Wird von Krebs geredet, dann meist von Brust- oder Darmkrebs. Weniger bekannt ist der bösartigste Hirntumor, den es gibt - das Glioblastom. Seit Jahren werden neue Wege gesucht und Ansätze erprobt, der große „Durchbruch“ blieb aber bislang aus.
Trotz unstreitiger Fortschritte in der Forschung sowie Therapie - etwa mit dem Chemotherapeutikum Temozolomid - ist die Prognose der Glioblastom-Patienten heute kaum besser als vor 30 Jahren. Nur etwa drei Prozent beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate - bei intensivster und extrem belastender Therapie aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Häufig überleben die Patienten kaum das erste Jahr nach der Diagnose. Und oft sind die wenigen Monate, die den Hirntumor-Patienten bleiben, geprägt von Angst, Schmerzen und erheblichen, auch therapiebedingten Einschränkungen.
Glioblastom ist eben nicht Glioblastom
Für die miserable Prognose gibt es mehrere Gründe. Zum einen wird die Diagnose oft recht spät gestellt. Zum anderen wächst der Tumor sehr schnell und infiltrierend. Dieses infiltrierende Wachstum macht es den Operateuren oft unmöglich, alle Tumorzellen zu entdecken. Zudem kann identifiziertes Tumorgewebe nicht immer vollständig entfernt werden. Glioblastome sind außerdem zellulär und molekularbiologisch so vielfältig und unterschiedlich, dass gerade bei diesem Tumor nur individualisierte Therapien, in Kombination mit anderen Verfahren, als viel versprechend gelten. Es gibt daher eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen innovativen Behandlungsansätzen - von der Immuntoxintherapie über die Angiogenesehemmer bis hin zur Gentherapie-, für die alle aber gilt, dass sie noch weiter intensiv erforscht werden müssen.
Ein großes Problem: Wandernde Tumorzellen
Eine Erkenntnis, die von großer Relevanz sein könnte, haben kürzlich Bonner Forscher um Professor Dr. Björn Scheffler gewonnen. Sie konnten nachweisen, dass jene wandernden Glioblastomzellen sich stark von den Zellen aus dem Tumorzentrum unterscheiden: „Sie sind beweglicher, bilden andere Rezeptoren, reagieren anders auf Bestrahlung oder chemotherapeutische Substanzen", sagt Schefflers Kollege Dr. Martin Glas. Dies könnte auch erklären, warum Bestrahlung oder Chemotherapie den "vergessenen Zellen" so wenig anhaben können. Die Ergebnisse könnten helfen, gezielte Therapien gegen die verbleibenden Krebszellen zu entwickeln.
Einen möglichen Ansatz für eine zielgerichtete Therapie haben erst vor kurzem auch Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gefunden. Maligne Hirntumoren entstehen nämlich direkt aus Hirn-Stammzellen, haben die Forscher um Hai-Kun Liu nachgewiesen. Schlüsselmolekül dabei ist das Protein Tlx. Dieses Eiweiss sorgt dafür, dass aus Gewebe-Stammzellen neue Nervenzellen entstehen. Stammzellen mit vermehrter Tlx-Produktion regen wiederum die Gefäßneubildung an. Dies ermöglicht es den Zellen, in weit entfernte Bereiche des Gehirns zu wandern. Und: Zu viel Tlx fördert bei Mäusen die Bildung bösartiger Hirntumoren aus Hirn-Stammzellen. Auch bei Menschen mit Glioblastom spielt Tlx eine Rolle. „Offenbar sind auch bei Menschen die Hirntumor-Stammzellen auf Tlx angewiesen. Daher können wir nun versuchen, Therapien zu entwickeln, die sich ganz spezifisch gegen Tlx-produzierende Zellen richten", sagt Professor Günther Schütz, zusammen mit den Professoren Peter Lichter und Guido Reifenberger, einer der leitenden Wissenschaftler.
Einen innovativen Therapieansatz – die Kombination von Chemotherapie mit einer Schwerionenbestrahlung – erforschen seit einiger Zeit Heidelberger Wissenschaftler. „Durch die Kombination von Chemotherapie mit einer Schwerionenbestrahlung erhoffen wir uns, dass wir in der Behandlung von Glioblastomen einen großen Schritt weiter kommen“, erklärt Dr. Stephanie Combs von der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie der Universität.
Noch eine Hoffnung: Die therapeutische Impfung
Von allen zurzeit erprobten innovativen Konzepten räumten sie den Gliom-Impfungen die besten Chancen auf eine baldige Verbreitung ein, sagten kürzlich der Neurologe Professor Michael Weller von der Universität Zürich und der Onkologe Professor Adrian Ochsenbein vom Inselspital Bern der „Neuen Zürcher Zeitung“. Für die Impfung werden den Patienten zusätzlich auch körpereigene Immunzellen entnommen. Diese Zellen werden dann mit einzelnen Tumorproteinen oder mit einer Mischung derselben zusammengebracht und anschliessend injiziert. Aus Tierversuchen sei bekannt, dass es den Zellen im Körper gelinge, die für Attacken zuständigen T-Zellen zu aktivieren, die dann Tumorzellen zerstören könnten. Weller und andere Forscher hofften nun, dass die aktivierten T-Zellen im Gehirn auch versteckte Krebszellen aufspüren und zerstören können.
Mit Antisense gegen die „Tarnkappe“ des Tumors
Bei einem anderen Therapieansatz sollen die Tumorzellen nicht durch aktivierte Immunzellen, sondern durch spezielle Moleküle vernichtet werden. Dabei handelt es sich um sogenannte Antisense-Moleküle, die direkt in den Tumor injiziert werden. Ein solches Antisense-Molekül ist zum Beispiel Trabedersen. Das Molekül hemmt die Synthese des Proteins TGF-ß2. Dieses Eiweiss wird von hochgradigen Gliomen in großen Mengen produziert und scheint gleich an mehreren tumorfördernden Prozessen wie Proliferation, Migration und Angiogenese beteiligt zu sein. Außerdem: Tumorzellen, die sich mit einem „TGF-ß2-Schutzschild“ umgeben, werden vom Immunsystem nicht mehr erkannt und bekämpft. Das Antisense-Oligonukleotid bindet nun spezifisch an die mRNA von TGF-ß2 und hemmt so dessen Synthese. Eine kontrollierte Phase-III-Studie soll jetzt erste positive klinische Daten bestätigen.
Um jedoch einen anhaltenden Effekt zu erzielen, müssten die Antisense-Moleküle auch die irgendwo im Gehirn untergeschlüpften Tumorzellen erwischen, erklären Weller und Ochsenbein. Das sei ein noch ungelöstes Problem. Und zudem nur ein Problem von sehr vielen Problemen, so dass Meldungen über Erkenntnisfortschritte immer sehr nüchtern bewertet werden. So wäre es zum Beispiel unverantwortlich, aus einer kürzlich publizierten tierexperimentellen Studie koreanischer Wissenschaftler abzuleiten, dass Kaffee auch Glioblastom-Patienten helfe.
Hoffnungen können auch von Übel sein
Auf das Problem, unberechtigte Hoffnungen zu wecken, hatte vor wenigen Monaten erst die Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft in einer offiziellen Stellungnahme hingewiesen. Anlass war unter anderen ein Zeitungsbeitrag mit der Überschrift: „Hitze gegen Hirntumore – eine Studie belegt die Wirksamkeit der Nanotherapie“.
In diesem Beitrag sei behauptet worden, dass die Wirksamkeit der Nanotherapie in der Behandlung von Patienten mit rezidivierten Glioblastomen belegt sei. „Die Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft“, so die Stellungnahme, „sieht die Berichte zur Nanotherapie kritisch, da sie ungerechtfertigte Hoffnungen bei Patienten und Angehörigen hervorrufen und zu einer starken Verunsicherung von Patienten und Behandlern führen“. Für die Ärzte sehr bedrückend seien vor allem die vielen Patienten und Angehörigen, „die aufgrund solcher Mitteilungen in den Ambulanzen vorsprechen und dann enttäuscht werden müssen, weil ungerechtfertigte Hoffnungen geweckt wurden“. So manche Hoffnung sollte eben bleiben, wo sie schon in der griechischen Mythologie blieb: In der Büchse der Pandora - und unter Verschluss.