Colitis ulcerosa und Morbus Crohn – in Deutschland leiden rund 300.000 Menschen an diesen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Forscher konnten nun einen wichtigen Hebel identifizieren, der mitverantwortlich dafür ist, dass die Darmschleimhaut nicht ausheilt.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa sind nicht leicht zu therapieren und gehen mit zum Teil schweren Einbußen der Lebensqualität einher. Immer noch ist nur unzureichend geklärt, wie die Erkrankungen entstehen und welche Faktoren ihren Ausbruch verursachen. „Wahrscheinlich führt eine Kombination aus genetischen Veränderungen und Umweltfaktoren zu einer unkontrollierten Immunreaktion im Darm“, sagt Samuel Huber, Forschungsgruppenleiter an der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Aufgrund von Barrieredefekten dringen Mikroben in die Darmschleimhaut ein und verstärken die Entzündung. Und die Entzündung verstärkt dann die Barrieredefekte. Es entsteht ein Teufelskreis.“
Da chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bislang nicht heilbar sind, zielen alle Therapiemaßnahmen darauf ab, die Beschwerden der CED-Patienten zu verringern und den Entzündungsprozess zu stoppen. Glukokortikoide sind dabei die wichtigsten Medikamente. Wenn sie nicht ausreichen, um die Patienten in eine Remission zu bringen, werden Immunsuppressiva oder TNF-alpha-Blocker gegeben. Aber selbst von den bisher potentesten Medikamenten profitiert nur ein Teil der CED-Patienten. Vielleicht können die anderen Erkrankten aber zukünftig auf eine neue Behandlungsoption hoffen: Denn Huber und seine Kollegen sind einem Mechanismus auf die Spur gekommen, der bei CED-Patienten die Entzündung in der Darmschleimhaut aufrechterhält. Wie die Forscher in einem Artikel in der Fachzeitschrift Science mitteilen, scheint der Botenstoff Interleukin-22 (IL-22) seine Schutzfunktion bei CED-Patienten nicht mehr auszuüben, weil er durch ein anderes Molekül ausgeschaltet wird.
„IL-22 wird von Immunzellen produziert und fördert die Wundheilung, indem es die Zellteilung und die Produktion von antimikrobiellen Peptiden fördert“, erklärt Huber. „Auch bei CED-Patienten in einer aktiven Phase lassen sich große Mengen an IL-22 in der Darmschleimhaut nachweisen“. Doch aus bisher unbekannten Gründen, so Huber, könne IL-22 seine protektive Aufgabe bei den Erkrankten nicht erfüllen und das Darmgewebe bliebe entzündet. Aus Tierversuchen ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass IL-22 einen Gegenspieler besitzt. Das Interleukin-22-Bindeprotein (IL-22BP) wird von dendritischen Zellen produziert und sorgt bei Mäusen dafür, dass das regenerative Programm gestoppt wird, sobald die Wundheilung abgeschlossen ist. Das Team um Huber wollte deshalb im Rahmen ihrer Studie herausfinden, welche Rolle IL-22BP bei CED-Patienten spielt. Die Forscher entnahmen Patienten, die an Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa litten, Gewebeproben aus dem Darm und bestimmten die Mengen von IL-22 und IL-22BP. Befanden sich die Probanden in einer akuten Phase ihrer Erkrankung, wies das Gewebe im Vergleich zu Proben von gesunden Menschen hohe IL-22-Konzentrationen auf. Interessanterweise war bei den CED-Patienten die Konzentration von IL-22BP ebenfalls leicht erhöht und nicht niedriger, wie die Forscher es erwartet hatten. IL-22BP (rot) wird bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa in entzündeten Darmarealen verstärkt produziert. © S. Huber Als Huber und sein Team die einzelnen Zellpopulationen im Gewebe genauer analysierten, machten sie eine weitere Entdeckung: Das zusätzliche IL-22BP wird nicht von dendritischen Zellen hergestellt, sondern von T-Zellen. „Zu Beginn der Entzündung produzieren T-Zellen nicht nur IL-22 sondern offenbar auch IL-22BP. Es bindet IL-22 und setzt dieses außer Gefecht“, sagt Huber.
„Die Entzündung kann nicht abklingen und wird chronisch.“ In weiteren Experimenten mit Mausmodellen für CED konnten er und seine Mitarbeiter bestätigen, dass IL-22 diese Tiere nur dann vor einer chronischen Darmentzündung bewahrt, wenn kein aus T-Zellen stammendes IL-22BP vorhanden ist. „Wenn kein IL-22 da war, wurden die Mäuse krank, egal, ob ihre T-Zellen IL-22BP produzierten oder nicht“, berichtet Huber. „War dagegen IL-22 vorhanden, blieben die Mäuse nur gesund, wenn ihre T-Zellen kein IL-22BP herstellen konnten.“ Die Blockade des Tumornekrosefaktors-alpha (TNF-alpha) gilt derzeit als effektivste Therapie bei Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. TNF-alpha ist ein wichtiger Signalstoff, der bei Entzündungen ausgeschüttet wird und die Aktivität verschiedener Immunzellen regelt. Um festzustellen, ob ein Zusammenhang zwischen TNF-alpha und IL-22BP besteht, untersuchten Huber und sein Team Gewebeproben von CED-Patienten, die mit TNF-alpha-Blockern behandelt wurden. Bei Patienten, die auf diese Therapie ansprachen, stellten die T-Zellen wenig IL-22BP her. Bei den Patienten dagegen, bei denen der TNF-alpha-Blocker keine Wirkung erzielte, zeigte sich eine hohe IL-22BP-Produktion durch T-Zellen.
„TNF-alpha-Blocker drosseln vermutlich auf indirekte Weise die Produktion von IL-22BP in den T-Zellen. Warum das aber nicht bei allen Patienten funktioniert, wissen wir noch nicht“, sagt Huber. Da TNF-alpha-Blocker nicht nur gegen IL-22BP wirken, sondern auch andere Funktionen der Immunabwehr unterdrücken, erhöht ihr Einsatz das Risiko für Infektionskrankheiten. Huber schlägt deshalb vor, IL-22BP direkt anzugreifen. Doch auch dieser Ansatz birgt Gefahren: „Wenn man das Molekül im gesamten Körper ausschalten würde, also auch das IL-22BP aus den dendritischen Zellen, könnte sich dadurch das Tumorrisiko für die Patienten erhöhen“, befürchtet Huber. „Wir müssen deshalb noch besser die Regulationsmechanismen von IL-22 und IL-22BP verstehen, damit wir das aus den T-Zellen stammende IL-22BP gezielt angreifen können.“
Andere Experten sind von der neuen Veröffentlichung begeistert: „Das ist eine tolle Studie, weil die Ergebnisse nicht nur mithilfe von Mausmodellen gewonnen wurden, sondern auch am Patienten bestätigt wurden“, sagt Jan Wehkamp, Leiter der Forschergruppe Mucosale Verteidigung an der Abteilung Innere Medizin des Universitätsklinikums Tübingen. Seiner Ansicht untermauern die Daten weiter die Hypothese, dass Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa komplexe Barriereerkrankungen sind, bei denen der Botenstoff IL-22, der in der Barriere den Schutzmechanismus gegen eindringende Mikroben steuert, durch IL-22BP gehemmt wird. Durch die Blockade, so Wehkamp, würden beispielsweise weniger protektive antimikrobielle Peptide wie zum Beispiel Defensin-2 produziert und schädliche Bakterien könnten tiefer in die Darmschleimhaut eindringen.
„Es schon seit schon seit Jahren bekannt, dass bei Morbus Crohn-Patienten die Bildung von Defensin-2 nicht richtig funktioniert, die Studie von Huber und seinem Team liefert nun eine weitere plausible Erklärung für diese Beobachtung“, sagt Wehkamp. „IL-22BP blockiert IL-22, was wiederum dazu führt, dass protektive Abwehrmoleküle wie Defensin-2 nicht richtig gebildet werden können.“ Neben der von Huber vorgeschlagenen Hemmung von IL-22BP, so der Mediziner, könnten auch Defensin-2 und andere IL-22-abhängige Moleküle direkt den Schutzmechanismus in der Darmschleimhaut wieder aktivieren. Hätten diese Therapieansätze Erfolg, wären sie eine wichtige Ergänzung zu den bisher zugelassenen Arzneien. „Wir brauchen nach wie vor dringend neue Medikamente, mit denen wir auch die vielen therapieresistenten Patienten besser als bislang behandeln können“, findet Wehkamp. „Denn jede dauerhafte Entzündung schränkt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen ein, sondern erhöht auch das Risiko von Darmkrebs erheblich.“