Auch vor Helden macht Hepatitis C nicht Halt, mussten 1954 die Fußball-Weltmeister um Rahn und Walter erkennen. Fast 60 Jahre später stehen moderne Diagnostik und Therapien zur Verfügung. Vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig eingesetzt.
Was für das Erfolgsteam des „Wunders von Bern“ mit einem kleinen Stich begann, endete in einer großen medizinischen Niederlage: Bei harmlosen Vitamininjektionen infizierten sich fast alle Spieler mit dem Hepatitis-Virus C (HVC) und erkrankten teilweise schwer. Nach heutigem Kenntnisstand hatte der Mannschaftsarzt die Spritze ungenügend desinfiziert. Leider kein Einzelfall: Aus der Medizingeschichte sind mehrere vergleichbare Situationen bekannt, etwa der HVC-Ausbruch 1978/1979 in der ehemaligen DDR infolge einer Anti-D-Rhesus-Prophylaxe bei Frauen. Bei der Behandlung einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Rhesus-negativen Müttern und Rhesus-positiven Kindern wurden durch kontaminierte Seren 2867 Frauen infiziert. Zu einem noch größeren Desaster kam es in Ägypten: Während der 1950er bis 1980er Jahre versuchte die staatliche Gesundheitsbehörde des Landes, die Wurmkrankheit Bilharziose auszurotten. Bei den groß angelegten Kampagnen verwendeten die Ärzte vermutlich schlecht desinfizierte Kanülen – mit dem Resultat, dass bei zirka sechs Millionen Menschen das HVC in den Körper gelangte.
Keine Symptome – keine Beachtung?
Weltweit teilen über 170 Millionen Menschen dieses Schicksal. Viele wissen nichts vom Virus im eigenen Körper, da Lebererkrankungen anfangs kaum Schmerzen verursachen. Und die Symptome einer HVC-Infektion gleichen oftmals eher einem grippalen Effekt als einem ernstzunehmenden Leiden. Über die Zeit entwickelt sich allerdings in mehr als 70 Prozent der Fälle eine chronische Leberinfektion. „Wir haben heute die Möglichkeit, viele Betroffene zu heilen“, betont Prof. Dr. Michael P. Manns von der Deutschen Leberstiftung. Deshalb sei die Früherkennung so wichtig, etwa durch die Bestimmung des GPT-Wertes (Glutamat-Pyruvat-Transaminase). Ist dieser erhöht, gilt es, der Ursache auf den Grund zu gehen. Spezifische Tests folgen, um Eiweiße und Erbgut-Bestandteile des HVC zu identifizieren.
Wer A sagt…
Prinzipiell unterscheidet die Wissenschaft zwischen den Hepatitis-Viren A, B, C, D und E. Als Übertragungswege konnten verunreinigte Nahrungsmittel, unsauberes Trinkwasser (Hepatitis A/E) bzw. sexuelle Kontakte und Blut-Blut-Kontakte (Hepatitis B/D) nachgewiesen werden. Während die Hepatitis A und E nicht chronifizieren, können die Varianten B und D in manchen Fällen auch den chronischen Verlauf einschlagen und letztlich zu Leberzellkarzinomen führen. Eine Impfung stellt den besten Schutz gegen eine Hepatitis A bzw. B dar. Die D-Variante hat dann automatisch keine Chance, da sie nicht allein zu einer Infektion führen kann. Auch für Hepatitis E befindet sich ein Impfstoff in Vorbereitung.
…muss auch „C“ sagen
Das Hepatitis C-Virus führt hingegen oft zu einer chronischen Infektion, in deren Verlauf es zu einer Leberzirrhose und dann zu einem Leberzellkarzinom kommen kann. Auch Erkrankungen des Immunkomplexes sind möglich. Patienten infizieren sich speziell bei Blut-Blut-Kontakten, also bei Nadelstichverletzungen, bei der Verwendung unsauberer medizinischer Instrumente oder bei schlechter Hygiene in Tattoo- bzw. Piercing-Studios. Auch eine Übertragung auf sexuellem Wege halten Fachleute für möglich.
Kontaminierte Blutkonserven bzw. Blutprodukte stellen heute vor allem in ärmere Länder ein großes Problem dar. Viele der Kliniken können sich die kostenintensive Untersuchung von Spenderblut nicht leisten – ein handelsüblicher HVC-Test kostet etwa in Brasilien mehr als 100 Dollar für eine einzige Probe. Hier soll ein neues, am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin entwickeltes Verfahren Abhilfe schaffen, das laut Dr. Jan Felix Drexler mit nur 19 Dollar zu Buche schlägt. Erkannt werden dabei Regionen, die im Erbgut aller Erregertypen übereinstimmen. Die Methode eignet sich auch, um den Erfolg einer Therapie zu beurteilen. Das Hepatitis C-Virus existiert in sechs verschiedenen Spielarten, sprich genetischen Varianten, und 30 Subtypen. Vor allem zur Vorhersage des Therapieerfolgs haben die genetischen Varianten Bedeutung. Dabei sind die Erfolgsaussichten bei den Genotypen 2 und 3 deutlich höher als bei der Variante 1.
Ein Cocktail gegen das Virus
Bei der Therapie versuchen die Fachärzte vor allem, viruseigene Faktoren auszuschalten und die Vermehrung des Eindringlings so zu unterbinden. Dabei gilt die Behandlung mit pegyliertem Interferon und Ribavirin für 24 bis 48 Wochen, je nach Genotyp des Virus, als Goldstandard. Ribavirin wirkt gegen zahlreiche DNA- und RNA-Viren, indem es das lebensnotwendige Enzym Polymerase hemmt. Viren können folglich ihre Erbsubstanz nicht mehr vermehren. Der Trick beim Einsatz der pegylierten Interferone ist die langsamere Freisetzung des eigentlichen Wirkstoffes aus der Bindung mit dem Polymer Polyethylenglykol. Lediglich einmal wöchentlich muss der Wirkstoff gespritzt werden. Bereits in 2008 hatte die Europäische Kommission beim Genotyp 2 oder 3 eine verkürzte, lediglich 16-wöchige Therapie mit Peginterferon alfa-2 und Ribavirin zugelassen. Voraussetzungen sind eine niedrige Viruslast zu Beginn der Behandlung sowie eine Virusfreiheit innerhalb von vier Wochen.
Für Patienten mit dem viralen Genotyp 1, die auf eine Standardtherapie nicht ansprechen, steht mit Telaprevir vielleicht schon bald ein neues Arzneimittel zur Verfügung. Auch dieser Wirkstoff hat ein virales Enzym zum Ziel. Speziell unter der Kombination Telaprevir, Ribavirin und Peginterferon kam es bei Rund der Hälfte der Patienten zu einem dauerhaften Therapieerfolg. Studienleiter Prof. Dr. Stefan Zeuzem: „Wir gehen davon aus, dass das Medikament die etwa einjährige Therapiezeit halbieren kann und die Heilungsrate bei Hepatitis C Genotyp-1 infizierten Patienten von annähernd 50 auf bis zu 70 Prozent steigern wird“. Allerdings traten unter der Behandlung mit der Dreierkombi bei über der Hälfte der Probanden Hautausschläge auf. Damit kommt diese therapeutische Option vor allem dann in Frage, wenn die Standardkombination versagt hat.
Eine Alternative zu Peginterferon könnte Albinterferon sein. Das entsprechende Präparat müsste lediglich alle zwei Wochen appliziert werden. In Studien hat es sich als ebenso wirksam bei HVC aller drei Genotypen erwiesen wie pegyliertes Interferon. Allerdings hatte Novartis hatte im April bekannt gegeben, dass der Antrag auf Marktzulassung in Europa zurückgezogen worden sei. Die Behörden hätten zusätzliche Daten angefordert, die neue klinische Versuche erforderten.
Alle Hähne abdrehen
Den Mechanismen, wie sich durch HVC ein Tumor entwickelt, sind Forscher am Uniklinikum Freiburg auf den Grund gegangen. Sie fanden mit Lymphotoxin alpha und beta zwei Botenstoffe, die im Tierversuch chronische Leberentzündung bzw. Leberzellkrebs auslösen. Ein Stopp der Signalübertragung schwächte die Entzündung und unterband die Krebsentstehung. „Das Blockieren des Signalweges könnte dementsprechend neue therapeutische Ansätze zur Behandlung chronischer Leberentzündungen eröffnen“, so Dr. Nicolas Zeller. Aber auch die gezielte Unterdrückung eines Erbfaktors kann helfen, sollten alle Stricke reißen. „Wenn Hepatitis C-Viren nicht auf eine Kombinationstherapie ansprechen, dann hängt das mit der Überproduktion des Interferon stimulierenden Gens 15 in der Leber zusammen“, weiß Prof. Dr. Jörg Friedrich Schlaak vom Universitätsklinikum Essen. ISG15, so die Abkürzung, begünstigt die Vermehrung von Viruspartikeln im Körper, indem andere Gene, die den Eindringling in Schach halten würden, kaum mehr zum Zuge kommen. Ein Gentest hilft bei der Entscheidung, welche Behandlung angesagt ist. Dann wäre auch das Herunterregeln der Genaktivität mit Hilfe von kleinen Nukleinsäure-Bausteinen, sogenannten small interfering RNAs, wäre denkbar.
Ein Team am Universitätsklinikum Heidelberg konnte zudem in Leberzellen das Eiweiß Cyclophilin A identifizieren – essentiell zur Vermehrung des HVC. Der bereits bei Organtransplantationen eingesetzte Wirkstoff Ciclosporin hemmt dieses Protein und damit auch die Vermehrung der viralen Eindringlinge. Auf der Suche nach weiteren Substanzen, die keinen Effekt auf das Immunsystem haben, gelang es der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Rolf Bamberger, einen Abkömmling zu synthetisieren. Die Verbindung mit dem Kürzel „DEBIO-025“ hat sich laut Novartis in Phase-II-Tests sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit der Standard-Behandlung bewährt. Momentan durchläuft die Substanz die klinische Phase IIb, um eine geeignete Dosierung zu finden.
Hygiene – nach wie vor das A und O
An der Medizinischen Hochschule Hannover gingen Wissenschaftler der Frage nach, wie robust das HVC eigentlich ist. Die gute Nachricht: Zum Inaktivieren wirken die handelsüblichen Desinfektionsmittel. „Allerdings ist das Virus bei Raumtemperatur relativ stabil. Es hält sich drei Wochen lang in einer Flüssigkeit“, unterstreicht die Forscherin Sandra Ciesek. „Das bedeutet in der Praxis, dass die strengen Hygienemaßnahmen tatsächlich gerechtfertigt sind“. Impfstoffe würden den besten Schutz gegen eine Infektion mit HVC bieten – vorausgesetzt, es gäbe sie. Kommerziell erhältliche Vakzine haben ein gemeinsames Prinzip: Sie aktivieren im menschlichen Körper die Produktion von Antikörpern gegen den viralen Eindringling. Erreger wie das HVC, die sich aber in körpereigenen Zellen „verstecken“, können so nicht erreicht werden. Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts (RKI) erhoffen sich Hilfe vom Immunsystem. „Die Identifizierung dendritischer Zellen, welche die zelluläre Immunantwort mobilisieren, ist ein entscheidender Schritt für die Entwicklung neuer Impfstoffe“, unterstreicht Richard Krozcek vom RKI.