Für Menschen, die unter Stuhlinkontinenz leiden, gibt es Anlass zur Hoffnung: Die Implantation von Reparaturzellen aus gesunder, körpereigener Muskulatur verspricht Heilung.
Ungewollter Stuhlabgang ist für die meisten Menschen eine der peinlichsten Situationen, die sie sich vorstellen können. Die anale Inkontinenz ist aber auch eine äußerst belastende Erkrankung, die zu Depressionen und sozialer Isolation führen kann. Am häufigsten sind Frauen als Folge einer geburtstraumatischen Schädigung des Beckenbodens von der Erkrankung betroffen. Selbst in medizinischen Fachkreisen ist Stuhlinkontinenz immer noch ein großes Tabu: Patienten schweigen aus Scham und Ärzte fragen viel zu selten nach.
Das mag daran liegen, dass den Betroffenen bisher keine nachhaltig erfolgreichen Behandlungsoptionen angeboten werden konnten. In schweren Fällen ist mit konservativen Behandlungsmethoden nur wenig Verbesserung erzielbar. Für diese Patienten stellten chirurgische Eingriffe, wie das überlappende Vernähen des durchtrennten Schließmuskels oder die Sakralnerven-Stimulation, die letzte Hoffnung dar. Trotz des hohen Aufwands und des Komplikationsrisikos haben diese Methoden sehr schlechte Langzeitergebnisse gezeigt.
Neuer Ansatz mit Muskelzellen
Einen ganz anderen Weg schlägt Univ.-Prof. Dr. Andrea Frudinger, Leiterin der Forschungseinheit für anale Inkontinenz an der Universitätsfrauenklinik Graz, seit kurzem ein: Ein von ihr entwickeltes Behandlungsverfahren zielt darauf ab, den Muskeldefekt mit körpereigenen Zellen zu reparieren. Das Verfahren könnte die Therapie der analen Inkontinenz revolutionieren. Die Wirksamkeit des neuen Therapieansatzes wurde an zehn Frauen, im Alter zwischen 24 und 65 Jahren, untersucht. Sie litten bereits seit Jahren an einer schweren, die Lebensqualität dramatisch beeinträchtigenden Stuhlinkontinenz. Sie wurden in eine Pilotstudie eingeschlossen, deren Ziel es war, die Inkontinenz mit Reparaturzellen aus gesunder, körpereigener Muskulatur zu beheben, die in das Narbengewebe injiziert wurden.
Die Ergebnisse übertrafen alle Erwartungen: Die ersten Patientinnen berichteten bereits eine Woche nach der Implantation, keinen Stuhl mehr zu verlieren, nach vier Wochen waren neun der zehn Studienteilnehmerinnen kontinent. Die Einjahres- und mittlerweile auch von allen Patientinnen vorliegenden Zweijahresergebnisse bestätigen die anhaltende Wirksamkeit der neuen Therapie. Alle Studienteilnehmerinnen führen mittlerweile wieder ein ‚normales‘ Leben.
Tageschirurgischer Eingriff
Die Methode scheint denkbar einfach: Mittels einer Biopsie werden im ersten Schritt Zellen aus dem Brustwandmuskel gewonnen. Dieser Eingriff kann in Lokalanästhesie erfolgen. "Dafür reicht ein 1-cm langer Schnitt in der Achselhöhle aus, der keine sichtbare Narbe hinterlässt", betont die Gynäkologin. Die auf diese Weise gewonnen Zellen werden im Labor isoliert und vermehrt. Drei bis vier Wochen nach der Biopsie konnten die vermehrten Reparaturzellen in mehreren Einzelinjektionen in das Narbengewebe implantiert werden. Um das exakte Einbringen der Zellen zu gewährleisten mussten jedoch im Vorfeld eine spezielle Ultraschallsonde und eine entsprechende Injektionsvorrichtung entwickelt werden. Um das Einwachsen der Zellen zu verbessern, wurde zusätzlich für mehrere Wochen eine Elektrostimulation des Beckenbodens durchgeführt.
Da die Eingriffe sehr gut toleriert wurden und es auch keinerlei Komplikationen gab, wird die Implantation in Zukunft als tagesklinischen Eingriff durchgeführt werden. Das Team um Frudinger möchte nun in einer größeren Pilotstudie mit 30-50 Patienten Männer und Frauen behandeln, die keinen Schließmuskeldefekt, sondern nur eine Schließmuskelschwäche haben. Darüber hinaus sollen demnächst die Ergebnisse dieser Pilotstudie in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie an etwa 250 Patienten überprüft werden.