Forscher entschlüsselten eine molekulare Signalkaskade, die bei Atherosklerose die Entstehung der verhängnisvollen Gefäßwand-Ablagerungen fördert. Der Eingriff in den Mechanismus könnte den Weg zu einer selektiven Therapie der Erkrankung frei machen.
Bereits beim Säugling setzt das verhängnisvolle Wechselspiel zwischen Blutzellen und den Gefäßwänden ein, das bei vielen Erwachsenen zur Ausbildung einer Atherosklerose führt: Unentwegt prallen im Blutkreislauf jedes Menschen Zellen gegen die Endothelschicht, die die Gefäße an ihrer Innenseite auskleidet. Vor allem an den exponierten Stellen des Blutkreislaufs, dort wo sich die Gefäße krümmen oder aufgabeln, wirken die Schwerkräfte besonders stark und fügen der Gefäßwand immer wieder kleinste Verletzungen zu.
Im Lauf des Lebens summieren sich die Schäden und die Gefäße entzünden sich immer mehr. In den Gefäßwänden entstehen so genannte Plaques – Ablagerungen, die sich aus Blutfetten und Entzündungszellen zusammensetzen. Sie führen dazu, dass sich die Gefäße verengen und ihre Elastizität verlieren. Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen oder Diabetes beschleunigen die Bildung der Plaques. Gefährlich wird es besonders dann, wenn die Plaques aufbrechen und durch die anschließende Thrombenbildung Gefäße verschlossen werden. Sind davon Arterien betroffen, die unmittelbar zum Herz oder Gehirn führen, drohen Infarkt beziehungsweise Schlaganfall.
Volkskrankheit Nummer 1
Seit langem ist die Atherosklerose die führende Todesursache in den Industrieländern. Weltweit suchen Wissenschaftler deshalb nach besseren Therapien der Volkskrankheit. Ein niederländisch-deutsches Forscherteam hat nun einen Therapieansatz entdeckt, der dazu beitragen könnte, zukünftig die Erkrankung effizienter als bisher zu behandeln. Wie Prof. Esther Lutgens von der Universität Maastricht und Prof. Christian Weber von der Technischen Hochschule Aachen im Fachblatt Journal of Experimental Medicine berichten, könnte eine Hemmung der Verbindung CD40-TRAF6 bewirken, dass die Atherosklerose weniger schnell voranschreitet und schon bestehende Plaques sich stabilisieren.
Die Forscher kamen dem neuen Mechanismus auf die Schliche, als sie in Mäusen, die an Atherosklerose litten, verschiedene Funktionen der daran beteiligten Immunzellen genauer untersuchten. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Immunsystem eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielt. In einer früheren Arbeit konnte Lutgens zeigen, dass das Rezeptor-Molekül CD40L, das auf der Oberfläche von T-Lymphozyten sitzt, das Wachstum der Plaques fördert. Es lagert sich an seinen Gegenpart CD40 an, einem anderen Rezeptor-Molekül, das bevorzugt auf Makrophagen und B-Lymphozyten vorkommt.
Gefahr von Nebenwirkungen
Die Wechselwirkung zwischen CD40 und CD40L dient als Kommunikationssignal, um die verschiedenen Immunzellen bei der Entzündungsreaktion besser zu koordinieren. „Wenn man CD40L blockiert, kann man die Entzündung abbremsen“, erklärt Lutgens. „Die Plaques wachsen nicht mehr und brechen auch nicht mehr so schnell auf.“ Doch die Hemmung des Moleküls hat ihren Preis: Denn das CD40/CD40L-System, so die Medizinerin, sei wichtig für eine Vielzahl von Immunreaktionen. „Schaltet man das System aus, hat das zur Folge, dass zum Beispiel Immunzellen nicht mehr ausreichend aktiviert werden, um gegen pathogene Keime vorgehen zu können.“
Lutgens und ihr Team wollten deswegen einen Weg finden, der es ermöglicht, selektiver in das CD40/CD40L-System einzugreifen. Die Wissenschaftler wussten schon, dass dieses System seine Funktionen über verschiedene Adaptermoleküle ausübt, die sich an unterschiedlichen Bindungsstellen von CD40 anlagern. Ihre Idee war es nun, jeweils ein Adaptermolekül zu hemmen und dann zu schauen, ob sich das Wachstum des Plaques verringert, ohne das andere Funktionen des Immunsystem unterdrückt werden. „Wir wollten dadurch nur das atherosklerotisch veränderte Gewebe unempfindlich gegen CD40/CD40L machen, so dass das Molekülpaar in anderen Zellen weiterhin seine übrigen Aufgaben erfüllen konnte“, sagt Lutgens.
Molekularer Adapter vermittelt spezifische Wirkung
Die dafür nötigen Untersuchungen nahmen sie an speziell gezüchteten Mäusen vor, die schon im Alter von zehn Wochen an Atherosklerose erkrankten. Mit Hilfe von gentechnischen Methoden veränderten die Wissenschaftler nun die einzelnen Adaptermoleküle, so dass sie nicht mehr an CD40 anlagern konnten. Dabei zeigte sich, dass vor allem dann das Wachstum der Plaques gefördert wird, wenn das Adaptermolekül TRAF6 an CD40 andocken kann. „Als wir die Gene von TRAF6 und CD40 so veränderten, dass keine Bindung zwischen ihnen mehr zustande kam, erkrankten die derart manipulierten Mäusen auch nach sechs Monaten nicht nennenswert an Atherosklerose“, berichtet die Medizinerin.
Auch andere Experten überzeugt der neue Therapieansatz: „Der Charme von Lutgens Experimenten liegt darin, das sie den Beweis liefern, dass man gezielt in den CD40/CD40L-Signalweg eingreifen kann, ohne viele Nebenwirkungen zu befürchten“, sagt Prof. Klaus T. Preissner, Direktor des Instituts für Biochemie der Universität Gießen. „Therapeutisch ließen sich die neuen Erkenntnisse am besten umsetzen, wenn man einen Wirkstoff entwickeln würde, der die Bindung von TRAF6 an CD40 verhindert.“ Lutgens und ihre Mitarbeiter haben sich mittlerweile auf die Suche nach einer solchen Substanz begeben: „Wir entwerfen gerade am Computer Moleküle, die den Bindungsplatz von TRAF6 blockieren und wollen dann im Reagenzglas testen, ob sie das auch in echt tun“, sagt Lutgens.
Weitere Tierversuche erforderlich
Aber selbst wenn die Forscher ein solches Molekül tatsächlich in den Händen halten sollten, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis es als Medikament bei Atherosklerose-Patienten zum Einsatz kommen könnte. Denn noch ist unklar, ob sich die Ergebnisse von Lutgens Untersuchungen eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen: „Auch wenn die von Lutgens verwendeten Mäuse ein gutes Modell für Atherosklerose darstellen, so haben die Tiere doch einen deutlich kürzeren Lebenszyklus und Gefäßveränderungen treten viel schneller als beim Menschen auf“, sagt Prof. Steffen Maßberg, Oberarzt der Interventionellen Kardiologie an der Technischen Universität München. „Bevor wir deshalb Substanzen, die bei der Maus einen positiven Effekt auf atherosklerotische Veränderungen haben, beim Menschen testen, müssen wir zuerst schauen, ob sie auch bei größeren Tieren wie Kaninchen oder Schweinen die gleiche Wirkung zeigen.“