In Vorbereitung auf die Mars-Mission verabschieden sich sechs Menschen für 520 Tage vom irdischen Leben. Fürs Essen sind Erlanger Ärzte verantwortlich. Beantwortet werden soll auch eine medizinische Frage: Was macht Salz mit dem Blutdruck?
Salzrestriktion kann den Blutdruck bei Hypertonie-Patienten absenken. Das ist eines der Dogmen der Hypertensiologie. Praktisch alle relevanten Fachgesellschaften empfehlen durchweg eine Verringerung der Salzzufuhr als wichtige nicht-medikamentöse Therapiemaßnahme bei arterieller Hypertonie. Wer seine Salzzufuhr auf unter 6 Gramm pro Tag reduziere, der könne mit einer Absenkung des systolischen Blutdrucks um 4 bis 6 mmHg rechnen, schreibt beispielsweise die Deutsche Hochdruckliga in ihrer aktuellen Leitlinie.
Schöne Theorie, blöde Praxis.
Nun war das mit dem Salz und dem Hochdruck aber immer so eine Sache. Wer Natrium aufnimmt, der sorgt dank osmotischer Effekte dafür, dass sich der Extrazellularraum, zu dem auch der Blutkreislauf gehört, ausdehnt. Dass dieser Prozess klinisch mit Bluthochdruck einhergeht, besagt das so genannte Zwei-Kompartimente-Modell der Hypertonie. Gestützt wird diese Theorie unter anderem durch Untersuchungen an indigenen Selbstversorger-Populationen, die – wie auch Tiere – generell kaum Natrium, aber deutlich mehr Kalium aufnehmen. Bekannt geworden ist unter anderem die INTERSALT-Studie aus den 80er Jahren: In Jäger- und Sammler-Kulturen, in denen nur ein Gramm Kochsalz, dafür aber 5 bis 10 Gramm Kalium pro Tag aufgenommen wurden, war die Hypertonie-Prävalenz minimal, und der Blutdruck stieg mit zunehmendem Alter auch nicht groß an.
So weit, so gut. Das Problem an dieser schönen Theorie war, dass erstens auch Jäger- und Sammler-Kulturen gefunden wurden, in denen dieser Zusammenhang nicht hielt. Und zweitens lieferten Interventionsstudien, in denen die Natriumzufuhr reduziert wurde, regelmäßig keine absolut überzeugenden Ergebnisse. Es gab immer Patienten, bei denen es funktionierte und andere, bei denen es nicht funktionierte. Weil das so ist, unterscheiden Hypertensiologen bis heute zwischen salzsensitiver und nicht salzsensitiver Hypertonie. Das stellt die Praktiker im klinischen Alltag so weit zufrieden. Nur die Theoretiker sind mit dieser Situation etwas unglücklich, weil sie das schöne Modell konterkariert.
Eine Ethikkommission hätte das nicht zugelassen…
Ein Erklärungsansatz war und ist, dass das mit der Salzrestriktion in der Realität der Moderne kaum umsetzbar und definitiv nicht kontrollierbar ist. Wer hindert schon einen Studienteilnehmer daran, heimlich Salzletten zu futtern? Dr. Jens Titze von der Medizinischen Klinik 4 für Nephrologie und Hypertensiologie der Universität Erlangen kann dieses Problem jetzt definitiv lösen. Als Spezialist für den Zusammenhang zwischen Salz und Blutdruck war er verantwortlich für die Speisekarte der laut Eigenwerbung „längsten Stoffwechselstudie der Welt“. Seit dem 4. Juni sitzen am Institut für Biomedizinische Probleme (IBMP) in der Nähe von Moskau drei Russen, ein Chinese, ein Franzose und ein Italiener gemeinsam in einer engen Raumkapsel und dürfen erst Ende 2011 wieder raus. Bis auf die Schwerkraft ist dort drin alles genauso wie bei einem echten Mars-Flug. Und das ist der Traum eines jeden Salzforschers: Hier steht definitiv niemand nachts auf und holt sich an der nächsten Tanke ohne Erlaubnis des Studienleiters einen Salz-Schocker namens Tiefkühlpizza.
In der Raumkapsel soll nun über die 520 Studientage der Salzgehalt der Nahrung schrittweise verringert werden, um zu sehen, wie sich das auf den Blutdruck auswirkt. „Bei der streng kalkulierten und kontrollierten Nahrungsaufnahme reduzieren wir die tägliche Salzzufuhr sukzessive von zwölf auf neun und dann auf sechs Gramm Salz“, sagt Titze. Das Ziel des hypertensiologischen Arms der Mars-Bodenmission ist klar: „Wir möchten feststellen, ob sich unser Eindruck bestätigt, dass eine Reduzierung der täglichen Salzzufuhr geeignet ist, den menschlichen Blutdruck nachhaltig zu senken“, so Titze. Umgesetzt werden des Forschers Salzvorgaben von dem Fertiggericht-Unternehmen apetito aus Rheine, das für Mittag- und Abendessen der bemitleidenswerten Bodenastronauten verantwortlich zeichnet. Immerhin: Es gibt unter anderem Lachsfilets…
Warum das mit dem Salz vielleicht doch nicht so einfach ist.
Ganz ohne Vorarbeiten starten die sechs Probanden nicht in ihr Salzexperiment. Es gab eine Vorstudie, bei der fünf Testpersonen 105 Tage lang „eingekapselt“ wurden. „Es war beeindruckend, wie der Blutdruck aufgrund der verringerten Salzaufnahme gesunken ist“, so Titze. Die längere Studie soll jetzt solidere Zahlen liefern. Eine der interessanten Fragen ist, ob der Blutdruck bei allen fällt, oder ob das Konzept der salzsensitiven Hypertonie auch unter den Bedingungen einer perfekten Intervention hält.
In Erklärungsnöte würde Titze jedenfalls nicht kommen, wenn der Blutdruckabfall unterschiedlich stark ausgeprägt wäre. Er selbst hat vor zwei Jahren in der Zeitschrift Nature Medicine eine Arbeit publiziert, in der er zeigen konnte, dass es zumindest bei Ratten in der Haut ein „Zwischenlager“ für Salz gibt, aus dem zu viel aufgenommenes Salz unter anderem über die Lymphe abtransportiert wird. „Wenn dieser Prozess an irgendeiner Stelle gestört ist, dann bleibt das Salz in der Haut und es kann zu Bluthochdruck kommen“, sagt Titze. Neben dem „Schummeln“ bei der Salzzufuhr wäre das eine weitere Erklärung dafür, warum eine Salzrestriktion innerhalb der meist überschaubaren Zeiträume von Interventionsstudien nicht bei allen Menschen den Blutdruck senkt.