Das Recht, sich in jedem Land der Europäischen Union als Selbständiger oder Angestellter niederzulassen, ist an die Anerkennung des jeweiligen Diploms geknüpft - der Apothekerberuf zählt zu den wenigen Jobs, die zur automatischen Anerkennung des Diploms führen. Damit steht der Farmacia auf den Kanaren ebenso wenig im Weg wie dem Pendant vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer.
Wer während der Mittagsstunden in Südeuropa eine ASS-Tablette sucht, wird schwerlich eine bekommen - die Siesta wird hier trotz Touristen auch von vielen Apothekern respektiert. Sich an den südländischen Lebensstil in unmittelbarer Nähe des Atlantiks zu gewöhnen darf für deutsche Pharmazeuten durchaus mehr als nur eine Urlaubs-Episode sein. Denn die Europäische Union bietet ein hierzulande kaum bekanntes Bonbon an, wie die entsprechende Site der Kommission bürokratisch-nüchtern verkündet: „Der Apothekerberuf fällt in den Anwendungsbereich der Regelung zur automatischen Anerkennung der Diplome, die auf Gemeinschaftsebene für eine begrenzte Zahl von Berufen eingeführt wurde“. Schlichter ausgedrückt: Wer als Pharmazeut hierzulande mit Burnout-Syndrom und deutschen Gesundheitsreformen zu kämpfen hat, kann aussteigen – um im EU-Land seiner Wahl als Apotheker den Neuanfang zu wagen.
Tatsächlich liest sich die Regelung der Kommission wie ein Freibrief, den es einzulösen gilt. Während andere Berufsgruppen bei der Anerkennung des Diploms hohe Hürden überwinden müssen, scheint die Liste der Einschränkungen für Apothekerberufe mehr als minimal. So verwehren einige Mitgliedstaaten den Neulingen die Übernahme einer Apotheke „die vor weniger als drei Jahren eröffnet wurde“, wie die Kommission betont. Auch können in Ausnahmefällen „zusätzliche Berufserfahrungen“ abverlangt werden – doch nur, wenn diese auch den einheimischen Apothekern zugenutet werden.
Doch mitunter muten sich die jeweiligen Länder eine ganze Menge zu, und daran sollten umzugsfreudige Deutsche denken. So zeigt das am 1. Juni 2010 vom Europäischen Gerichtshof verkündete „Urteil in der Rechtssache C-570/07 und C-571/07 José Manuel Blanco Pérez und María del Pilar Chao Gómez / Consejería de Salud y Servicios Sanitarios, Principado de Asturias”, dass unter Spaniens Sonne Gelassenheit das Lebenselixier eines jeden Apothekers sein sollte. Im Zapatero-Land machen nämlich nationale Rechtsvorschriften die Errichtung einer neuen Apotheke von der Erteilung einer vorherigen behördlichen Erlaubnis abhängig – und diese Rechtsvorschriften werden durch die „Autonomen Gemeinschaften“ umgesetzt, die „die genauen Kriterien für die Erteilung einer Erlaubnis zur Eröffnung von Apotheken festlegen“, wie der Gerichtshof nun erklärt.
Die autonome Gemeinschaft Asturien verdeutlicht exemplarisch, was auf arbeitswillige deutsche Pharmazeuten in der neuen Heimat zukommen kann. Seit 2002 gilt die Vorschrift, wonach grundsätzlich nur eine einzige Apotheke pro 2 800 Einwohner errichtet werden darf, zudem ist die Eröffnung einer Apotheke „in einer Entfernung von weniger als 250 Metern von einer anderen Apotheke“ untersagt. Besonders umstritten: Das asturische Dekret legt die Kriterien fest, nach denen konkurrierende Apotheker ausgewählt werden, „indem Punkte aufgrund der beruflichen und universitären Erfahrung der Bewerber vergeben werden“, wie es in einem DocCheck vorliegenden Papier des Europäischen Gerichtshofs heißt. Gegen diese Vorgaben klagten José Manuel Blanco Pérez und María del Pilar Chao Gómez – und verloren letztendlich. Wer sich die Begründung des Gerichts genauer ansieht, fühlt sich in die „Don Camillo und Peppone“ Romane des italienischen Literatur-Maestro Giovannino Guareschi versetzt.
Denn nach Ansicht der obersten Richter der EU verstoßen zwar die asturischen Regeln gegen die Niederlassungsfreiheit. Doch seien für Apotheker nationale Regelungen dann erlaubt, „wenn sie vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen diskriminierungsfrei angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist“.
Gute Gründe, und Tschüss!
Trotz solch skurril anmutender Rechtsvorschriften erweist sich die automatische Anerkennung des Diploms als Weg in eine potenziell bessere Zukunft außerhalb der Bundesrepublik. Was politisch als unliebsam gilt und daher kaum thematisiert wird, lässt sich mittlerweile nicht mehr bestreiten: Die EU bietet für Apotheker oftmals bessere Bedingungen als Deutschland. „Die Handelsspanne der Deutsche Apotheke liegt bei unter 18 Prozent und damit im EU-weiten Ranking an unterster Stelle“, beklagte die ABDA schon 2003 – seitdem hat sich hierzulande kaum etwas geändert. Im Gegenteil. Das Kölner Institut für Handelsforschung (IfH) hat ausgerechnet, dass bei einer Absenkung der Apothekervergütung auf 4,80 Euro pro Packung nahezu 50 Prozent der Apotheken nicht mehr rentabel arbeiten könnten.
Ob rentabel oder nicht, für fest angestellte Apotheker gelten ohnehin die zwischen dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) und der Apothekengewerkschaft ADEXA geschlossenen Tarifsätze. Und die liegen, exemplarisch betrachtet, für Approbierte ab dem 11. Berufsjahr bei derzeit 3.672,00 Euro im Monat. Wer in Europa wie viel verdient lässt sich mit Hilfe der ADEXA eruieren – Österreich glänzt durch tariflich garantierte 4.416 Euro ab dem 25. Berufsjahr und außerdem „Zulagen aus dem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) von 946,20 Euro pro Monat ab Januar 2010“. Die Option Auslandseinsatz aufzuhalten will daher nicht einmal die Bundesagentur für Arbeit. So erhalten beispielsweise, neben anderen Berufsgruppen, auch Apotheker-Legionäre akribisch zusammengestellte Informationen über die Vorzüge Dänemarks. Erhellende Erkenntnis der deutschen Arbeitsmarktexperten: „In Dänemark werden die höchsten Gehälter der EU gezahlt.“