Jeder kennt sie und jeder hat sie: Schmerzen, und genauso Analgetika. Die meisten Laien behandeln leichte Schmerzen selbst, dabei ist nicht jedes Schmerzmittel für jeden Schmerz geeignet. Welche Arten von Analgetika es gibt und in Zukunft geben könnte, lest Ihr hier.
Schmerzen lindern - welcher Arzt möchte das nicht gerne für seine Patienten? Es klingt so einfach und kann doch in der Praxis eine große Herausforderung sein. Nicht jedes Analgetikum wirkt gleich gut in jeder Lage: es gibt viele verschiedene Arten von Schmerz und individuelle Unterschiede im Ansprechen. Außerdem müssen verschiedene Risikoprofile und Nebenwirkungen beachtet werden. Analgetikum ist eben nicht immer gleich Analgetikum.
Altbewährtes
Nicht-Opioid-Analgetika vermindern durch Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX) die Prostaglandinsynthese. Die Schmerzmittel ASS, Ibuprofen, Diclofenac oder Coxibe, sind nur einige Vertreter dieser relativ großen Gruppe. Durch die Enzymhemmung wirken sie, in unterschiedlich starker Ausprägung, nicht nur analgetisch (schmerzlindernd), sondern auch antipyretisch (fiebersenkend) und antiphlogistisch (entzündungshemmend). So wirken zum Beispiel ASS, Paracetamol und Metamizol vergleichsweise stark antipyretisch und eignen sich daher besonders gut bei Schmerzen in Kombination mit Fieber. Es gibt also substanz-spezifische Besonderheiten und damit Einsatzgebiete, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Grundsätzlich eignen sich Nicht-Opioid-Analgetika sowohl in der Akutsituation zur Schmerzlinderung, als auch bei chronischen Schmerzen, dann ggf. auch in Kombination mit Opioiden (Stufe I bis III des WHO-Schemas).
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen gehören Schädigung der Magenschleimhaut mit Gefahr von Ulcera, Nierenfunktionsstörungen von akutem Nierenversagen bis hin zur chronischen Schädigung, Thrombozytenaggregationshemmung (Ausnahme: Coxibe, da sie selektiv die COX-2 inhibieren) sowie Bronchokonstriktion ("Aspirin-Asthma"). Außerdem kann es zu Leberschäden, allergischen Reaktionen oder einer toxischen Knochenmarkschädigung kommen. Alle NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) weisen außerdem ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auf.
Opioide wie Morphin, Buprenorphin (Temgesic®) oder Piritramid (Dipidolor®) bilden die zweite große Gruppe der Analgetika. Sie unterliegen, von wenigen Ausnahmen (Codein, Tramadol) abgesehen, dem Betäubungsmittelgesetz, da sie ein hohes Abhängigkeits- und Missbrauchspotential besitzen. Da Opioide unterschiedlich stark an die verschiedenen Rezeptoren (μ,- κ- und/oder δ-Rezeptoren) binden, unterscheiden sich die Substanzen auch in den klinischen Effekten. Man unterteilt sie in reine Agonisten, gemischte Agonisten-Antagonisten, Partialagonisten und reine Antagonisten.
Opioide wirken nicht nur analgetisch, sondern auch sedierend und antitussiv. Hauptindikationen für Opioide sind schwere Schmerzzustände und chronische Schmerzen (Stufe II und III des WHO-Schemas). Zu den wichtigsten Nebenwirkungen dieser Kategorie gehören neben dem Abhängigkeitspotential Atemdepression und Miosis. Durch eine Tonuszunahme der glatten Muskulatur kann es zu spastischer Obstipation, Sekretstau in Gallengängen und Pankreas, Miktionsbeschwerden bis zum Harnverhalt und/oder Bronchokonstriktion kommen. Außerdem kann es zu einer zentralen Sympatholyse, einem Anstieg des Hirndruckes sowie zu Muskelrigidität kommen.
Neu-Entdecktes
Die Firma Grünenthal aus Aachen hat nun einen neuen Wirkstoff entwickelt. Er heißt Tapentadol und wirkt über zwei verschiedene Mechanismen analgetisch: Zum einen dämpft er über μ-Opioidrezeptoren die prä- und postsynaptische Weiterleitung von Schmerzreizen im Rückenmark und im Gehirn und zum anderen bewirkt er über eine Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung eine gesteigerte NA-Konzentration im synaptischen Spalt, was zu einer Aktivierung von absteigenden, schmerzhemmenden Bahnen führt. Diese zwei Wirkmechanismen arbeiten synergistisch, da sie an unterschiedlichen Stellen der Schmerzweiterleitung ansetzen. Ein wichtiger Vorteil des neuen Wirkstoffes ist außerdem das verbesserte Nebenwirkungsprofil mit wesentlich weniger Übelkeit und Erbrechen, weniger Verstopfung, seltener Juckreiz oder Benommenheit und so gut wie nie Veränderungen von Blutdruck und Herzrhythmus.
Die Markteinführung in den Vereinigten Staaten erfolgte am 22. Juni 2009. Tapentadol kommt in zwei Darreichungsformen auf den Markt: als schnell freisetzende Tablette (Stärken: 50, 75 oder 100 mg) und als retardierte Tablette. Daten der amerikanischen, klinischen Phase 2 und 3 Studien sind vielversprechend und zeigen, dass die Wirksamkeit von Tapentadol vergleichbar ist mit anderen starken, zentral wirksamen Analgetika wie Oxycodon oder Morphin, bei gleichzeitig verbessertem Verträglichkeitsprofil. Grünenthal hat inzwischen auch in mehreren europäischen Ländern, unter anderem beim deutschen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Zulassung für beide Darreichungsformen beantragt, so dass es möglicherweise noch in diesem Jahr auch in Deutschland zu einer Markteinführung kommt.
Mit Tapentadol würde dann eine weitere Alternative im Kampf gegen die Schmerzen zur Verfügung stehen. Neben den altbewährten Analgetika hat man möglicherweise bald noch eine weitere Behandlungsoption bei Schmerzzuständen, deren Einsatzgebiete und Wirkung im Vergleich zu den klassischen Analgetika aber sicherlich noch weiterer Überprüfung bedürfen.