Botox ist den meisten als Faltenglätter bekannt und wird nun auch zur Behandlung von Migräne eingesetzt. Erfahrt hier, wie Botox wirkt, wofür es angewendet wird und welche Risiken die Patienten dabei eingehen.
Mit Antifalten-Cremes geht es los, der nächste, angeblich so harmlose Schritt zur Faltenglättung mit Botox ist schnell gemacht und schließlich lockt das Universal-Facelifting. Aber wie sinnvoll oder risikoreich sind grade die "Einstiegsbehandlungen" wie Botox wirklich? Welche Risiken sollte man unbedingt kennen und wo liegt gar die Grenze zur Körperverletzung?
Viele Frauen in unserer mediengeprägten Gesellschaft empfinden, wenn sie tatsächlich die ersten Schwächen im Bindegewebe feststellen, das Verlangen nach einem Aufhalten oder zumindest nach Verzögerung des natürlichen Alterungsprozesses. Diese Tatsache allein wirkt sicherlich nicht schädlich, so wie auch die Verwendung der richtiges Cremes sicher nicht zu einer Verschlechterung des Aussehens beiträgt. Was allerdings passieren kann, wenn man sich mal eben in der Mittagspause die Zornesfalten auf der Stirn mit dem Nervengift Botox glätten lassen möchte, das wird oft verschwiegen. Wie gefährlich ist nun eine solche Behandlung, was genau lasse ich mir spritzen und mit welchen Ergebnissen kann ich rechnen?
Was ist Botox überhaupt?
Botox oder Botulinumtoxin ist ein Pflanzengift, welches (in korrekter Dosis appliziert) die feinen Nerven der Gesichtsmimik lähmen kann. Botulinumtoxin ist der Name eines natürlichen Eiweißstoffes, der von Clostridium botulinum Bakterien hergestellt wird. Bekannt wurde das Toxin unter dem Medikamentennamen Botox. Dieses Gift blockiert bestimmte Nervenimpulse. Seit ca. 20 Jahren erforschen Ärzte die Wirkungen des Stoffes bei Nervenkrankheiten. Auch mit der Blockade übermäßiger Schweißbildung (Hyperhidrose) und der Rückbildung dynamischer Gesichtsfalten haben sich heutzutage neue, äußerst lukrative Anwendungsgebiete für dieses Arzneimittel aufgetan.
Wie funktioniert Botox?
Botox wird gezielt unter die Haut in die Nähe des gewünschten Nervs gespritzt und gelangt so zu den jeweiligen Innervationsgebieten der feinen Gesichtsmuskeln. Dort blockiert es gezielt die hierhin geleiteten Nervenimpulse, die Muskeln sind somit in ihrer natürlichen Funktion gelähmt. Folglich ist es nur logisch, dass Botox, in die Nähe einer zuleitenden Nervenbahn der Schweißdrüsen injiziert, diese vorübergehend ganz oder teilweise in ihrer Funktion blockieren kann. Das Toxin wird im Sinne der Faltenglättung entsprechend vor allen Dingen bei den Falten der Stirn, Falten um und zwischen den Augen, aber auch um Mund, Nase, Kinn und Hals eingesetzt. Andere Nervenfunktionen, wie z.B. das Berührungsempfinden oder das Temperaturempfinden, sollten möglichst nicht beeinflusst werden.
Gift oder Wunder der Natur?
Botulinumtoxin wurde ursprünglich nicht als kosmetisches Medikament entwickelt. Die Giftigkeit verdorbener Nahrungsmittel wurde etwa 1817 bekannt, damals beschrieb Justinus Kerner erstmals den "Botulismus". Diese Krankheit wird am häufigsten durch kontaminierte Lebensmittel hervorgerufen, die unter Luftabschluss gelagert werden, wie zum Beispiel in Wursthäuten, Vakuumverpackungen, Konserven, Flaschen oder Ähnlichem. Frühsymptome der Vergiftung mit diesen verdorbenen Waren sind Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall. In diesem Stadium kann noch versucht werden durch Gabe eines Antitoxins die Aufnahme in die Nervenendigungen zu vermindern. Gelingt dies nicht, so können die Spätschäden von Sehstörungen bis hin zur Atemlähmung führen. 1895 schließlich gelang es einem belgischen Professor, das berüchtigte, oft tödliche "Wurstgift" zu identifizieren. Professor van Ermengen prägte auch den Begriff Botulinumtoxin. Er leitet sich von den lateinischen Worten, Botulus = Wurst und Toxin = Gift ab. Die Herstellung in Reinform gelang allerdings erst 1946.
Die Möglichkeiten der Muskelblockade waren dann schnell identifiziert und in den 60er Jahren beschäftigten sich erstmals die Ophthalmologen Scott und Schantz mit einer Therapie für das Schielen sowie des unkontrollierbaren Zwinkerns. Sie machten die erstaunliche Entdeckung, dass Botox hilfreich sein kann, um die Koordination der Augenmuskeln zu verbessern. Das ungeheure Potenzial dieses Giftes war somit erkannt, doch wo nur sollte man es gewinnbringend anbieten? 1989 wurde das erste Medikament in Amerika zugelassen, allerdings ausschließlich zur Behandlung von Augenmuskelerkrankungen.
Die eigentliche Entdeckung der Faltenglättung war, genau gesagt, ein Zufall, da Dr. Scott bei der Behandlung seiner Patienten auffiel, dass einige der mimischen Gesichtsfalten verschwanden. Fortan setzte sich eine Welle der Begeisterung in Gang, speziell als man begann, in diesem Bereich der Anwendung zu forschen. Obwohl die Medikamente noch keine offizielle Zulassung dafür hatten, fanden sich immer mehr Fürsprecher und Patienten, welche die Anwendung zur Faltenglättung wünschten. Inzwischen haben sich die Gesundheitsbehörden der USA, der Schweiz, von Kanada und nahezu allen europäischen Ländern von der Sicherheit und Wirksamkeit verschiedener Botulinumtoxinmedikamente überzeugt und Mittel für ästhetische Anwendungen in Europa zugelassen (z.B. Vistabel, Dysport).
Wo und wie lange wirkt eine Botox-Behandlung?
Eine besondere Schwierigkeit stellte in der Vergangenheit die Behandlung der dynamischen Gesichtsfalten dar. Dies sind Falten, die bei jedem von uns durch die alltägliche Aktivität der Gesichtsmuskeln entstehen (besonders deutlich beim Grimassieren sichtbar). Es sind, wie oben bereits erläutert, vor allem die so genannten Glabella-Falten (Zornesfalten im Bereich der Nasenwurzel), horizontale Stirnfalten (Denker-Falten) und Krähenfüßen (Lachfältchen im Bereich der äußeren Augenwinkel). Schon ab dem 20. Lebensjahr können diese Falten sich so vertiefen, dass sie auch in Entspannung nicht mehr verschwinden. Ganz klar abgrenzen muss man Sonnen- und Altersfalten, diese lassen sich nicht durch Botoxinjektionen lindern, auch wenn dies fälschlicher Weise von machen Patienten angenommen wird.
Wie läuft eine Behandlung ab?
Nach einer gründlichen Hautdesinfektion wird gezielt an mehrere Punkte des jeweiligen Gesichtsmuskels eine kleine, genau berechnete Menge des Botulinumtoxins eingespritzt. Die Stellen sollten gekühlt werden, um eine mögliche Hautschwellung zu dämpfen. Der volle Behandlungseffekt tritt meist erst nach 2 bis maximal 12 Tagen ein. Die Wirkungsdauer beträgt meist zwischen 3 und 9 Monaten und ist individuell unterschiedlich, da das Gift bei einem tendenziell verlangsamten Stoffwechsel länger wirken kann. Bei einer Wiederholung der Behandlung ist ein additiver Effekt zu beobachten, sodass die Gesichtsfalten in zunehmend länger werdenden Zeitintervallen rückgebildet werden sollen.
Andere Anwendungsgebiete
Auch bestimmte Formen der übermäßigen Schweißbildung lassen sich mit dem Gift behandeln. Einige Menschen leiden darunter, dass sie ungewöhnlich stark schwitzen. Die Schweißdrüsen dieser Patienten arbeiten unphysiologisch, das heißt sie reagieren nicht auf die entsprechenden Botenstoffe, den normalen Wärmereiz, bzw. die stärkere Durchblutung, wie man sie z.B. beim Sport kennt, sondern sie reagieren sehr sensibel auf Stress, oder gar ohne jeglichen erklärbaren Anlass. Um einer Operation aus dem Weg zu gehen, empfiehlt sich die Behandlung mit Botox, insbesondere, wenn das Schwitzen lokal auf z.B. die Handflächen, Fußsohlen oder Achselhöhlen beschränkt ist.
Logisch erscheint auch, dass man Spannungskopfschmerzen sehr wirksam mit dem muskellähmenden Medikament behandeln kann, da dessen Wirkung ja auf einer Blockade der Rezeptoren eben jener Stirn- und Nackenmuskulatur beruht, welche diese Art des Kopfschmerzes auszulösen vermögen. Weiterhin stehen Migräne, Rückenschmerzen und anderweitige Muskelschmerzen auf der Liste der Indikationen. Selbst bei der Behandlung eines Tennisellbogens und anderer orthopädischer Probleme wurde Botulinumtoxin schon erfolgreich eingesetzt. Man sollte allerdings wissen, dass es keine offizielle Zulassung dafür gibt.
Wichtig ist stets eine genaue Abklärung bei dem behandelnden Facharzt, bevor man den Einsatz von Botox in Betracht zieht! Derzeit gilt das Gift in zahlreichen Fällen eher als Ersatzmedikament bei Therapieresistenz, dies ist auch in der erheblichen finanziellen Belastung der Patienten begründet. Eine Ampulle kostet zwischen 300 und 500 Euro. Wichtig ist weiterhin, dass bei orthopädischen Fragestellungen die Wirkungsdauer und Intensität sehr schwer vorher zu sagen sind.
Weitere Anwedungsgebiete
- Strabismus, protektive Ptosis, Spasmus der Augenmuskeln - Bruxismus/Zähneknirschen - Tourette-Syndrom - Tremor: dystoner Tremor, essentieller Tremor, essentieller Handtremor - Urologische Erkrankungen: Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, spastischer Blasensphinkter, Neoblase, überaktive Blase
Derzeit laufen weltweit umfangreiche wissenschaftliche Studien zu vielen anderen Krankheitsgebieten mit teils viel versprechenden Ergebnissen bei z.B. Sprachstörungen (spastische Dysphonie), Muskelkrämpfen nach Schlaganfall, Kiefergelenkerkrankungen, Karpaltunnelsyndrom, oder sexueller Dysfunktion. Natürlich gibt es, wie bei den meisten anderen Medikamenten auch, einige Kontraindikationen und Nebenwirkungen, die oft entweder nur unzureichend erklärt werden, oder gänzlich übergangen werden. Besonders in der Schwangerschaft und Stillzeit ist Vorsicht bei Botoxbehandlungen geboten. Wobei man sagen muss, dass die physikalischen Eigenschaften des Toxins es mit sich bringen, dass es die Plazentaschranke nicht überwinden kann und dem Ungeborenen daher zumindest theoretisch keinen Schaden zufügen können sollte. Auch beim Vorliegen bestimmter Nerven- oder Muskelerkrankung sollte auf die Behandlung verzichtet werden. Infektionen des Injektionsgebietes sollten ebenso wie die Einnahme von Antikoagulatien (z.B. Marcumar), oder von Antibiotika eine Kontraindikation darstellen. Auch harmlos erscheinende, oft in der "Laienbehandlung" von Schmerzen eingesetzte Medikamente wie ASS können ein erhöhtes Blutungsrisiko bergen und sollten daher etwa 7 Tage vor der Behandlung abgesetzt werden. Auch nach der erfolgten Behandlung sollte man sich zur eigenen Sicherheit an gewisse Regeln halten. Sport, Saunagänge oder Solariumsbesuche sind in der ersten Zeit nach dem Eingriff ebenso tabu wie eine direkte starke Sonnenbestrahlung.
Botox als Sucht?
Einmal von den körperlichen Effekten abgesehen, fragt sich so mancher Beobachter der Entwicklung des Konsums von Botox sicherlich, ob es eigentlich ein gewisses Suchtpotenzial birgt? Denkt man an einige Hollywoodschauspielerinnen, bei denen nicht nur der Teint, sondern eben auch die Mimik der einer Porzellanpuppe gleicht, so liegt der Gedanke an "Wiederholungstäter" nahe. Auch von Botox-Parties ist immer wieder die Rede, bei denen sich Frauen im elustren Kreis in großer Zahl mit dem Nervengift behandeln lassen und daraus noch ein gesellschaftliches Großereignis machen.
Manche Krankenhäuser (auch in Deutschland!) haben in der Vergangenheit regelrechte "Botoxflatrates" angeboten, dies stellt nicht nur einen Verstoß gegen die Gebührenordnung für Ärzte dar, sondern ist, in meinen Augen, auch moralisch sehr bedenklich. Man verführt so die Patienten (welche wohl dann eher zu Kunden werden) dazu, dass die Hemmschwelle zur Behandlung mit Botox und letztlich auch bei anderen Entscheidungen, welche die ästhetische Medizin betreffen, sinkt. Die "Flatrate" wird die Terminwahl, welche normalerweise in Abständen von mindestens sechs Monaten gewählt werden sollte, weitestgehend an die Patienten abgegeben. Somit ist der Weg in eine psychische Abhängigkeit geebnet, da die Verantwortung für die Häufigkeit der Injektionen den Konsumenten selbst obliegt. Britische Ärzte haben herausgefunden, dass 40 Prozent der Menschen in Behandlung mit Botox ein zwanghaftes Verlangen nach weiteren Therapien entwickelten. Die Hälfte der Betroffenen gab an, dass sie unter einem Gefühl des Ausgeliefertseins leiden, das sich darin äußert, keine Kontrolle über die eigenen Alterungsprozesse zu haben.
Medizinisch kann es bei der wiederholten Injektionsbehandlung zur Bildung von IgG-Eiweiß kommen, welche als Antikörper die Wirksamkeit blockiert. Dieser eher harmlose Effekt wurde früher schon bei ca. 3-5 Prozent der Botox-Patienten in der Neurologie dokumentiert. Weitere Risiken bergen falsch platzierte oder überdosierte Injektionen zur Faltenbehandlung, welche dann zu der gefürchteten unnatürlichen Mimik, oder auch dem Maskengesicht führen. Dies ist ein weiterer Grund nur einen erfahrenen und qualifizierten Arzt diese Behandlung durchführen zu lassen. Ansonsten riskiert man Überdosierungen, welche an den Augen zu Lähmungen und verschwommenem Sehen führen können. In der Halsregion kann der Mund trocken werden, das Sprechen, Schlucken und sogar das Atmen erschweren. Die Nebenwirkungen beim Einsatz von Botox reichen weiterhin von Muskelschwäche und Heiserkeit bis hin zur Inkontinenz oder gar dem Tod. Allerdings muss man fairer Weise sagen, dass man für die Faltenglättung ungefähr 23 Einheiten Botox benötigt, um einen Menschen zu töten bräuchte man aber rund 15 000 Einheiten, zufällig passiert das also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht.
Fazit
Einerseits ermöglicht der Einsatz dieses Nervengiftes die Linderung einer nicht unerheblichen Zahl von Erkrankungen, welche ohne die Entdeckung des Nervenrezeptorblockers in dieser Art nicht möglich wäre. Andererseits hat sich, seitdem der kosmetische Nutzen von Botox erkannt und kommerziell vermarktet wird, ein gefährlicher Trend in Richtung eines ästhetischen Konsums gezeigt, dessen Gefahren oft gewollt übersehen oder gar verschleiert werden. Verbieten kann man den Wunsch nach einem Stopp des Alterungsprozesses und damit nach der Anwendung von Botulinumtoxin in eben diesem Sinne sicherlich nicht.
Vielleicht bringt der ein oder andere Leser sogar Verständnis für die Patienten auf, die sich eine faltenfreie Stirn wünschen. Doch wo wird die Grenze des gesundheitlich Vertretbaren verletzt und wo wird gar gezielt eine Abhängigkeitssituation geschaffen, die den fortgeführten Konsum dieses Faltenglätters sichert?
Ich kann diese Frage nicht konkret beantworten, da jeder Patient ein individuelles Leidensbild und Verständnis für die Risiken mitbringt. Sicherlich gibt es Fälle, in denen man einem Menschen mit Selbstzweifeln und massiven (frühzeitigen) Alterserscheinungen ein wenig Lebensmut zurückgeben kann, indem man Botox anwendet. Für sehr bedenklich halte ich allerdings eine Anwendung basierend auf dem gesellschaftlichen Druck, der ein Streben nach körperlichem Perfektionismus geradezu impliziert, wenn nicht gar als gegeben voraus setzt.