Mit der Ausweitung der Zytostatikaherstellung in Apotheken stieg auch das Kontaminationsrisiko. Schon 2004 fanden Toxikologen "teils hohe Flächenkontaminationen für 5-Fluorouracil und Platin in deutschen Apotheken". Jetzt berichten Wissenschaftler über weitere Risiken: Apotheker drohen häufiger an Krebs zu erkranken, weil sie im Alltag mit gefährlichen Substanzen hantieren müssen.
Die Liste der Sicherheitsmaßnahmen am Osaka University Hospital ist klar definiert. Biologische Sicherheitswerkbänke der Klasse II sind für die angestellten Pharmazeuten obligatorisch, zudem ist die maximale Arbeitszeit im Umgang mit dem krebserregenden Stoffen Ciclophosphamid und Ifosmfamid auf eine Stunde beschränkt. Wer in Osaka als Apotheker die Zytostatika für den Klinikeinsatz vorbereitet, trägt eine entsprechende Maske und erscheint im Schutzanzug. Die Sorge um Japans Pharmazeuten ist berechtigt – und wäre auch in Deutschland angebracht.
Denn der tägliche Kontakt mit Zytostatika birgt für Apotheker weitaus mehr gesundheitliche Risiken, als bislang angenommen. Ob die zur Gruppe der Stickstoff-Senfgas gehörende Verbindung Ciclophosphamid (CP), oder dessen Positionsisomer Ifosfamid (IF) – die für Krebspatienten durchaus potenten Wirkstoffe entern auch die Körper der Zubereiter – wo sie ihre nachgewiesene kanzerogene Wirkung entfalten könnten.
Um den unliebsamen Vorstoß der Molekeln nachzuweisen, testeten japanische Forscher um Nobuo Kurokawa am Department of Pharmacy der Uniklinik Osaka Urinproben von sechs Apothekern und zwei Krankenschwestern auf Spuren der beiden Zytostatika. Zudem entnahmen sie über einen Zeitraum von vier Monaten insgesamt acht Wischproben vom Labor-Arbeitsplatz der Getesteten, um eine eventuell auftretende Umweltkontamination zu detektieren.
Jetzt versetzen die publizierten Ergebnisse Japan in einen Schockzustand. Mehr als 1400 Nanogramm den Senfgas-Verwandten Ciclophosphamid ließen sich pro Wischvorgang einsammeln, im Urin der unglücklichen Probanden lagerten in jedem Liter 400 Nanogramm CP oder IF. Die Botschaft der Studienautoren deutlich: Im Jahr Zehn des neuen Jahrtausends führen Zytostatika-Expositionen am Arbeitsplatz nach wie vor zu gravierenden Kontaminationen.
Dabei verdichten sich die Hinweise auf die Gefährdung der Apotheken seit Jahren. In Deutschland sorgte 2009 der Wissenschaftler Rudolf Schierl vom Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin der LMU für Aufsehen, als er im Fachblatt „Deutsche Apotheker Zeitung“ über gravierende Flächenkontaminationen berichtete. „Seit dem Jahr 2000 haben wir 2245 Wischproben aus 102 Apotheken, die Zytostatika mit Platin (Pt) oder 5-Fluorouracil (FU) herstellen, analysiert – 1008 Pt-Proben und 1237 FU-Proben, aus 64 Klinikapotheken und 38 öffentlichen Apotheken“, schrieb Schierl, und: „Die teils beträchtlichen Kontaminationen traten im gesamten Arbeitsbereich der Apotheken auf“.
Im Umgang mit den gefährlichen Stoffen hantieren Deutschlands Pharmazeuten zudem nach dem Zweiklassenprinzip, wie Schierl im Februar vergangenen Jahres zu bedenken gab: „Es zeigt sich, dass der Median der Kontaminationen in öffentlichen Apotheken an fast allen Probenahmeorten höher war als in den Klinikapotheken“.
Zytostatika-Kontamination als Krebsgefahr
Warum Zytostatika im Apotheker-Alltag derart unterschätzt werden, bleibt indes ein Rätsel. An Aufklärungsveranstaltungen jedenfalls mangelt es nicht. So richtete der Apothekerverband Köln bereits im November 2006 das Seminar „Gefahrstoffmanagement in der Apotheke“ aus, die entsprechende Präsentation ist noch heute mit wichtigen gesetzlichen Regelungen und Tipps für den Alltag im Internet auffindbar.
Behörden bieten ebenfalls nahezu alle erdenklichen Infos frei zugänglich an. Doch vermutlich schrecken Regelungen und Definitionen wie „Technische Regeln für Gefahrstoffe“ (TRGS) eher ab, als das sie Apothekern wirklich nutzen. Dass sich beispielsweise hinter der Technischen Regel für Gefahrstoffe 905 wichtige Angaben über Zytostatika verbergen mag die Rate-Redaktion von „Wer wird Millionär“ begeistern – Apothekern nutzt die Publikation kaum. Was den Arbeitsplatz sicherer machen soll, erweist sich nämlich bei näherer Betrachtung als unzumutbare Bleiwüste, wie folgender Auszug exemplarisch demonstriert: „Zubereitungen sind als krebserzeugend Kategorie 1 oder 2 im Sinne des § 3 Abs. 2 der GefStoffV anzusehen, sofern der Massengehalt - bei gasförmigen Stoffen der Volumengehalt - an einem krebserzeugenden Stoff gleich oder größer als 0,1 vom Hundert beträgt, soweit nicht in Anhang I der Richtlinie 67/548/EWG andere stoffspezifische Konzentrationsgrenzen festgelegt sind. Abweichend von Satz 1 gelten für die im nachfolgenden Verzeichnis genannten krebserzeugenden Stoffe die jeweils zugeordneten besonderen Gehaltsgrenzen für den Massengehalt in der Zubereitung in Hundertteilen“.
Als recht simpel, doch durchaus alltagstauglich erweisen sich hingegen nach dem verheerenden Befund des Pharmazeuten Kurokawa die neuen Sicherheits-Bestimmungen am Osaka University Hospital: Die „standard precautionary measures“ als Vorsorgeregelwerk gegen die Kontamination mit Zytostatika umfasst genau 11 Punkte – und ganze 23 Zeilen.