Alle vier Sekunden passiert es: Ein Knochen, durch Osteoporose geschwächt, bricht. In Deutschland leiden sechs Millionen Menschen daran, weltweit sogar 200 Millionen. Doch Diagnostik und Therapie machen große Fortschritte.
Bei den stark anwachsenden Patientenzahlen explodieren zwangsläufig auch die Krankheitskosten. Experten rechnen mit etwa drei Milliarden Euro allein hier zu Lande – ein Großteil durch Stürze und Brüche und die damit verbundenen Folgeerkrankungen. Mit eng verzahnter Diagnostik, Therapie und Prävention kann aber vielen Menschen geholfen werden.
Das Yin und Yang der Knochen
Im Idealfall arbeiten körpereigene Zellen ständig an unseren Knochen: Osteoblasten bauen deren Substanz auf und Osteoklasten wieder ab. Bei der Osteoporose – auf Deutsch Knochenentkalkung – stimmt dieses Gleichgewicht nicht mehr. Es laufen biochemische Prozesse ab, die zu einem Verlust der Knochensubstanz führen. Anfangs häufig unbemerkt, nimmt die Knochendichte mit der Zeit immer weiter ab. Treten erste Frakturen auf, sind meist größere Interventionen nötig, um Patienten wieder zu mobilisieren und deren Schmerzen zu lindern. Häufig sind die Wirbelkörper betroffen – der Volksmund spricht wenig schmeichelhaft vom Witwenbuckel. Aber auch Frakturen des Schenkelhalses am Oberschenkelknochen sowie des Oberarmkopfes treten auf. Hinzu kommen Brüche der Handgelenksknochen bzw. des Beckenknochens.
Allerdings unterscheiden sich viele Knochen grundlegend voneinander. Wissenschaftler des Berliner Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik und der Charité haben deshalb die Entwicklungsprozesse unter die Lupe genommen. „Fast alle Knochen entstehen aus einem knorpeligen Vorskelett“, so Stefan Mundlos. Gesteuert wird der Prozess von den sogenannten Hox-Genen, die knochenbildende Stammzellen kontrollieren. Diese wären nach Mundlos ein möglicher Ansatz für neue Therapien.
Am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch konnten Forscher den Mechanismus der Osteoporose entschlüsseln. Ein Genschalter, der in zwei Varianten auftritt, steuert dabei das Gleichgewicht zwischen dem Aufbau und Abbau von Knochensubstanz. Eine Form unterdrückt die Aktivität der abbauenden Osteoklasten, die andere erhöht sie.
Keine Chance für Knochenkiller
Zahlreiche Erkrankungen machen den Knochen spröde. Meist sind Hormonumstellungen der Auslöser: Rund 80 Prozent der Krankheitsfälle treten bei Frauen auf, und zwar meist nach der Menopause. Sinkt der Östrogenspiegel, wird vermehrt Kalzium ausgeschieden. Auch eine zu aktive Schilddrüse nimmt über hormonelle Regelkreise Einfluss auf den Kalziumstoffwechsel. Und manche Neoplasien bzw. chronischen Entzündungserkrankungen machen das Knochengewebe spröde.
Zu wenig Magensäure, beispielsweise durch die Behandlung mit Protonenpumpenhemmern, hat ebenfalls fatale Folgen: Durch die Anhebung des pH-Werts nimmt der Körper Kalzium nicht mehr ausreichend aus der Nahrung auf. Damit lüfteten Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf das Rätsel, warum Patienten, die mit Säureblockern behandelt wurden, ein höheres Knochenbruchrisiko haben. Als Therapie schlägt das Team um Thorsten Schinke und Michael Amling Kalziumgluconat vor – das gebräuchliche Carbonat würde bei fehlender Magensäure kaum aufgenommen.
Kalkfresser Kortison
Bei einer hoch dosierten Kortisontherapie kann es zu einer Entkalkung der Knochen kommen. Den Grund fanden Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Altersforschung – Fritz-Lippmann-Institut. Sie konnten zeigen, dass bei einer Kortisongabe der Knochenaufbau in Mitleidenschaft gezogen wird, nicht – wie früher angenommen – der Abbau der Knochensubstanz forciert wird. „Es gibt aber auch gute Nachrichten“, so Jan Peter Tuckermann. „Wir sind zuversichtlich, dass es bald gelingt, die unheilige Allianz zwischen Therapieeffekt und Nebenwirkungen durch die Entwicklung neuer Glucocorticoide aufzubrechen“.
Diagnostik aus dem Meer gefischt
Zur Messung der Knochendichte nutzt man üblicherweise Röntgenstrahlen, die durch Gewebe unterschiedlicher Dichte verschieden stark geschwächt zu werden. Manche Patienten lehnen diese Messungen aus Angst vor den Folgen der Strahlenexposition jedoch ab. Für sie haben Meeresforscher am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften quasi durch Zufall eine neue Methode entwickelt. Die Meeresbiologen untersuchten eigentlich die Einlagerung von Mineralien in Ablagerungen, um die Geschichte der Ozeane zu ergründen. Ihre Erkenntnis für die medizinische Diagnostik: Aus dem Verhältnis verschiedener Isotopen – also Atomarten – des Kalziums können Aussagen über eine mögliche Störung des menschlichen Kalziumhaushalts getroffen werden. Dazu wird lediglich eine Urinprobe benötigt. Sind in dieser vermehrt „schwere“ Kalzium-Isotope zu finden, lässt dies zum Beispiel Rückschlüsse auf einen Mangel des Minerals zu.
Die Milch macht´s – aber nicht allein
Vorbeugen ist besser als „bohren“, auch bei der Osteoporose. An erster Stelle stehen körperliche Aktivität sowie der Verzicht von Alkohol und Nikotin. Bei älteren Menschen sollte auch über eine Sturzprävention nachgedacht werden. Zu einer Sturzanamnese, die vor allem die gesamte Arzneimitteltherapie bewertet, raten Experten bei multimorbiden Patienten sogar in jährlichem Abstand.
Eine entscheidende Rolle hat Cholecalciferol. Das sogenannte Vitamin D3 reguliert den Kalziumspiegel im Körper. Es bildet sich in der Haut aus einer Vorstufe, sobald der Körper UV-B-Strahlung ausgesetzt ist. Stehen ansonsten Fettfische auf dem Speiseplan, so nimmt der Körper die Substanz in ausreichendem Maße auf. Aber auch andere Tiere unseres Speiseplans enthalten Choleclaciferol in unterschiedlichen Mengen. Die physiologisch aktive Form, Calcitriol, reguliert den Kalziumhaushalt über die Knochen, den Darm, die Nebenschilddrüse und die Niere.
Als Ergänzung kann Risikopatienten die Aufnahme von etwa einem Gramm Kalzium und 600 bis 1.000 IE Vitamin D pro Tag geraten werden. Laut einer Metaanalyse, die am Gentofte County Hospital, Kopenhagen, Dänemark, ausgeführt wurde, ist nur die kombinierte Gabe sinnvoll – ohne das „Knochenhormon“ wird das Mineral schlecht eingebaut.
Bereits die Versorgung von Babys und Kleinkindern scheint einen viel stärkeren Einfluss auf eine mögliche Osteoporose im Alter zu haben als bisher angenommen. Das konnten Wissenschaftler der North Carolina State University zumindest an Versuchstieren zeigen, die während der ersten Lebenstage mit einer kalziumreichen bzw. kalziumarmen Diät gefüttert wurden. Die Gruppe, die das Mineral in ausreichendem Maße bekommen hatte, zeigte deutlich mehr Osteoblasten als die andere Gruppe. Chad Stahl, Autor der Studie: „Ausgehend von dieser Erkenntnis muss über die optimale Kalziummenge in Muttermilchersatz neu nachgedacht werden“.
Therapeutische Vielfalt
Bei Frauen vermindert die Hormonersatztherapie u.a. das Risiko, nach der Menopause eine Osteoporose zu entwickeln. Jetzt liegt mit der Women´s Health Initiative (WHI) eine Doppelblindstudie vor, die eine deutliche Verringerung von Schenkelhals- und Wirbelkörperfrakturen ergeben hat. Diese präventive Aspekt allein ist jedoch keine Indikation, da die Behandlung auch mit zahlreichen Risiken einher geht: Patientinnen erkranken häufiger an Brustkrebs bzw. entwickeln öfter Embolien in den tiefen Beinvenen und in der Lunge. Vielmehr gilt es, Nutzen und Risiken sorgfältig abzuwägen.
Bisphosphonate lagern sich aufgrund ihrer chemischen Verwandtschaft zum Phosphat direkt im Knochen ein. Der Nutzen: Sie binden vorzugsweise an Stellen mit stärkerer Knochenresorption und verhindern dort den weiteren Abbau von Substanz. Bisphosphonate werden aber auch von Osteoklasten, den knochenabbauenden Zellen, aufgenommen. Über eine komplexe Kaskade kommt es schließlich zum induzierten Tod dieser Zellen.
Hingegen führen Östrogenrezeptormodulatoren zu einer östrogenartigen Wirkung auf die Knochen. Über eine komplexe Kaskade hemmen die Substanzen Osteoklasten und tragen damit zu einem vermehrten Aufbau von Knochensubstanz bei. Aufgabe von Antiresorptiva wie Teriparatid ist die Neubildung von Knochensubstanz, indem sie die Osteoblasten stimulieren. Das Molekül gilt als Hauptregulator des Kalzium- bzw. Phosphatstoffwechsels in der Niere und im Knochen.
Auch ein Mineral hat Einzug in die Therapie gehalten: Strontium, mit Kalzium chemisch verwandt, bindet mit hoher Affinität an den Knochen. Dort hemmt es osteoklastäre Zellen. Bei Schmerzen bzw. Komplikationen im Wirbelbereich greifen die Fachleute zur chirurgischen Stabilisierung durch einen Ballonkatheter und die nachfolgende Auffüllung mit Knochenzement, was meistens die Schmerzen der Patienten schnell lindert.
Frisch aus der Pipeline
RANK – hinter diesem Kürzel verbirgt sich ein Eiweiß, das im Körper als zentrale Schnittstelle des Knochenstoffwechsels fungiert. Bei Babys etwa sorgt RANK für eine ausreichende Aufnahme aus der Muttermilch. Auch den ständigen Auf- und Abbau von Knochensubstanz koordiniert dieses Protein. Basierend auf den Erkenntnissen wurde eine Therapie mit humanen Antikörpern gegen die Bindungsstelle von RANK entwickelt. Ende Mai hat die Europäische Arzneimittelbehörde Denosumab die Zulassung zur Behandlung von postmenopausalen Frauen sowie von Männern mit Prostatakarzinom erteilt.
Einen anderen Weg gingen Wissenschaftler von Merck Sharp & Dohme mit dem noch im Prüfstadium befindlichen Antikörper Odanacatib. Dieser bindet an das Enzym Kathepsin K, das beim Abbau von Knochen durch Osteoklasten eine zentrale Rolle spielt. ,,Die Ergebnisse zeigen, dass Odanacatib mehrere klar gekennzeichnete biochemische Knochenumsatzmarker bei Krebspatientinnen mit Knochenmetastasen reduzierte, was darauf hinweist, dass dieses Prüfpräparat den mit Knochenmetastasen verbundenen beschleunigten Knochenabbau potenziell verlangsamen kann“, so Dr. med. Christopher Wynne, Studienleiter und klinischer Onkologe des Christchurch Clinical Studies Trust in Neuseeland. Einen weiteren möglichen Hemmstoff fanden Forscher des Hans-Knöll-Instituts und der Universität Jena beim Kontakt des Schimmelpilz Aspergillus nidulans mit Bakterien. Hier ist jedoch noch mehr Forschungsbedarf nötig.