"Schau mir in die Augen, Kleines" – das könnte künftig die frühe Erkennung von Alzheimer-Demenz ermöglichen. Denn Forscher haben entdeckt, dass die für Alzheimer charakteristischen Amyloid-Proteine sich auch in den Linsen von Down-Syndrom-Patienten anreichern und dort zu Katarakten führen. Mit diesem Wissen können Augentests entwickelt werden, die die Hirnleistungsstörung frühzeitig diagnostizieren.
Amyloid- 40 und Amyloid- 42 – das sind jene beiden Proteine, die zur häufigsten Form der Altersdemenz, der Alzheimerschen Erkrankung führen. Die beta-Amyloide lagern sich im Gehirn ab und verklumpen zu großen Plaques, die neurotoxisch wirken: Sie schädigen die Fortsätze von Neuronen und bedingen letztlich deren Untergang.
Was in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten akkumuliert, findet sich auch in den Augen von Menschen mit Down-Syndrom. Der führende unter den genetischen Auslösern geistiger Behinderung und die häufigste Hirnleistungsstörung haben mithin einen gemeinsamen Nenner. Diese Erkenntnis, kürzlich präsentiert in Fort Lauderdale auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Association for Research in Vision and Ophthalmology, bedeutet einen großen Fortschritt für die frühe Diagnose der Alzheimerschen Erkrankung.
Dreifache Dosis vom APP-Gen
Die Schlüsselrolle bei den neurotoxischen Prozessen hat das Amyloid-Vorläuferprotein, kurz APP, inne. Denn erst wenn dieses enzymatisch gespalten wird, entstehen die beta-Amyloide mit ihren fatalen Effekten. Nun befindet sich das Gen, dass APP codiert, exakt auf jenem Chromosom, dass bei Menschen mit Down-Syndrom dreifach vorhanden ist: dem Chromosom 21. »Die chromosomale Triplikation schließt das APP-Gen, lokalisiert auf 21q21, mit ein«, so Prof. Dr. Lee E. Goldstein, von der Boston University School of Medicine und dem Boston University Alzheimer´s Disease Center. Damit liegt die Information zur Ausprägung von APP in dreifacher Dosis vor. Was laut Prof. Goldstein »zu einer außerordentlichen Beschleunigung der cerebralen Ablagerung von beta-Amyloid führt«. Die Folge dessen ist das frühe Nachlassen der neurokognitiven Fähigkeiten und die frühzeitige Manifestation der Alzheimer-Neuropathologie beim Down-Syndrom. »In unserer Studie konnten wir zeigen, dass die Abnormalitäten in den Linsen dieser Patienten auf einer verstärkten Amyloid-Ansammlung beruhen«. Damit, so Prof. Goldstein weiter, ist die bislang offene Frage nach der Herkunft der für das Down-Syndrom charakteristischen supranuklearen Katarakte geklärt.
»Fenster in das Gehirn...«
Die beta-Amyloid-Ablagerungen in den Linsen finden sich bei keiner anderen dementiellen Erkrankung und auch nicht bei Gesunden. Sie unterscheiden sich darüber hinaus eindeutig von altersbedingten Katarakten, die meist in der fünften Lebensdekade auftreten. Nach den Worten des Bostoner Wissenschaftlers ist die Akkumulation von Amyloid vielmehr ein zweifelloses Indiz für die Alzheimersche Erkrankung. Das sich bei den Betroffenen bald zu erkennen gibt: »Wir haben festgestellt, dass die Proteine sich bereits sehr früh in den Linsen ansammeln, oftmals schon im Kindesalter«, berichtet Prof. Goldstein. Ein Umstand, der auf den Zellstoffwechsel in den Linsen zurück zu führen ist. Dieser ist vergleichsweise träge. Die Zellen haben dadurch eine begrenzte Kapazität, die abgelagerten Proteine zu katabolisieren, erklärt Prof. Goldstein. Sprich, die beta-Amyloide können nicht »entsorgt« werden und machen sich entsprechend frühzeitig bei den Betroffenen bemerkbar.
Der pathogenetische Zusammenhang, den die Bostoner Forschergruppe gefunden hat, erlaubt im wahrsten Sinn des Wortes Einblicke in das Gehirn. Denn die pathologischen Vorgänge in den Zellen der Linsen gehen den cerebralen neurotoxischen voraus – die Katarakte stellen mithin aussagekräftige Marker dar, anhand derer sich eine Demenz vom Alzheimer-Typ ermitteln lässt. Und dass bereits in vivo, zu Lebzeiten des Betroffenen. Die Linsen, so Prof. Goldstein, »sind gewissermaßen Fenster zum Gehirn«.
Dieses soll nun zur frühzeitigen Erkennung der Hirnleistungsstörung genutzt werden. »Wir entwickeln derzeit einen Augen-Scanner, der die Konzentrationen von beta-Amyloid in den Linsen messen kann«. Der Test eröffnet aussichtsreiche Möglichkeiten: Bekanntlich ist eine frühe Diagnose der Schlüssel zum Erfolg therapeutischer Interventionen. Hierzu zeichnen sich laut Prof. Goldstein inzwischen einige wirksame Strategien am Horizont ab. »Diese könnten dank unseres Augentests frühzeitiger zum Einsatz kommen« – ein enormer Ansporn für die Forschungsarbeit der Bostoner Wissenschaftler.