin zur Besserung ihrer emotionalen Befindlichkeit.
Abgesehen davon ist erwiesen, dass UV-Strahlung die Bildung von Endorphinen anregt. Und die körpereigenen Opioide steigern bekanntlich die Gemütsverfassung und entspannen: »Sonnen vermittelt ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit«, bestätigt Prof. Dr. Steven Feldman vom Institut für Dermatologie an der New Yorker Wake Forest University Winston-Salem. Was allerdings nicht einzig auf die Wärme zurückzuführen ist, wie Prof. Feldman in eigenen Studien nachgewiesen hat. Unter anderem stellte sich heraus, dass Anbeter von UV-Licht – ob aus natürlicher oder künstlicher Quelle – ebensolche Entzugserscheinungen entwickeln wie nach der Gabe des Opioidantagonisten Naltrexon. Doch Verstimmungen und psychische Beschwerden im Solarium zu »kurieren«, das kann es nicht sein. Hier gehen Dr. Mosher und Dr. Danoff-Burg konform mit den Ansichten der WHO und der Food and Drug Administration.
Diese haben Solarien im letzten Jahr statt »möglicherweise karzinogen« inzwischen das Etikett »karzinogen für Menschen« angeheftet. »Unsere Ergebnisse zeigen«, so Dr. Mosher »dass diejenigen, die sich das ganze Jahr über regelmäßig und intensiv der UV-Strahlung aussetzen, auf psychische Störungen untersucht werden sollten«. Besteht tatsächlich eine derartige Erkrankung, kann eine adäquate Therapie eingeleitet werden. Dies, so die Psychologinnen aus New York, wäre wesentlich sinnvoller – nicht nur im Hinblick auf die Verringerung des Hautkrebsrisikos.