Antibiotika und ambulante OPs führen bei einer Appendizitis zu großen finanziellen Einsparungen im Vergleich zum stationären Eingriff. Für Versicherungen ist das lukrativ. Studien zeigen aber, dass der Arzt genau abwägen muss, welche Behandlung wann und bei wem sinnvoll ist.
Appendektomien zählen zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen schlechthin. Bei der Therapie macht sich langsam ein Umdenken bemerkbar. Die World Society of Emergency Surgery (WSES) bewertet in ihrer vergleichsweise aktuellen Leitlinie Antibiotika als Option bei unkomplizierten Appendizitiden. Sollten dennoch OPs erforderlich sein, sind ambulante Eingriffe möglich. Krankenversicherungen sehen die Entwicklung mit Freuden. Vor allem in den USA lässt sich viel Geld sparen, falls Ärzte eher zur Pharmakotherapie greifen oder Patienten am Tag des Eingriffs nach Hause schicken. Damit erweisen sie nicht jedem Patienten einen Gefallen. Welche Unterschiede gibt es zwischen Kindern und Erwachsenen?
Paulina Salminen © Turku University Hospital Paulina Salminen, Forscherin und Chirurgin am finnischen Turku University Hospital, nahm 530 Erwachsene in eine randomisierte klinische Studie auf. Sie litten an unkomplizierten Appendizitiden, was Salminen und Kollegen per Computertomographie zuvor nachgewiesen hatten. Alle Teilnehmer wurden randomisiert zwei Gruppen zugeordnet. Ärzte behandelten 257 Patienten drei Tage lang mit Ertapenem i.v. (1,0 g/d). Weitere sieben Tage schluckten sie Levofloxacin (500 mg/d) plus Metronidazol (3x500 mg/d). In der OP-Gruppe führten Chirurgen 273 offene Appendektomien aus. Unter der Pharmakotherapie operierten Ärzte 70 Patienten innerhalb von zwölf Monaten wegen einer erneuten Appendizitis, was einer Versagerrate von 27,3 Prozent entspricht. Das heißt aber auch, mehr als sieben von zehn Erwachsenen mussten nicht unter das Messer. Edward Livingston, stellvertretender Chefredakteur der Fachzeitschrift JAMA, bewertet Antibiotika bei unkompliziertem Verlauf trotzdem als Alternative für Erwachsene. Wie sieht es in der Pädiatrie aus?
Ärzte raten bei kleinen Patienten zur raschen Intervention. „Abwarten ist in Anbetracht der möglichen schwerwiegenden Komplikationen keine Option“, sagte Peter Vogt von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) bei einem Kongress. Eine Metaanalyse rückt diese Einschätzung in eine neues Licht. Yuan Li von der Sichuan University im chinesischen Chengdu hat bei Recherchen fünf Studien mit 404 Kindern zwischen fünf und 15 Jahren gefunden. Darunter waren vier Kohortenstudien, aber nur eine randomisierte klinische Studie. Appendizitis und Appendikolithen bei einem 70-jährigen Mann. © Dr. Matthew Lukies, Radiopedia Alle kleinen Patienten hatten auch hier nachweislich eine unkomplizierte Appendizitis. 168 waren in der Antibiotika-Behandlungsgruppe und 236 in der Appendektomie-Gruppe. Die nicht operative Behandlung führte in 152 von 168 Fällen (90,5 Prozent) zum Erfolg. Das entspricht aber auch einem knapp neunfach erhöhten relativen Risiko auf Versagen. „Unsere Meta-Analyse zeigt, dass Antibiotika als Erstbehandlung für pädiatrische Patienten mit unkomplizierter Appendizitis möglich und wirksam sind, ohne das Risiko für Komplikationen zu erhöhen“, kommentiert Li. „Allerdings kommt es häufiger als der Appendektomie zu therapeutischen Versagern, was sich durch Appendikolithen erklären lässt.“ Diese sogenannten Kotsteine stehen mit Komplikationen wie Abszessen oder Darmperforationen in Verbindung. Chirurgen sollten sonographisch besonders auf Appendikolithen achten.
Die Arbeit von Li und Kollegen zeigt auch, in welchen Zwiespalt Ärzte stecken. Eltern nötigten Ärzte in manchen Fällen, bei Kindern trotz Antibiotika und fehlender Indikation zum Skalpell zu greifen. Andererseits kritisieren US-Krankenversicherungen zu hohe Behandlungskosten von Appendektomien. Das ist nicht weiter überraschend. Statista zufolge nehmen amerikanische Kliniken weltweit den Spitzenplatz ein. Durchschnittliche Gesamtkosten einer Appendektomie in verschiedenen Ländern, Stand 2015 (in US-Dollar). © Statista / Screenshot: DocCheck Ähnlich groß ist das Interesse einiger Versicherungen an David R. Rosens Forschung. Er arbeitet an der University of Southern California, Los Angeles. Rosen nahm Aufzeichnungen der Los Angeles County+USC Medical Center unter seine Lupe. In der Einrichtung haben Ärzte ein Protokoll erarbeitet, um bestimmte Patienten am Tag ihrer laparoskopischen Appendektomie zu entlassen. Unter anderem müssen sie nach der Narkose normale Vitalzeichen zeigen, sich allein versorgen, keine starken Schmerzen haben und normal Harn produzieren. Rosen hat sich jetzt die Behandlungsdaten von 173 Patienten angesehen. Von ihnen wurden 113 (61 Prozent) aufgrund des Algorithmus noch am gleichen Tag entlassen. Die Unterschiede zwischen ambulanten und stationären Patienten, nämlich 69 Minuten versus 83 Minuten im OP und 242 versus 141 Minuten im Aufwachraum, brachten wenig Erkenntnisgewinn. Deshalb verglich der Forscher den postoperativen Verlauf mit 178 Patienten aus der Zeit rein stationärer Aufenthalte. Als Mittel der Wahl blieben ihm nur Telefonbefragungen. Beide Gruppen waren hinsichtlich der Ergebnisse und der Patientenzufriedenheit vergleichbar. Komplikationen gab es in der Gruppe mit früher Entlassung nicht. Auf eine Sache weist Rosen jedoch besonders hin: „Ob Patienten am gleichen Tag entlassen oder stationär aufgenommen werden, entscheidet der behandelnde Arzt.“
Er wird versuchen, im Dialog mit Patienten die bestmögliche Strategie zu entwickeln. Dazu nochmals ein Blick in die internationale Leitlinie. „Eine Antibiotika-Therapie kann bei Patienten mit unkomplizierter Blinddarmentzündung erfolgreich sein, die keine OP wünschen und bereit sind, ein bis zu 38-prozentiges Rezidivrisiko zu akzeptieren“, schreiben die Autoren. Sie beziehen sich auf Studien mit erwachsenen Patienten. Sie raten, mit intravenösen Antibiotika zu beginnen, gefolgt von oralen Präparaten. Bei chirurgischen Interventionen sei eine Laparoskopie die erste Wahl. Zu Aspekten der ambulanten oder stationären Therapie werden keine Aussagen getroffen.