Eine große Skurrilität des deutschen Arzneimittelmarkts wird höchstinstanzlich abgeschafft: Nicht rezeptpflichtige Arzneimittel für Haustiere können Frauchen und Herrchen künftig ganz legal bei deutschen Internetapotheken bestellen. Begründung: Was Baby kann, kann Waldi auch.
Beim Bundesgerichtshof geht es so ähnlich zu wie in der Medizin. Der Patient verlässt ein Krankenhaus und gilt als geheilt. Wenn dann vier Monate später der Arztbrief eintrudelt, der fröhlich beste Gesundheit verkündet, ist der Patient längst wieder wegen eines anderen Leidens stationär. Was der Medizin der Arztbrief, ist dem Bundesgerichtshof die Urteilsbegründung. Nicht selten wird sie erst viele Monate nach der Verhandlung veröffentlicht. Und wenn sie dann vorliegt, fragt sich jeder was daran so lange gedauert haben kann.
Schneckenpost vom BGH
So geschehen Mitte November 2009, als sich der BGH mit einer Klägerin herumschlagen musste, die seit ungefähr Mitte der Nuller Jahre partout nicht einsehen wollte, warum der Beklagte, eine Online-Apotheke, Arzneimittel für Tiere im Internet verkaufen wollte. Die Klägerin hatte in den Vorinstanzen, beim Landgericht Hamburg und beim Oberlandesgericht Hamburg, Recht bekommen: Tierpillen sollen gefälligst in der Offizin bleiben, hieß es. Diese Auffassung ist den Hamburger Richtern Mitte November 2009 vom BGH um die Ohren gepfeffert worden. Es wusste nur niemand, weil die Karlsruher Richter geschlagene fünfeinhalb Monate gebraucht haben, um eine Begründung für ihre Entscheidung nachzuliefern. Diese Begründung liegt jetzt tatsächlich vor, nachzulesen mit Dank bei der Hamburger Anwaltskanzlei Diekmann. Im Namen des Volkes wurden rund 16000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) verfasst. Das sind circa zehn Worte am Tag, wenn man kontinuierliche Arbeit unterstellt. Verglichen damit kommen die Arztbriefe aus einem deutschen Durchschnittskrankenhaus geradezu per Luftpost. Im Ergebnis blicken wir nun also auf eine Urteilsbegründung zu einem Urteil aus dem Vorjahr, mit dem zwei weitere Urteile, die auch schon drei beziehungsweise viereinhalb Jahre zurückliegen, aufgehoben werden. Die Richter in Hamburg, die der Republik das ganze Theater eingebrockt haben, sind vermutlich längst im Ruhestand.
BGH: Tiere sind auch nicht schutzbedürftiger als Kinder
Und was steht nun drin in der Urteilsbegründung, die diverse Online-Versender mittlerweile zu einer Erweiterung ihres Sortiments veranlasst hat? Drin steht, dass die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden. Das im §43 Abs. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) geregelte Verbot des Versandhandels mit Tierarzneimitteln umfasst demnach keine nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel für Haustiere wie Katzen, Hunde, Wellensittich und Co. Es sei schwer nachzuvollziehen, so die Richter in der Urteilsbegründung sinngemäß, warum für Menschen erlaubt sei was bei Tieren verboten ist. Wenn es keinen Anlass zu der Sorge gebe, dass beispielsweise Kinder mit rezeptfreien Medikamenten übermedikalisiert werden, dann sei diese Sorge bei Waldi und Co ja wohl auch übertrieben. Soweit, wie gesagt sinngemäß, der BGH. Nun waren die Richter der Vorinstanzen natürlich auch nicht doof. Sie haben diesen Widerspruch zwischen Kind und Kindersatz durchaus auch erkannt. Die strengere Regelung bei den Tierarzneimitteln hielten sie deswegen für unproblematisch, weil es immer wieder Probleme mit Arzneimittelrückständen in Fleisch gibt, Arzneimitteln also, die irgendwann einmal an Tiere verfüttert wurden. Nachdem Kinder bekanntlich nicht gegessen werden, ist dieses Problem hier weniger gegeben.
Dackel gehören nicht in die Suppe, Wellensittiche nicht auf den Tisch
Die eigentliche Leistung, die der BGH mit seiner Urteilsbegründung erbringt, besteht nun darin, festzustellen, dass ja auch Haustiere nicht zwangsläufig aufgegessen werden. Man muss das im Original lesen, um es wirklich würdigen zu können: „In diesem Zusammenhang muss insbesondere berücksichtigt werden, dass Hunde - wie auch die weiteren nicht zu Ernährungszwecken gehaltenen Haustiere - weit überwiegend nicht aus Erwerbsgründen, sondern - als weitere „Hausgenossen“ - aus ideellen Gründen in den Haushalt aufgenommen werden.“ Mal abgesehen davon, dass nicht ganz klar wird, was mit „weit überwiegend“ gemeint ist, wurde nun endlich einmal höchstrichterlich festgestellt, dass eine Zoohandlung kein Lebensmittelgeschäft ist. Danke, Karlsruhe.
Gesundheitspolitisch jedenfalls hat die Veröffentlichung der Urteilsbegründung keine größeren Wellen geschlagen. Erwartungsgemäß ist der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) vom BGH begeistert: „Das Urteil freut uns außerordentlich. Bisher hat in diesem Segment kaum Wettbewerb stattgefunden. Durch die Entscheidung des BGH können Tierhalter nun Arzneimittel für ihre Vierbeiner sicher und kostengünstig bei Versandapotheken beziehen.“ Vor allem Mittel gegen Zecken, Würmer, Milben und andere Parasiten sieht er als neue Verkaufsschlager. Seitens der organisierten Apothekerschaft, die sonst jedes den Versandhandel betreffende Urteil sofort kommentiert, herrschte dagegen Funkstille in Sachen Tierarznei. Vermutlich konnte man der schneidenden Logik der Karlsruher Richter einfach nichts Adäquates entgegen setzen…