Babys, die vor der 22. Schwangerschaftswoche geboren werden, haben bislang kaum Überlebenschancen. Neonatologen stellen nun ein System vor, mit dem die Entwicklung von zu früh geborenen Lämmern in einem „Beutel“ fortgesetzt werden konnte.
Bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von weniger als 22 Schwangerschaftswochen (SSW) bestehen laut Leitlinie „derzeit bis auf Einzelfälle keine reellen Möglichkeiten, diese Kinder am Leben zu halten.“ Experten stufen medizinische Maßnahmen als „aussichtslos“ ein. In der 23. SSW können Kinder „zum Teil mit erheblicher Morbidität überleben, ohne dass Aussagen zum Langzeitverlauf möglich sind“. Erst ab der 24. SSW gelten die Überlebenschancen als so hoch, dass „im Regelfall eine lebenserhaltende Therapie anzustreben ist“. Ab der 28. SSW sinkt das Risiko gesundheitlicher Schäden erheblich. Emily A. Partridge vom Children’s Hospital in Philadelphia sucht nach Mitteln und Wegen, um wenigstens einige Wochen im kritischen Zeitraum zu überbrücken.
Zusammen mit Kollegen hat die Forscherin eine „künstliche Plazenta“ entwickelt und ihr System im Tierexperiment getestet. Schematischer Versuchsaufbau © Children's Hospital Philadelphia Zu diesem Zweck wurden acht Lämmer nach 105–120 Tage per Kaiserschnitt der Gebärmutter entnommen. Eine Trächtigkeit beim Schaf dauert eigentlich 145 Tage. Der gewählte Zeitraum entspricht Partridge zufolge der 22. bis 24. SSW des Menschen. Sofort nach der Entbindung wurde die Nabelschnur über Kanülen an eine künstliche Plazenta angeschlossen und die Tiere wurden in einen „Biobag“ eingehüllt. Das von den Forschern entwickelte System übernahm Aufgaben rund um den Gaswechsel und die Versorgung mit Nährstoffen. Im Kunststoffbeutel befand sich künstliches Fruchtwasser, das ständig erneuert wurde. Wie im Mutterleib kann der Fötus das Fruchtwasser schlucken. Ein externes System zum Gaswechsel entfernte Kohlendioxid aus dem Blut und setzte Sauerstoff zu. Angetrieben wurde diese Blutwäsche nicht von einer Pumpe, sondern ausschließlich vom Herz des Fötus. Selbst ein geringer künstlicher Druck könnte das vergleichsweise empfindliche Herz des Tiers überfordern und zu irreversiblen Schäden führen, schreiben die Forscher. Innerhalb von vier Wochen entwickelten sich die Lämmer trotz einiger Komplikationen altersgerecht. Ihr Fell wuchs und der Schlaf-Wach-Rhythmus setzte ein. Schäden am Gehirn oder Herzen stellte Partridge nicht fest. Links: Ein Lamm am Tag 107 der Gestation und am Tag 4 des künstlichen Heranwachsens. Rechts: Das gleiche Lamm nach 28 Tagen im Biobag. © Children's Hospital Philadelphia
„Ich halte dieses System zunächst einmal für eine bahnbrechende technologische Meisterleistung: ein extrakorporaler Kreislauf mit so wenig Strömungswiderstand, dass keine zusätzliche Pumpe benötigt wird, mit Heparin-beschichteten Oberflächen, die die Notwendigkeit einer Blutverdünnung reduzieren, sowie eine sterile Kunststoffhülle, die den Fetus vor Umwelteinflüssen schützt.“ Zu dieser Bewertung kommt Professor Dr. Ulrich H. Thome, er ist Leiter der Selbständigen Abteilung Neonatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Der Experte spricht von Schwierigkeiten bei der Übertragung auf den Menschen. Zu frühgeborene Babys hätten häufig Hirnblutungen. Diese Gefahr würde im Biobag ansteigen, da erhebliche Belastungen des Kreislaufs bei der Umstellung zu erwarten seien.
Die Autoren schlagen als Zielgruppe Frühgeborene zwischen 23 und 25 Schwangerschaftswochen vor. "Diese Frühgeborenen haben jedoch auch heute schon, ohne ‚Biobag’, in Deutschland eine Überlebensrate von 70 bis 90 Prozent", ergänzt Thome. "Aufgrund der zusätzlichen Gefahren in der ‚Biobag’ wäre nicht auszuschließen, dass der Zusatznutzen für diese Kinder insgesamt nicht groß sein wird.“ Insofern sieht er als eigentliche Zielgruppe Frühgeborene vor der 23. Schwangerschaftswoche.
Thome weiter: „Hier gibt es jedoch, wie die Autoren einräumen, mechanische Probleme, da diese Kinder noch kleiner sind und sich die Maschine aufgrund der physikalischen Gesetze nicht beliebig weiter miniaturisieren lässt.“ Außerdem würde das Hirnblutungsrisiko höher sein. Selbst ohne diese Komplikation will er Entwicklungsdefizite nicht ausschließen.
Katrin Klebermass-Schrehof © LinkedIn Pritvatdozentin Dr. Katrin Klebermass-Schrehof, stellvertretende Leiterin der Abteilung Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie an der Medizinischen Universität Wien, ist von der Studie nicht überrascht: „Mit der vorliegenden Arbeit wird ein entscheidender Schritt in diese Richtung denkbar. Die bereits bekannten Probleme der ‚künstlichen Plazenta/Gebärmutter’ bleiben jedoch bestehen.“ Die Lunge dürfe sich nicht mit Luft füllen, sonst sei eine Rückkehr zum fetalen Status nicht mehr möglich. Weitere Herausforderungen sei die Anpassung eines künstlichen Systems an den fetalen Kreislauf, die Simulation endokriner Prozesse der menschlichen Plazenta, die Frage nach optimalen Sauerstoffkonzentrationen und die Vermeidung von Infektionen beziehungsweise Thrombosen. „Somit stellt die vorgestellte Arbeit aus Philadelphia ein Fortschritt in Richtung künstliche Plazenta dar. Dennoch erscheinen vor dem Einsatz auch am Menschen noch weitere Studien notwendig“, resümiert Klebermass-Schrehof.
Partridges Veröffentlichung zieht nicht nur medizinische, sondern auch juristische Fragen nach sich. Laut Embryonenschutzgesetz (ESchG), Paragraph 2, wird bestraft, „wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt“. „Tatobjekt ist allerdings nur ein Embryo, sodass der Schutz der Vorschrift endet, wenn der Embryo das Entwicklungsstadium des Fetus erreicht hat“, relativiert der Medizinrechtsexperte Professor Dr. Jochen Taupitz aus Mannheim. Das sei mit abgeschlossenen Ausbildung der Organanlagen etwa zur achten Schwangerschaftswoche der Fall. „Damit ist die Fetogenese vom Embryonenschutzgesetz nicht verboten. Es gibt im deutschen Recht auch kein anderes Verbot, einen Fetus außerhalb des Mutterleibes weiterzuentwickeln.“ Der Anwendung steht in Deutschland vom Gesetzgeber her also nichts im Wege, sollte die Forschung eines Tages alle offenen Fragen geklärt haben.