Ein experimenteller Wirkstoff, den Ärzte jetzt auf dem International Congress on Obesity in Stockholm vorstellen, zeigt erste Wirkungen im Kampf gegen Übergewicht. Als Angriffsziel dient der Cannabinoid-Rezeptor CB1. Hilft auch Kiffen beim gezielten Abnehmen?
Der Wirkstoff wirkte im Kampf gegen Übergewicht noch 2006 wie ein Wunder – und ist mittlerweile auf Grund schwerwiegender Nebenwirkungen in den USA und Deutschland nicht mehr zugelassen: Rimonabant. Mit extremer Wucht und nahezu ungebremst vermochte es den ungezügelten Appetit nicht nur fettleibiger Menschen bremsen, indem es den sogenannten CB1-Rezeptor des Gehirns blockierte. Über die Wirkung der Substanz innerhalb des Endocannabinoid-Systems des Menschen herrscht mit oder ohne Pfunde seitdem Klarheit: CB1 dient normalerweise als Andockstelle für jene süffisanten Inhaltsstoffe eines jeden Joints, den die hierzulande illegal konsumierenden Kiffer in das Gefühl einer trügerischen Unbeschwertheit versetzen – wird der Rezeptor aber blockiert, purzeln die Pfunde der Betroffenen.
Eine von einem dänischen Pharmakonzern initiierte Studie attestiert nun im Tierversuch: Die Blockade des CB1-Rezeptors mit Hilfe von Medikamenten steht nach dem Scheitern von Rimonabant vor einem Comeback. Zumindest in der frühen Phase der Tierversuche sprechen die Fakten nämlich für sich. Bis zu 26 Prozent höher lag die Gewichtsreduktion jener Ratten, die im Vergleich zu unbehandelten Pendants den Wirkstoff mit dem kryptischen Arbeitstitel TM38837 verabreicht bekamen. Ob solcher Ergebnisse startete der Hersteller die klinische Phase I Verträglichkeitsstudie – und anders als befürchtet, scheint keiner der 48 Probanden an Depressionen zu leiden oder, wie im Fall des ersten CB1-Rezeptorblockers Rimonabant, nach der Einnahme gar an Selbstmord zu denken.
Auf welche Weise TM38837 im hochkomplexen Endocannabinoid-System die CB1-Rezeptoren lahmlegt, ohne weitere Pathways zu beeinflussen, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, warum die Blockade der „Cannabis“-affinen Moleküle den Heißhunger überhaupt drosselt. Dennoch sei die Substanz vermutlich „geeignet, um gegen Adipositas und Diabetes“ vorzugehen, wie Christian E. Elling, Vizepräsident der dänischen 7TM Pharma und somit Herr über die Dünnmacher-Droge in spe auf dem "International Congress on Obesity" (ICO) in Stockholm vortrug.
Rezeptor als Angriffsziel
Der Rezeptor an sich freilich ist für Neurologen keinesfalls neu. In Deutschland wies eine Arbeitsgruppe an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bereits im Jahr 2006 nach, dass körpereigene Cannabinoide mitunter epileptische Anfälle bremsen können. Denn diese Endocannabinoide seien in der Lage, teilte die Uni Mainz seinerzeit mit, gemeinsam mit CB1-Rezeptoren „wichtige Schutzfunktionen zu vermitteln, sobald sich Neuronen im Gehirn in einem zu stark angeregten Zustand befinden: Bei Übererregung werden Endocannabinoide freigesetzt, um über die CB1-Rezeptoren beruhigend auf diese übermäßig aktivierten Neuronen zu wirken“. Dass die Endocannabinoide eine Art Dämpfer darstellen, um die Gehirnaktivität zu normalisieren, lässt sich heute womöglich auch als Erklärungsansatz für die Stilllegung des Hungers verwenden.
Erklärungsversuche finden sich indes nicht nur innerhalb der Mediziner-Gemeinde, auch die Kiffer rätseln mal wieder mit. So heißt es auf den Internetseiten eines einschlägigen Hanf-Portals: „Man kann vermuten, dass der CB1-Rezeptor im Belohnungs- und Wohlfühlsystem eine ausschlaggebende Rolle spielt und wahrscheinlich an allen Vorgängen beteiligt ist, die beim Menschen zu als "Sucht" bezeichnetem Verhalten führen“. Doch nimmt auch expliziter Marihuana-Konsum den CB1-Rezeptor derart in Beschlag, dass der Hunger der Probanden infolge dessen ausbleibt? Vor allem, da das Kiffen immer noch den Ruf hat, "Fressattacken" überhaupt erst auszulösen?
Aus biochemischer Sicht durchaus denkbar erscheint die These, wonach Kiffen das Übergewicht killt, weil CB1 schlichtweg durch die Cannabinoid-Andockung aus dem Verkehr gezogen wird – und der Hunger wie nach Einnahme von TM38837 ausbleibt. Dennoch liegt das Augenmerk der Untersuchung ganz und gar nicht nicht darauf, den Haschisch-Konsumenten weltweit einen Freifahrtschein für ihr Lieblingslaster zu liefern. Im Gegenteil: An Probanden für eine derartige klinische Studie heranzukommen, dürfte nicht nur in Stockholm ein Ding der Unmöglichkeit sein – der Konsum von Marihuana zwecks Gewichtsreduktion wäre auch hierzulande nicht legal. So hofft man also weiter darauf, dass der neue Lösungsansatz in Pillenform auch die nächste Runde besteht.