Der Deutsche Ärztetag hat die elektronische Gesundheitskarte in diesem Jahr trotz schwarz-gelbem Relaunch des Projekts abgelehnt. Doch die Politik will die Karte durchsetzen – auch weil Deutschland sich in Europa langsam lächerlich macht.
Der Mann ist um seinen Job wahrlich nicht zu beneiden. Dem für Telematik zuständigen Vorstand der Bundesärztekammer, Franz-Josef Bartmann, fiel auch in diesem Jahr beim Ärztetag in Dresden die Aufgabe zu, die Delegierten um ein Mandat für eine weitere konstruktive Mitarbeit der deutschen Ärzteschaft bei der elektronischen Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens zu bitten. In den Vorjahren ist das dem Chirurgen aus Schleswig-Holstein, einem der bodenständigsten und anständigsten Vertreter auf dem gesamten gesundheitspolitischen Parkett, jeweils leidlich gelungen.
Nicht genug vom Zuckerbrot
In diesem Jahr freilich klappte es nicht. Die elektronische Gesundheitskarte fiel durch. Und die Spitzenverbände der Ärzte haben jetzt ein Problem. Das Votum belegt, dass es um die Sache längst nicht mehr geht. Die Gesellschafter der gematik haben auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums in den letzten Monaten einen Relaunch des eGK-Projekts vorgenommen, der der Ärzteschaft weit entgegen kam. Strittige Anwendungen wie das eRezept wurden auf Eis gelegt. Elektronische Notfalldaten und elektronischer Arztbrief wurden zu praktisch 100 Prozent in ärztliche Verantwortung gelegt. Selbst elektronische Patientenakten, die mittlerweile überall in Europa auf dem Vormarsch sind, wurden ausgeklammert. Sie sollten weiter auf dem Regal mit der Aufschrift Kolonialwaren bleiben, weil Philipp Rösler sich damit nicht die Finger verbrennen wollte. Auf der anderen Seite erhielten die Krankenkassen als einziges Zugeständnis sinnvollerweise die Verantwortung für das Online-Update der Versichertendaten zugesprochen, wobei zuletzt sogar ein Konzept vorlag, wie dieses Online-Update von der Praxis-EDV getrennt werden kann. Die Nein-Sager in Dresden hat das alles nicht interessiert. Sie stimmten für die Telemedizin, aber gegen die eGK – und damit, ganz nebenbei bemerkt, auch gegen die Möglichkeit, den existierenden Telemedizinnetzen durch Verknüpfung mit einer zertifizierten Sicherheitsinfrastruktur ein deutlich höheres Datenschutzniveau zu verpassen.
Und nun die Wettervorhersage für die Gegengerade…
Die Frage ist nun, was die Ärzte sich beziehungsweise dem deutschen Gesundheitswesen mit diesem Votum „eingekauft“ haben. Nachdem die Delegierten in Dresden, wie in den Vorjahren, nicht den Mut gefunden haben, die Mitarbeit der Ärztevertreter in der gematik grundsätzlich in Frage zu stellen, entsteht jetzt eine Konstellation, bei der die Ärzteverbände sich irgendwie weiter in Sachen Telematik werden engagieren müssen – schon deswegen, weil der elektronische Arztbrief befürwortet wurde. Auf der anderen Seite müssen sie sich von der eGK-Politik im engeren Sinne möglichst fern halten, um dem Dresdener Votum zumindest ansatzweise gerecht zu werden. Weil Politik und Krankenkassen nicht auf die eGK verzichten werden, dürfte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler gezwungen sein, die derzeit in Arbeit befindlichen gesetzlichen Regelungen so zu formulieren, dass eine Einführung – nach dem Vorbild Österreichs – auch ohne ärztliche Zustimmung möglich wird. Wer sagt, das gehe nicht, ist naiv. Die Krankenkassen könnten die Karte durchaus einführen, und sie könnten den Nichtgebrauch der eGK für Arztpraxen im Prinzip auch so teuer und/oder umständlich machen, dass der ärztlichen Opposition schnell Atemzügen die Luft ausgehen würde. Das ist kein schönes Szenario, aber es ist in den Dresdner Beschlüssen durchaus angelegt. Franz-Josef Bartmann hat davon gesprochen, dass sich die Ärzte selbst auf die Zuschauertribüne zu verbannen drohen. Er hat zwar nicht gesagt, dass es auf dieser Tribüne aller Wahrscheinlichkeit nach ungemütlicher sein wird als unten. Aber sein Gesicht sprach Bände. Dort oben könnte es regnen.
IT-Industrie und Praxis-EDV-Branche sind in Sorge
Mittlerweile hat sich auch die IT-Industrie zu Wort gemeldet. Die Unternehmen Compugroup, T-Systems, Atos, MedatiXX, ICW, KoCOConnector, Cisco, healthpartner consulting und Telemed haben einen offenen Brief an den Minister sowie an den GKV-Spitzenverband und an die KBV geschrieben, in dem sie davor warnen, bei der Telematik jetzt wieder alles umzuschmeißen. Sie bieten eine transaktionsabhängige Finanzierung an und geben sich überzeugt, dass ein Wirkbetrieb der eGK inklusive Online-Funktionen in zwei Jahren erreichbar sein könne.
Dahinter steckt die im Brief so freilich nicht artikulierte Sorge, dass Rösler und Co die alten Fehler wiederholen. Wenn im Anschluss an die anstehende Gesundheitsgesetzgebung nicht der Wirkbetrieb, sondern wieder nur eine diesmal größere Testregion mit ähnlich detaillierten und ständig sich ändernden Vorgaben wie beim letzten Mal ausgeschrieben würde, dann hätte sich die Einführung einer Telematikinfrastruktur für diese Legislaturperiode fast schon wieder erledigt. Innerhalb Europas kann Deutschland in Sachen IT-Vernetzung des Gesundheitswesens mittlerweile zumindest in einigen Bereichen als abgehängt gelten. Deutlich wurde das kürzlich bei der Europäischen eHealth-Konferenz in Barcelona, bei der man deutsche Beiträge mit der Lupe suchen musste, während Länder wie Spanien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Großbritannien und Italien das Programm bestritten.