Der Blick in die Augen des Patienten kann im Einzelfall diagnostisch wegweisend sein. Doch rechtfertigt das die Iris-Diagnostik als eigene Disziplin? Zweifel sind erlaubt. Teil 3 der DocCheck-Serie zur Alternativmedizin.
Die Faszination für das Auge wird Medizinstudenten ziemlich früh antrainiert. In dem Lehrbuch-Klassiker „Der diagnostische Blick“ kommt neben vielen anderen Organen auch das Auge zu seinem Recht, der Blick ins Auge, um es genau zu nehmen. Das Auge kann Internisten tatsächlich diagnostische Anhaltspunkte geben. Im Einzelfall kann es sogar wegweisend sein. Die Gelbverfärbung der Skleren als Zeichen für eine Leberfunktionsstörung kennt jeder. Hornhaut und/oder Iris können darüber hinaus Hinweise auf eine Reihe von Stoffwechselerkrankungen liefern: Der Kayser-Fleischer Ring im Hornhaut-Stroma gilt als typisch für den Morbus Wilson. Und auch das bei einer Hämochromatose überschüssig anfallende Eisen kann im Auge einen sichtbaren Niederschlag finden.
Schön bunt, aber auch etwas Besonders?
Es sind aber nicht diese pathognomonischen Veränderungen, die das Auge für die Alternativmedizin so attraktiv machen. Was heute als Iris-Diagnostik sogar eine eigene Disziplin innerhalb der Komplementärmedizin bildet, ist vielmehr ein eigenes, in sich geschlossenes System, das in der heutigen Form Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Die Iris-Diagnostik geht davon aus, dass alle Organe des Menschen eine Art Abbild in der Iris haben, entsprechend Erkrankungen der Organe ihren sichtbaren Niederschlag in der Pigmentierung der Iris finden. Weil das nun keine besonders naheliegende These ist, bedarf sie eines Erklärungsmodells. Grundlage dieses Systems sollen demnach Neuronenbahnen sein, die angeblich auf dem Umweg über den Thalamus die Körperperipherie beziehungsweise die inneren Organe mit der Iris verbinden. Dass es in einem Nervensystem, das mit einem Zentralgestirn (Gehirn) arbeitet, derartige Verbindungen von überall nach überall hin gibt, wurde als Einwand wiederholt angemerkt, aber seitens der Anhänger des Verfahrens als nicht groß störend empfunden. Im Gegenteil, das System wurde zunehmend verfeinert. Mittlerweile existieren sogar Software-Programme, die eine computerunterstützte Iris-Diagnostik ermöglichen sollen. Im krassen Gegensatz zu dieser scheinbaren Differenzierung des Fachgebiets steht die Tatsache, dass sich unter den 37 Einträgen, die sich in der Forschungsdatenbank PubMed zum Stichwort „Iridology“ finden, kein einziger der Grundlagenforschung widmet. Die angloamerikanischen Autoren sprechen im Zusammenhang mit der Iris-Diagnostik deswegen ziemlich durchgängig von „Pseudoscience“.
Studie bei Darmkrebs: Irisdiagnostik nicht besser als würfeln
Der Kölner Anästhesist Dr. Stephan Herber wollte dem Verfahren dennoch eine Chance geben. Im Rahmen seiner Doktorarbeit ging er vor einigen Jahren der Frage nach, ob Iris-Diagnostiker anhand der Regenbogenhaut Patienten mit Dickdarmkrebs identifizieren können. Den Darmkrebs hatte sich der Arzt, der heute eine Praxis für traditionelle chinesische Medizin leitet, mit Bedacht ausgewählt: „Kolorektale Karzinome entwickeln sich über lange Zeit. Das ist ein Prozess von Jahren, zum Teil Jahrzehnten. Deswegen erschien uns diese Erkrankung als sehr geeignet für eine Studie“, so Herber im Gespräch mit den DocCheck News. Gedacht, getan. Die Ärzte machten digitale Farbaufnahmen jeweils beider Augen von 29 Patienten mit histologisch gesichertem CRC. Als Kontrollgruppe dienten 29 gesunde Probanden, die nach Alter und Geschlecht der Interventionsgruppe angepasst waren. Alle Bilder wurden dann zwei Experten für Iris-Diagnostik vorgelegt. Die Aufgabe bestand darin, Patienten mit Krebs anhand der Iris-Bilder zu identifizieren.
Das misslang: Die beiden Experten für Iris-Diagnostik lagen bei 51,7 Prozent beziehungsweise bei 53,4 Prozent der Patienten richtig. „Das war also genauso gut wie eine Zufallsauswahl. Das Ergebnis war so eindeutig negativ, da gab es dann auch nichts zu diskutieren“, konstatiert Herber. Die Reaktionen der beiden Iridologen auf das Resultat waren unterschiedlich. Als die Studie bereits lief, gab einer der beiden zu Protokoll, dass sich die Iris im Lauf des Lebens ohnehin nicht ändere. „Der andere war schon etwas erstaunter“, so Herber.
Korrelationen gefunden, nur: Was bedeutet das?
Schiffbruch für die Iris also? Ein paar Rettungsboote gibt es noch. Und in diesen Bötchen tummelt sich dann auch das wenige an Forschung, das es zu dem Thema gibt. Vor allem eine koreanische Arbeitsgruppe betont den „konstitutionellen“ Charakter der Iris und sucht entsprechend nach Korrelationen mit konstitutionellen Erkrankungen. Im Jahr 2004 beschrieben diese Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen einer so genannten neurogenen Iris-Konstitution und dem Auftreten einer arteriellen Hypertonie. Sie begaben sich auch hinab auf die genetische Ebene und fanden einen statistischen Zusammenhang zwischen der Iris-Konstitution und jenen Polymorphismen des Apolipoprotein E, die für eine Hypertonie prädisponieren.
Vier Jahre später erzielten sie ähnliche Ergebnisse für die ebenfalls mit Hypertonie vergesellschafteten Polymorphismen des Angiotensin-Gens. Wissen dieser Art hilft einem freilich nicht besonders weiter. Auf die Idee, ein wenig mehr Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren, wenn es in der Verwandtschaft vermehrt Hochdruckpatienten gibt, kommt man wohl auch ohne die Regenbogenhaut. Klar ist auch: Selbst wenn es Korrelationen zwischen Iris-Pigmentierung und Veranlagung für Hypertonie gäbe, hieße das noch lange nicht, dass das ganze Theoriegebäude der Iris-Diagnostik stimmt. Hier könnte nur echte Grundlagenforschung helfen. Und die gibt es für die Irisdiagnostik bisher genauso wie für die ältere und bekanntlich gescheiterte Phrenologie.