Die Zeiten der groben Schnitte ins Gehirn bei Psychosen und Niedergeschlagenheit sind vorbei. Ganz vorsichtig wagen sich Chirurgen daran, psychische Leiden mit Sonden, Lasern und Stromstößen zu kurieren. Die Erfolgsquoten sind dabei durchaus sehenswert.
Die ganz dunkle Seite der Psychochirurgie zeigte vor 35 Jahren Jack Nicholson. In seinem wohl bekanntesten Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ dürfen sich Ärzte am Gehirn des Unruhestifters auslassen und ihn durch eine Lobotomie ruhigstellen. Damit, so schreibt Walter Freeman, „zerschmettert man die Phantasie, stumpft Gefühle ab, vernichtet abstraktes Denken und schafft ein roboterähnliches, kontrollierbares Individuum."
Die „Erfolge“ des damaligen Star-Psychotherapeuten Freeman mit der Lobotomie als wirksames Mittel gegen Schmerzen, Depressionen und Psychosen hinterließen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts zehntausende von Patienten ohne eigenen Willen. Erst fünfzig Jahre später begannen Neurochirurgen wieder vorsichtig, psychische Erkrankungen mit dem Skalpell zu behandeln.
Geheilt dank Gamma-Knife
Die neuen Vertreter der Psychochirurgie sind dabei sehr vorsichtig und streng bei der Auswahl ihrer Patienten. Erst wenn Medikamente, Gespräche oder Verhaltenstherapie fehlschlagen, kommt der Eingriff ins Innere des Schädels in Betracht. Noch ist die Erfolgsrate nicht so hoch, dass man dieser Disziplin eine blühende Zukunft voraussagen könnte.
Für Gerry Radano bedeutete die Operation jedoch eine Rückkehr ins normale Leben. Eine Zwangsstörung mit dem übermäßigen Bedürfnis, den Körper von allen Bedrohungen der Umwelt rein zu halten, führte sie in drei psychiatrische Kliniken und zerstörte fast ihr Familienleben. Gerettet wurde sie durch einen Eingriff mit dem Gamma-Knife. Dabei zerstört das gebündelte Strahlen-Skalpell Nervenbahnen in der Capsula interna. Heute ist Gerry Radano geheilt und hat den Verlauf ihrer Krankheit und Therapie in ihrem Buch „Contaminated“ festgehalten.
Besonders in der Behandlung von Zwangsstörungen (engl. „OCD“ für Obsessive Compulsive Disorder) gibt es sowohl aus Amerika als auch aus Deutschland gute Nachrichten. Anstatt wie früher einfach die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen zu durchschneiden, sind die Methoden heute viel feiner. Bei der stereotaktischen Operation führt der Chirurg Sonden in die entsprechenden Regionen ein und durchtrennt mit Hitze oder Kälte nur wenige wichtige Verbindungen.
Tiefenhirnstimulation gegen Tics
Immer häufiger kommt dabei auch der Hirnschrittmacher zum Einsatz. Schon seit einigen Jahren bei Patienten mit Morbus Parkinson eingesetzt, versorgen Ärzte nun auch Menschen mit schweren Depressionen und Angsterkrankungen mit einem elektrischen Impulsgeber und zugehörigen Elektroden. Peter Tass vom Forschungszentrum in Jülich hat bei Patienten mit Zwangserkrankungen eine regelmäßige rhythmische Aktivität im Nucleus accumbens beobachtet. Die elektrischen Impulse der Elektroden sollen wie ein Störsender diese pathologischen Signale eindämmen. Der große Vorteil der Methode: Sie ist reversibel. Passt die Einstellung oder die Lage der Elektroden nicht, können die Ärzte nachjustieren oder schlimmstenfalls den Sender wieder abschalten.
Volker Sturm von der Uniklinik Köln behandelt damit auch erfolgreich Menschen mit dem Tourette-Syndom. "In den meisten Fällen haben wir mit Hilfe der Tiefenhirnstimulation die Tics sehr gut in den Griff bekommen. Sie sind fast vollständig verschwunden", sagt der Chef der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie. "Vor allem aber können wir die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern, weil sie nicht mehr unter den psychischen Folgen der Krankheit leiden müssen." Die Erfolgsquote bei der Behandlung von Depressionen liegt entsprechend einer Veröffentlichung in „Biological Psychiatry“ bei rund 50 Prozent und damit im Bereich der amerikanischen und kanadischen Kollegen.
Genie durch Hirnstimulation?
Die Verlegung der Drähte ins Gehirn ist aber nicht ohne Risiko. In zwei bis vier Prozent der Fälle kommt es zu einer Infektion, bei 0,4 Prozent der Operationen zu einer Blutung. Bei den ablativen irreversiblen Operationen ist zumindest ein Fall von völliger Hilflosigkeit in den USA bekannt. Eine Studie von Christian Rück vom Karolinska Institut in Stockholm zeigt, dass immer noch etwa die Hälfte der operierten Patienten mit Zwangserkrankungen an Apathie oder verringerter Selbstkontrolle leidet, auch wenn sich die OCD meist deutlich gebessert hat.
In den Annals of Neurology beschreibt eine Arbeitsgruppe aus Toronto allerdings auch einen Fall unerwarteter Nebenwirkungen. Gegen seine Ess-Sucht setzten die Neurochirurgen einem stark übergewichtigen Patienten Elektroden in den Hypothalamus ein. Die Suchterkrankung besserte sich nicht wesentlich, dafür jedoch verfügte der Mann von nun an über ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis und konnte sich an viele Ereignisse erinnern, die Jahre zurücklagen. Auch beim Lernen tat sich der 50-jährige nun viel leichter.
Mit zunehmender Erfolgsrate dürfte die Zahl der psychochirurgischen Operationen immer mehr zunehmen. Schließlich lockt auch die Möglichkeit einer Verbesserung der Denkleistung durch den Hirnschrittmacher. Ohne jahrelanges Training, großem Aufwand an bildgebender Technik und viel Erfahrung der Chirurgen ist jedoch das Risiko von Fehlschlägen und Verstümmelungen vorprogrammiert. Noch immer sind die Schrecken der Lobotomie-Opfer vielen Psychiatrie-Professoren lebhaft in Erinnerung. So warnt auch einer von ihnen, Darin Doherty von der Harvard University: „Wenn bei diesen Versuchen etwas schiefgeht, könnte es die Türen für diesen Therapieansatz für weitere hundert Jahre zuschließen.“