Eigene Profile bei Facebook und Twitter sollen Rösler und Co. ein innovatives Image verschaffen. Doch echter Austausch mit dem Jungwähler ist nicht gefragt. Statt dessen wird PR-Einheitsbrei verfüttert. Und selbst der nur spärlich. Eine Röntgenaufnahme im Web 2.0.
„2014 Personen gefällt das.“ Geht es nach der neuen Facebook-Währung, den Gefallenspunkten, dann ist Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler der Sieger des DocCheck-Facebook-Contest für Gesundheitspolitiker in Berlin. Über 2000 Zuneigungsbekundungen hat der FDP-Minister gesammelt.
Philipp Rösler: Facebook als Zweigstelle des Ministeriums
Nun ist das mit den Zuneigungspunkten bei Facebook so eine Sache. Für Facebook selbst sind diese von den Usern vergebenen Punkte extrem nützlich, weil sie dazu beitragen, Vorlieben zu identifizieren und damit Inhalte beziehungsweise Kontakte zielgenauer an den Mann zu bringen. Für den Besucher dagegen ist der Aussagewert dieser Punkte sehr begrenzt, weil die Zahl der Punkte extrem von der Bekanntheit des Betreffenden abhängt und weil es die Negativkontrolle nicht gibt. „Mag ich nicht“ ist nicht vorgesehen im positiven Facebook-Universum. Das Netzwerk will vereinen, nicht spalten. Würden wir uns beim DocCheck-Facebook-Contest rein auf die Gefallenspunkte verlassen, dann bekämen wir ein ziemlich verzerrtes Bild. Schauen wir also etwas genauer hin.
Wenn sich Politiker ins Web 2.0 stürzen, kann das zwei Motivationen haben. Variante 1 lautet „Feuer auf allen Kanälen“. Das soziale Netzwerk wird als Distributionsdrehscheibe für Inhalte genutzt, die auch an 10000 anderen Stellen schon distribuiert werden. Variante 2 wäre das genuine Interesse am Austausch mit dem Bürger, der sich, so unterstellen wir mal, im 21. Jahrhundert zunehmend im Internet und eventuell auch bei Facebook tummelt. Philipp Röslers Auftritt bei Facebook gehört eindeutig in die erste Kategorie. Facebook ist für ihn eine PR-Kanone. Der wichtigste Inhaltelieferant der Pinnwand ist das Bundesministerium selbst, dessen Nachrichten, die überwiegend auch via Pressestelle nach draußen geschickt werden, mehr oder weniger zeitgleich auf Röslers Facebook-Seite und teilweise auf seiner privaten Internetseite landen. Unter „Notizen“ finden sich überwiegend Einträge zum Thema FDP Niedersachsen, Röslers politischer Heimat. Ein paar Fotos. Das war es im Wesentlichen.
Daniel Bahr: Facebook als Geisterstadt aus Wahlkampfzeiten
Anhänger oder Kritiker, die sich via Facebook bei Rösler zu Wort melden, erhalten keine sichtbare Rückkopplung. Mitunter wird das auch sehr offensichtlich, etwa wenn eine Leserin explizit fragt, ob hier denn der Philipp Rösler schreibe oder jemand anderes. 24 Stunden später meldet sie sich wieder mit „Hallo?“, wurde also offenbar ignoriert.
Bei Daniel Bahr, der für das Facebook-Foto in forscher Bewerbungspose („Ich kann Minister“) auftritt, kann einem das nicht passieren. Hier ist von vornherein relativ klar, dass der Besucher keine Antwort zu erwarten hat. Einträge von Bahr, parlamentarischer Staatssekretär im BMG, sucht man nämlich vergebens. Bei „Fotos“ ist außer besagtem Bewerbungsbild nicht viel zu holen. „Diskussionen“ sind „nicht vorhanden“. Und spätestens wenn man sich auf der Pinnwand die Kommentare der „Anderen“ ansieht, merkt man, woher der Wind weht. Die Kommentare stammen fast ausnahmslos aus dem Herbst 2009. Bahrs Auftritt bei Facebook war eine Wahlkampfshow zur Bundestagswahl, mehr aber auch nicht. Vollends klar wird das dem Besucher, wenn er auf „Info“ klickt. Wie bei Philipp Rösler findet sich an dieser Stelle ein Lebenslauf. Während Rösler aber immerhin in seiner Vita schon den Bundesminister gibt, ist Bahr in seinem Lebenslauf noch das Mitglied des Deutschen Bundestages, das für die nächste Legislatur kandidiert. Aber wir wollen fair bleiben: Daniel Bahr hat eine eigene Webseite, die wesentlich unterhaltsamer und – nicht schwer – deutlich aktueller ist.
Stefan Kapferer: Kann nicht, muss arbeiten
Etwas anders gelagert ist die Sache bei Stefan Kapferer. Kapferer ist kein parlamentarischer, sondern ein „echter“ Staatssekretär, damit der zweite Mann im Ministerium und dessen oberster Beamter. Er macht einen wesentlichen Teil der dort anfallenden Arbeit. Als Nicht-Parlamentarier ist die PR in eigener Sache für ihn zweitrangig, um nicht zu sagen kontraindiziert. Er arbeitet hinter den Kulissen - und das verträgt sich nicht mit Facebook und Co. Auch eine eigene Webseite sucht man zu Stefan Kapferer vergebens. Das Leben findet im Ministerium statt. Der Lebenslauf auch. Nicht zu finden bei Facebook ist auch die zweite parlamentarische Staatssekretärin beim BMG, Annette Widmann-Mauz. Hier ist ihre Webseite.
Horst Seehofer: Der Souverän im Netz
Wer also gewinnt den DocCheck-Facebook-Contest? Bis hierher Philipp Rösler, doch leider wird er auf den letzten Metern noch von Horst Seehofer verdrängt. Der ist zwar kein aktueller Gesundheitspolitiker mehr. Doch als Ex-Bundesgesundheitsminister und Chef des neuen sozialpolitischen Lautsprechers der CSU, Markus Söder, gehört er dann doch in diese Reihe. Seehofer hat die Regeln des Netzes verstanden, das merkt man. Er diskutiert bei Facebook nicht die große Politik, sondern gratuliert, kondoliert und visioniert was das Zeug hält.
Ob der Geburtstag von Richard Weizsäcker, der Tod von Wolfgang Wagner, die Zukunft Bayerns, die Arbeitslosenzahlen oder das Thema Steuersenkungen: Hier ist jemand, der weiß, was das Volk bewegt, der bodenständig ist und der verrät, was er gerne isst („bayerische Brotzeit“), welchem Fußballverein er die Daumen drückt („Bayern München“) und welches Lied er am liebsten singt („die Bayern-Hymne“). Zu sehen gibt es auch einiges: Keine stundenlangen Reden, sondern knackige 30-Sekunden-Statements: „Keine Zweiklassenmedizin“. Jawoll, das kommt an, und entsprechend zahlreich sind die Gasteinträge bei Seehofer, auch wenn er es in Sachen Gefallenspunkten bei Facebook unverständlicherweise nur auf 830 bringt. Die Facebook-Inhalte Seehofers kommen übrigens im Wesentlichen von seiner eigenen Webseite. Die wiederum wird bei CSU.de gehostet. Da hat jemand seine Partei im Griff…