Patienten wollen maßgeschneiderte Medikamente, in der Hoffnung, sie würden besser helfen als One-Size-Fits-All. Doch ist das angesichts steigender Gesundheitskosten realistisch? Oder kann die personalisierte Medizin tatsächlich einen Beitrag zur Kostensenkung leisten?
Die individualisierte Medizin soll den ganz großen Durchbruch bringen. Der Vorstandschef der börsennotierten Qiagen AG, die sich u.a. auf die Entwicklung von Gentests spezialisiert hat, spricht sogar von einer Revolution, die vergleichbar mit der Revolution der Informationstechnologie von vor 40 Jahren sei. Die Designer-Pille, so die Fachwelt, wird Krankheiten besser, weil gezielter behandeln und das wird die Gesundheitskosten senken. Booz Allen Hamilton, ein regierungsnahes US-Beratungsunternehmen, errechnete Einsparungen in Höhe von 380 Milliarden US-Dollar und zwar jährlich und weltweit. Dafür werde allein der Wegfall von Erkrankungen durch Nebenwirkungen sorgen. Bloomberg Businessweek rechnete vor, dass ein DNA-Test die Hospitalisierungsrate, verursacht durch Blut-Verdünner, um ein Drittel reduzieren könne. "Wenn wir zwei Krankenhauseinweisungen bei 100 getesteten Patienten einsparen, dann sind die Gentest-Kosten mehr als kompensiert", zitiert das Magazin den Chief Medical Officer und Testanbieter vom Medco Research Institute. Hochgerechnet bringen 100 Tests dem Unternehmen rund 32.000 US-Dollar in die Kasse. Gemessen an der Zahl der Patienten, die Blut-Verdünner einnehmen, ein gar nicht so uninteressantes Geschäftsfeld für das Institut und ihre Mitbewerber.
Gentests versprechen profitables Wachstum
Die Personalized Medicine Coalition, Washington D.C., behauptet, dass 90 Prozent der Medikamente nur bei 30 bis 50 Prozent der Patienten tatsächlich wirken. Es sei nur bisher nicht möglich zu sagen, bei wem oder bei wem nicht. Der Direktor, Edward Abrahams, ist deswegen sicher, dass beispielsweise bei Cholesterinsenkern pro Jahr zwischen 3,8 bis 8,8 Milliarden Dollar mit Hilfe von Erbgutanalysen eingespart werden können. Bei so viel Rückenwind für die Gentests bzw. darauf basierenden Biomarkern wird klar, dass die entsprechenden Unternehmen die Profiteure der personalisierten Medizin sein werden. Pricewaterhouse Coopers prognostiziert denn auch für den weltweiten Markt von "Companion Diagnostics" ein jährliches Wachstum von fünf Prozent (50 Milliarden Dollar bis 2012). Aber Gentests allein reichen natürlich nicht aus. Die Pharmaindustrie muss mitspielen. Und das hat Konsequenzen für sie. Der potenzielle Patientenkreis und der Markt für einzelne Wirkstoffe wird kleiner bei gleichbleibenden Entwicklungskosten. Da ist es eigentlich naheliegend, dass die Medikamente teurer werden müssen. Also doch kein Königsweg, mit dem sich die Kostenexplosion im Gesundheitswesen dämpfen läßt?
Es wird kein Geld laut Pharmabranche verplempert
Das sieht man beim Pharma- und Diagnostikkonzern Roche ganz anders. Das Unternehmen war das erste, das 1998 ein personalisiertes Medikament, das Brustkrebsmittel Herceptin, auf den Markt brachte. Schon bei der Entwicklung war klar, dass die ausschlaggebende Genvariante Her2-neu nur bei 25 Prozent der Frauen vorkommt. Gerechnet hat es sich für den Konzern trotzdem, insbesondere nachdem Herceptin für die Tumorbehandlung im Frühstadium zugelassen wurde. Die Behandlung sei zwar teuer, aber weil ausschließlich Frauen mit dem entscheidenden Gen, so der Roche-Pressesprecher Dr. H.-U. Jelitto, mit Herceptin therapiert werden, werde kein Geld verplempert. Der Test kostet zwischen 30 und 100 Euro. Der Internist und Onkologe Dr. med. Christian Marti schätzt, dass in der Schweiz für ein dank Herceptin gerettetes Frauenleben ein bis zwei Millionen Franken plus Behandlungs- und Laborkosten ausgegeben werden.
Keine sichtbaren Umsatzeinbußen in der Pharmabranche
Inzwischen folgen immer mehr Pharma-Unternehmen dem weltweiten Trend der Medikamente nach Maß. Das Lungenkrebsmittel Iressa von Astra-Zeneca wurde erneut zugelassen für die Erstbehandlung von Lungenkrebs-Patienten, bei deren Krebszellen ein Rezeptor für den Wachstumsfaktor EGF auf bestimmte Weise mutiert ist. Das trifft nur auf etwa zehn bis 15 Prozent aller Lungenkrebs-Fälle zu. Der Test kostet 300 bis 400 Euro und die Behandlung mit Iressa liegt bei etwa 3.500 Euro pro Monat. Das Darmkrebsmittel Erbitux der Merck KGaA wird nur noch bei Patienten eingesetzt, bei denen ein Gen namens K-Ras in Normalform und nicht in mutierter Form vorliegt.
Obwohl die in Betracht kommende Gruppe auf 60 Prozent zusammengeschmolzen ist, wird ein so genannter Blockbuster-Umsatz, d.h. jährlich 1 Milliarde Euro und mehr, bis 2011 angestrebt. Die Behandlungskosten mit Erbitux liegen bei durchschnittlich 50.000 Euro. Offensichtlich haben die reduzierten Marktsegmente bei personalisierter Medizin für die Pharmaindustrie keine nennenswerten Umsatzeinbrüche zur Folge. Die Frage, ob sich der Trend kostensenkend auswirken wird, bleibt erst mal weiter offen. Die Aussicht auf bessere Medizin, die gleichzeitig Ressourcen schont, sollte eigentlich die Krankenkassen auf den Plan rufen. DocCheck fragte beim GKV-Spitzenverband nach. Fehlanzeige. "Unseres Wissens nach gibt es noch keine belastbaren Studienergebnisse, die als nachgewiesener Erfolg gelten können. Fragen zu möglichen Einsparungen stellen sich daher im Augenblick nicht und können seriös auch erst beantwortet werden, wenn Studien belastbare Aussagen zu Therapieerfolgen und Patientengruppen belegen", lautet die lapidare Auskunft.
Gendiagnostik braucht noch 10 Jahre
Und wie schätzt die genbasierte Forschung die Bedeutung der Designer-Pille für das Gesundheitswesen ein? "Ein Gentest könnte bereits vor Beginn der Behandlung Auskunft über den Therapierfolg geben", so Professor Dr. Jörg Friedrich Schlaak des Universitätsklinikums Duisburg-Essen. Sein Team hat kürzlich herausgefunden, warum bis zu 50 Prozent der Hepatitis C–Patienten auf die übliche Kombinationstherapie nicht ansprechen. Bei ihnen wird ein Gen namens ISG15 verstärkt aktiviert. Eine umfassende Studie soll nun klären, ob es noch weitere Marker gibt. Zu den möglichen Einsparungen erklärt Schlaak: "Die "individualisierten" Medikamente werden nicht zwingend teurer als die "konventionellen", da die Entwicklungskosten sich nicht wesentlich unterscheiden. Letzlich wird das aber der "Markt" entscheiden. Die Firmen nehmen so viel, wie der "Markt" bereit ist zu zahlen. Für den Bereich der Hepatitis C könnten beispielsweise erhebliche Kosten eingespart werden, da im Moment nur etwa 50% der Patienten auf die derzeitigen Behandlungen ansprechen." Der Hepatologe schätzt, dass es noch zehn Jahre dauern wird, bis die personalisierte Medizin sich zum Standard entwickelt hat. Erst dann wird sich zeigen, was tatsächlich eingespart werden kann. So lange wird Herr Rösler nicht warten können. Anfang des Jahres wurde im Gendiagnostikgesetz festgeschrieben, dass genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken nur von Fachärzten durchgeführt werden dürfen.