Famulatur mal anders: Stella reist nach Afrika, um dort ihre Famulatur in einem beninischen Krankenhaus zu absolvieren. In der Hitze Afrikas entbindet sie Kinder zusammen mit multitaskenden Ärzten und tanzenden Krankenschwestern.
Wenn ich erzählt habe, dass ich einen Französisch-Sprachkurs belege, weil ich eine Famulatur in Benin mache, wurde ich meistens schräg angeschaut: "Wozu brauchst Du denn in BERLIN bitte FRANZÖSISCH?!" – Nein, habe ich dann geduldig gesagt, nicht BeRLin sondern BeNin. Dann waren die meisten still, da sie – genauso wie ich bis vor kurzem – noch nie von einem Fleckchen namens Benin gehört hatten. Zur Vorbereitung las ich also brav den einzigen Reiseführer, der über das kleine Land an der Küste Westafrikas zwischen Togo und Nigeria, existiert – den Petit Futé – und wartete gespannt auf das Semesterende, wenn es endlich losgehen sollte nach Afrika.
Als ich dann Anfang März tatsächlich in Benins größter Stadt Cotonou ankam, dachte ich als erstes an einen Satz, den ich über die Stadt gelesen hatte: "Cotonou ist wie mit einem kettenrauchenden Psychopathen in einem Auto ohne Türgriffe und Fensterheber eingesperrt zu sein." Dem kann ich nicht widersprechen – aber das ist nicht der einzige Eindruck, den ich während meiner vierwöchigen Famulatur im "Hopital pour la Mère et l’Enfant Lagune" (HOMEL) gewinnen konnte.
Der Alltag
Ich wohnte während meines Aufenthalts bei einer beninischen Familie, die mich so herzlich aufnahm, als ob ich eines ihrer fünf Kinder wäre. Sie bemühten sich wirklich sehr, mir einen (ihrer Meinung nach) möglichst westlichen Lebensstil zu bieten – was seinen Ausdruck beispielsweise in Abendessen wie "Würstchen in Tomatensauce mit kleingeschnittenen Spaghetti" fand.
Den Weg zur Klinik sollte ich eigentlich mit dem "Zemijohn" zurücklegen: einem der Motoradtaxis, die dort zu hunderten kamikazemäßig durch die teilweise ungepflasterten und schlagloch-übersähten Straßen schießen und nicht unwesentlich zur unbeschreiblich dicken Luft in der Stadt beitragen. Da ich der Meinung war, dass die Fahrt mit einem solchen Gefährt ungefähr genauso lebensbejahend ist, wie vom Berliner Fernsehturm zu springen, beschloss ich, es nicht zu tun. Die Alternative war allerdings nicht unbedingt weniger suizidal – ein Sammeltaxi, dessen Scheiben genauso blind waren wie der staräugige Fahrer. Auf den Fahrten lernte ich aber viele neue Verkehrsregeln kennen. Unter anderem, dass die Hupe wesentlich wichtiger ist als die Bremse, und dass in einen Peugeot mindestens sieben Leute (plus Fahrer) passen.
Ich trotzte also allen Gefahren des beninischen Verkehrs und schaffte es heil in die Klinik. An meinem ersten Tag wurde ich nach einer sehr formellen Begrüßung durch den Direktor zunächst in die "CPN" (Consultation Prenatal) eingeteilt. Die Sprechstunde übernehmen dort vorwiegend Hebammen. Sie haben hier im Grunde genommen den Status eines Arztes – was auch nicht verwunderlich ist bei durchschnittlich 5,9 Geburten pro Frau. Ich durfte gleich recht viel übernehmen und konnte ein bisschen Routine mit dem Spekulum, der vaginalen und intrauterinen Untersuchung, der Brustkrebsvorsorge und dem Umgang mit Hörrohren zur Beurteilung des fetalen Herzschlages entwickeln. Positiv überrascht hat mich das Angebot an Präventionsmaßnahmen: Schwangeren Frauen wird beispielsweise vom Gesundheitsministerium kostenlos ein Moskitonetz zur Verfügung gestellt – im Rahmen der Malariabekämpfung (französisch "Paludisme"). Leider können sich viele Frauen, die von der Erkrankung betroffen sind, trotz staatlicher Subventionierung oft eine Behandlung nicht leisten, was häufig zu Spontanaborten oder fetaler Hypotrophie führen kann – schlimmstenfalls zum Tod von Mutter und Kind. Daher ist es umso wichtiger, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen.
Eine etwas andere Geburt
Es ist Mittwochvormittag, eine Patientin mit Kardiomyopathie (vermutlich in Folge wiederholter Malariainfektionen) kommt in die Sprechstunde: 40. SSW, das Baby muss raus. Die Entscheidung fällt schnell: Kaiserschnitt. Ich begleite die Patientin zur OP-Vorbereitung: nadellegen, rasieren, katheterisieren. Dann ab in den "Bloc-operatoire". Fünf Anästhesisten scharen sich um die Frau. "Madame, ça va? Jetzt einen Buckel machen und nicht bewegen!" Die PDA ist schnell erledigt. Währenddessen machen die beiden Chirurgen den OP-Bereich und sich selbst "steril". Sie tragen lustige Plastikgamaschen an den Füßen, die bis zu den Knien reichen und ich frage mich, ob sie wohl öfters so tief im Blut waten müssen?
Die Patientin ist jetzt bereit – der dicke Bauch wird gründlich desinfiziert – das bringt das Baby drinnen ordentlich zum Strampeln. Dann der erste Schnitt – "Madame, ça va?" Ja, gut gehe es ihr, aber es sei ein wenig kalt – ob man nicht die Klimaanlage runterstellen könne? Alle stöhnen – vor allem die Chirurgen unter Ihren Masken – bei 39 Grad draußen wird der OP schnell zur Grillstation. Aber die Patientin soll natürlich nicht frieren. Ein Assistent schlurft in seinen (natürlich sterilen…) Flip-Flops zur Steuerung. Stellt von 21 auf 25 Grad. Zu meiner Genugtuung stelle ich fest, dass nicht nur mir das Wasser runter läuft. Jetzt aber weiter.
Noch ein Schnitt, ein bisschen stumpfe Präparation und der Bauch ist offen. Und auch die Tür zum OP. Ein Mann steht im Saal: "Gehört hier irgendjemandem ein grüner Peugeot? Der blockiert die Einfahrt zur Nothilfe… Nein? Na gut." Und weg ist er. Also weiter - der Uterus wird eröffnet und "mähhhhhh" strampelt auch schon das Kleine in den Händen des Chirurgen – das ging schnell. Kurz wird es der Mutter gezeigt, dann der Hebamme auf einem Tablett mitgegeben. Dann auf einmal ein rhythmischer Salsabeat – die OP-Schwester schwingt die ausladenden Hüften – es ist das Handy des Chirurgen. Die Schwester greift ihm in die Tasche und hält ihm das (sicherlich sterile…) Gerät ans Ohr: "Oui – na, dann schnell in die Gyn-Ambulanz und dort sehen wir weiter – bin gleich da – muss nur noch zumachen hier". Telefonsprechstunde rund um die Uhr… das machen hier alle Ärzte so.
Jetzt nur noch Zunähen...
Dann macht sich der Arzt ans Zunähen. Aber es dauert nicht lange, bis sein zweites Handy klingelt (man hat für jedes der vier Netze ein Gerät). Auf Fon (dem hiesigen Dialekt) lamentiert er gestikulierend ins (unglaublich sterile) Telefon – der resorbierbare Faden spannt sich bedenklich im Unterhautfettgewebe der Patientin als der Arzt in einer temperamentvollen Geste aus Versehen daran zieht. So, Gespräch beendet (diesmal ein privates) – jetzt aber fertigmachen. Während dem Nähen der Bauchdecke kommt er allerdings wieder in Rage: über die beninische Politik, die bevorstehenden Wahlen, die schlechten Arbeitsbedingungen für medizinisches Personal, zu viel Arbeit, zu wenig Leute, zu wenig Geld… Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Im Affekt will er fast den Nadelhalter hinwerfen als ihm seine Patientin wieder einfällt. So, jetzt aber zumachen. "Tupfer? … Halloooo … Tupfer?" Ich schaue mich um… der OP-Assistent ist eingeschlafen. Hm, also reiche ich dem Chirurgen ein paar (selbstverständlich sterile…) Tupfer an. Der Verband wird aufgelegt und die Patientin zum Verlegen umgebettet. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Sie freut sich jetzt auf ihr Baby, das sie "Hapiness" nennen will (ja, genau so geschrieben). Zusätzlich bekommt es noch den Namen, der traditionell für den Tag vergeben wird, an dem es geboren wurde: "Kokou" für den Mittwoch.
Abschied von HOMEL
Solche und ähnliche Erlebnisse durfte ich zahlreiche machen, ich habe mein erstes Baby entbunden und mein erstes Baby reanimiert – mit Erfolg Gott sei Dank. Die Zeit in HOMEL war vieles - interessant, schön, schrecklich, schockierend, lehrreich, frustrierend, spannend. Nur eins war sie nicht: langweilig. Und auch wenn ich nach wie keine Gynäkologin werden möchte, hat dieses Fach ab sofort doch einen ganz besonderen Platz in meinem beniner Medizinerherz.
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