Deutschland sucht Ärzte. Doch der Zugang zum Studium ist reglementiert. Oft werden Studienplätze vor Gericht erstritten - zum Leidwesen der Universitäten und nicht immer zielführend für die Studenten, wie ein Fall an der MHH zeigt.
Was war geschehen? Seit 2005 gibt es an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) den medizinischen Modellstudiengang „HannibaL", dessen Ziel es ist, hervorragenden Nachwuchs auszubilden. Pro Jahrgang könnten aufgrund der Patientenzahlen aber nicht mehr als 270 Bewerber aufgenommen werden, sagt der Studiendekan Professor Hermann Haller. Über eine solche Kapazitätsgrenze lässt sich mit der Uni natürlich trefflich streiten, was einige Bewerber 2008/2009 auch getan haben - primär erfolgreich.
Doch vor wenigen Monaten hob das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen das Urteil der ersten Instanz auf - mit dem Ergebnis, dass die betroffenen 32 Studentinnen und Studenten unmittelbar vor Ende des dritten Semesters die Universität verlassen sollten, ohne an den Abschlussprüfungen teilnehmen zu können. Völlig überrascht sahen sich die Studenten plötzlich mit leeren Händen dastehend. Nach einigem medialen Aufsehen, einer Neu-Interpretation des letzten Urteils und nach einem Auftritt der Protagonisten bei „Stern-TV“ haben die MHH und die Studenten jetzt einen Vergleich geschlossen. Die Betroffenen können ihr drittes Semester mit den Prüfungen beenden, müssen dann aber die Universität verlassen - mit den Scheinen in der Tasche und der Hoffnung, sich jetzt mit etwas mehr (oder etwas weniger geringen) Erfolgschancen an anderen Hochschulen bewerben zu können. Für die Studenten ist dies zwar ein Erfolg, aber nur ein Teilerfolg, denn es gibt keine Garantie, dass andere Universitäten die in „Hannibal“ erworbenen Scheine problemlos anerkennen.
Professorale Rache?
Auch für die MHH und ihre Verantwortlichen ist der geschlossene Vergleich wohl nur ein Teilerfolg. Den Studenten wenige Wochen vor Semesterende die Teilnahme an den Prüfungen zu verweigern, war dem Ansehen der Universität kaum förderlich. Auch dann nicht, wenn man die Befürchtung des Dekans ernst nahm, dass eine Zulassung zu den Prüfungen einen Präzedenzfall schaffen könnte. Nicht nur die Studenten und ihr Anwalt, der Frankfurter Jurist Dr. Robert Brehm, sondern selbst neutrale Betrachter konnten kaum den Eindruck unterdrücken, dass hier möglicherweise „kleinliche Rache“ geübt worden sei. Sie hätten immer wieder das Gefühl gehabt, nicht willkommen zu sein, sagte Rebecca Kurz, eine der betroffenen Studentinnen bei „Stern-TV“, eine Aussage, die nicht unglaubwürdig wirkte, etwa angesichts von professoralen Äußerungen, wonach die Studenten mit irgendwelchen „Tricks“ gearbeitet hätten. Auch die Bemerkung des Studiendekans Haller im Fernsehen, dass ihn das Schicksal der 32 Studenten das „Herz bluten“ lasse, überzeugte wahrscheinlich nicht jeden Zuschauer.
Studienplatz per Klage - eine „unselige“ Praxis?
Gleichwohl sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Universitäten und ihre Verantwortlichen in keiner glücklichen Situation sind: Sie wollen und sollen Studenten zu guten Ärzten ausbilden und müssen immer wieder Klagen über zu wenig Betreuung und überfüllte Kurse über sich ergehen lassen. Von der Verantwortung gegenüber Patienten einmal ganz abgesehen. Ein Studienplatz in Medizin ist darüber hinaus nicht gerade preiswert: 30 000 Euro etwa kostet ein Medizinstudium im Jahr - im Vergleich zum Durchschnitt von 7200 Euro. Zum anderen werden die Universitäten seit Jahrzehnten von Gerichten gezwungen, Bewerbern einen Studienplatz zu geben, deren Abiturnote nicht gut genug ist und die auch nicht über die Hürde Auswahlgespräch gekommen sind. Als „unselig“ bezeichnete diese Praxis erst vor wenigen Wochen ein Kommentator in der „Zeit“.
Als besonders gerecht oder fair wird die Option, per Klage einen Studienplatz ergattern zu können, ohnehin nicht immer angesehen. So schreibt etwa ein Heidelberger Medizinstudent in einem Leserbrief zu dem Kommentar: „Ich bin selbst Medizinstudent an der Uni Heidelberg, und mir wäre es im Traum nicht eingefallen, im Falle einer Ablehnung durch die ZVS einen Platz einzuklagen - wahrscheinlich hätte ich es mir auch gar nicht leisten können. Wo leben wir denn, dass man sich einen Studienplatz kaufen kann?“ Und ein anderer Leser ergänzt unter dem Stichwort „Gerechtigkeit“: „Es wäre zu begrüßen, wenn die Praxis des Einklagens unmöglich werden würde. Sie bildet den Gipfel eines Berges sozialer Selektion in unserem Bildungssystem. Wer zum Gymnasium zugelassen wird, wer sein Abitur meistert, wer dann studieren will und eben auch, wer genommen wird, hängt in Deutschland extrem vom Einkommen und der Bildung der Eltern ab.“ Außerdem: Dass von Bewerbern, die an den Hürden Numerus clausus und Auswahlgesprächen gescheitert sind, gerne vorgebrachte Argument, ein Einser-Abitur und ein erfolgreiches Auswahlgespräch seien keine Garanten dafür, dass gute Ärzte die Universitäten verlassen, ist zwar nicht falsch. Aber allein großes Interesse am Arztberuf ist eben auch kein Garant.
Genügend gute Ärzte wollen alle, aber...
Womit die eigentliche Kernfrage eben die ist: Wie kann so gut wie möglich sichergestellt werden, dass nur geeignete Bewerber Medizin studieren und nur gute Ärztinnen und Ärzte die Universitäten verlassen? Und dies auch noch in genügend großer Zahl und natürlich ohne die Patienten, mit und „an“ denen die Studenten lernen sollen, über Gebühr zu belasten. Einen so genannten Königsweg zur Auswahl der Bewerber gibt es nicht. So haben im vergangenen Jahr Wissenschaftler um Professor Wolfgang Hampe von der Universität Hamburg nach einer Analyse vorhandener Daten die Schlussfolgerung gezogen: „Trotz intensiver Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, Verfahren zu entwickeln, die mit hoher Treffsicherheit vorhersagen, ob aus einem Studienbewerber ein guter Arzt wird.“ Relativ klar ist inzwischen: Die Abiturnote ist kein so schlechtes Kriterium wie immer wieder angenommen oder behauptet. Hampe und seine Kollegen fordern daher: „Die Abiturnote sollte und muss einen wesentlichen Anteil an der Auswahlentscheidung haben. Ergänzende studienfachspezifische Tests können die Prognose der Studienleistung und der klinischen Fähigkeiten verbessern. Trotz ihrer geringen prognostischen Validität und des erheblichen Aufwandes können Interviews sinnvoll sein, um die Wertigkeit nichtkognitiver Eigenschaften zu verdeutlichen und die Bindung an die Fakultät zu erhöhen.“
Auch Susanne Schilden von der Pressestelle der Hochschulrektorenkonferenz etwa betont, dass ein guter Notendurchschnitt ein gutes Kriterium dafür sei, ob jemand sein Studium erfolgreich abschließen könne. Daher würden sich viele Universitäten auf diese Auswahlmethode verlassen. Auswertungen von Klausurergebnissen an der Frankfurter Universität haben zum Beispiel ergeben, dass die Abiturbesten ganz oben stehen, gefolgt von den Studenten, die nach speziellen Schulnoten (naturwissenschaftliche Fächer) ausgewählt wurden. Danach kamen die über Sonderleistungen ausgesuchten Studenten, mit denen man ein Auswahlgespräch geführt hatte. Auch die Pharmazeuten in Frankfurt haben laut einem Bericht in der „FAZ“ im vergangenen Jahr ihr Auswahlverfahren wissenschaftlich begleiten lassen und herausgefunden, dass der Studienerfolg hauptsächlich mit der Abiturnote korreliert sei.
Längst seien hingegen Zweifel an der Aussagekraft von Auswahlgesprächen gewachsen. An der Universität Mainz habe man sich schon wieder von Gesprächen abgewandt, hieß es Mitte April in einem Blog-Beitrag in der „FAZ“. Auch Hampe und seine Kollegen stellen das Gespräch als Auswahlmethode in Frage. Und völlig unklar ist, ob die von Philipp Rösler vorgeschlagenen Einführung einer so genannten „Landarzt-Quote“ eine wirkliche Hilfe gegen den angeblichen Mangel an genügend guten Medizinern wäre.