Das angeborene Immunsystem galt lange Zeit als unflexibler Unterstützer des mächtigen adaptiven Systems von B- und T-Zellen. Umso mehr überraschen Ergebnisse, die zeigen, dass in der Abwehr ohne Toll-Like-Rezeptoren kaum etwas läuft.
Das Institut an der Uniklinik ist gerade frisch gegründet. Sein neuer Leiter, Eicke Latz, kommt von der University of Massachusetts Medical School. Sein Arbeitsgebiet ist eines der aufregendsten der medizinischen Forschung der letzten Jahrzehnte. Bonn entwickelt sich damit zu einem großen Zentrum für die Erforschung des angeborenen Immunsystems.
Explodierender Forschungszweig
Veit Hornung, der Kollege vom benachbarten Institut für klinische Chemie und Pharmakologie, hat vor einigen Monaten den renommierten Paul-Martini-Preis für seine Arbeit an vererbten Abwehrmechanismen des Körpers gegen Viren erhalten. Im April dieses Jahres erschien eine Arbeit von Latz zusammen mit Kollegen aus Boston und München im renommierten „Nature“. Er zeigte, dass kristalline Cholesterinablagerungen an den Gefäßwänden eine massive Entzündungsantwort des Immunsystems hervorrufen, so ähnlich wie auch bei Infektionen. Nebenwirkung des Abwehrsystems im Alarmzustand sind atherosklerotische Plaques. Sie schaffen Probleme bei Herz und Kreislauf.
Die Waffen von B- und T-Lymphozyten galten immer als das schärfere Schwert des Immunsystems. Warum sich Antikörper und T-Zell-Rezeptoren so zielsicher auf den Eindringling stürzen, war jahrzehntelang Nobelpreis-belohntes zentrales Forschungsthema. Dann aber „war die Entdeckung der ersten Rezeptoren des angeborenen Immunsystems eine Revolution“, zitiert Spiegel-Online den irischen Immunologen Luke O‘Neill. „Der Forschungszweig ist geradezu explodiert.“ Die treffsicheren Lymphozyten-Schützen des adaptiven Immunsystems sind zwar genauer. Bis sie in Stellung sind, dauert es jedoch meist einige Tage. Der Aufmarsch der Abwehr im angeborenen System dauert dagegen nur Minuten bis zur Entzündung als Reaktion.
„Bis in die 90er Jahre sahen wir die angeborene Immunität als die einfachere und unflexiblere Reaktion,“ sagt Shizuo Akira aus Osaka, einer der führenden Experten für die unspezifische Abwehr, „bis die Rolle von Toll-like Rezeptoren als Mediatoren der Pathogen-Erkennung aufgedeckt wurde“. Inzwischen sind mehr als hundert solcher Alarm-Moleküle bekannt, die mit typischen Proteinen von Bakterien oder Viren reagieren, fremde Nukleinsäuren in der Zelle erkennen und auf ungewohnte Stoffwechselprodukte ansprechen.
Rezeptoren für Bakterien, Viren und Stress
Am bekanntesten sind die rund 15 Mitglieder der TLR (Toll-Like-Rezeptor) Familie. Auf der Oberfläche erkennen sie mikrobielle Strukturen wie etwa das charakteristische Lipopolysaccharid oder Lipoproteine von Bakterien. Endosomale TLR richten sich gegen doppel- oder einzelsträngige RNA von Viren oder Doppelstrang-DNA, die in gesunden Säugerzellen meist nur im Zellkern vorkommt. TLR sind ebenso wie andere Rezeptoren im Zytosol so genannte PRR (= Pattern Recognition Receptors). Dazu gehören auch RLR (Retinoic-Inducible-Gene-Like Receptors) oder NLR (NOD-Like Receptors). Letztere reagieren nicht nur auf den Kontakt mit Bakterien oder Viren, sondern auch auf die Konsequenzen einer Infektion. Zu DAMP‘s (Damage Associated Molecular Pattern) gehören etwa Zellstress-Faktoren wie Heat-Shock-Proteine oder Hyaluronsäure-Fragmente, die bei einer Zerstörung der Zellmembran ins Innere gelangen und dort auf NLR treffen. Als Nukleinsäure-Sensoren spielen RLR eine zentrale Rolle bei einem Virenalarm.
Grundlage für adaptive Immunantwort
Die Signalkaskade, die nach der Erkennung startet, führt zur Aktivierung des universellen Transkriptionsfaktors NFkB. Die entsprechende Aktivierung von Entzündungsgenen bringt die Zelle dazu, Zytokine wie Typ-I-Interferon oder Interleukin-1 auszuschütten. Dendritische Zellen, zentrale Mitspieler bei der angeborenen Immunantwort, reichen erkannte und aufgenommene virale Antigene zu den Molekülen des MHC (Major Histocompatibility Complex)-Systems weiter und präsentieren sie auf der Zelloberfläche. Zusammen mit freigesetzten Zytokinen ist das die Starthilfe für eine spezifische T-Zell-Antwort.
Zur Runde des angeborenen Immunsystems gehören aber auch NK (Natürliche Killer-) Zellen mit Rezeptoren, die auf Viren oder Tumorantigene reagieren. Sie greifen dort ein, wo der Feind das adaptive Immunsystem umgangen hat. Auch der Block viraler RNA durch körpereigene miRNA-Schnipsel (=Micro-RNA) gehört zum weiteren Bereich der angeborenen Immunabwehr. In einem Review aus dem Jahr 2009 beschreiben Noah Palm und Ruslan Medzhitov von der amerikanischen Yale University, wie die angeborene Immunantwort nicht nur die adaptive anschiebt, sondern auch Umfang, Dauer und die Etablierung eines immunologischen Gedächtnisses steuert.
Toll-like Adjuvantien
Fehler in diesem System können aber auch zu Überreaktionen oder Immundefekten führen. Bei etwa 30-50 Prozent aller Patienten mit Morbus-Crohn Darmbeschwerden finden sich Veränderungen im Gen NOD2. Die Reaktion darauf ist eine verschlechterte Immunantwort gegen bakterielle Muramyl-Peptide. Der genaue Zusammenhang zur Darmkrankheit ist aber noch immer ungeklärt.
Auch die großen Pharmafirmen haben inzwischen mehr als ein Auge auf die interessanten Mitspieler im Immunsystem geworfen. Merck entwickelt im Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma Idera Pharmaceuticals Adjuvantien für mögliche Impfungen gegen Tumoren. Im Tierversuch sind Agonisten von Toll-like-Rezeptoren bereits erfolgreich, wenn es um allergische Atemwegsentzündungen geht. Auch kleine humane Studien in Baltimore und Kanada bei der Allergie gegen Ambrosia-Antigene zeigen viel versprechende Langzeit-Ergebnisse. Sehr viel Geld fließt in die Entwicklung von Adjuvantien. 2008 zeigten Forscher, dass die Wirkung von Aluminiumhydoxid bei Impfstoffen direkt mit der Wirkung auf Inflammasomen zusammenhängt - Strukturen, die sich aus Komponenten des angeborenen Immunsystems zusammensetzen. Mehrere Neuentwicklungen von Adjuvantien beruhen daher auf der Aktivierung von Toll-like Rezeptoren.
Rezeptor für Nützlinge?
Immer noch wissen auch die Experten nicht, ob es das angeborene Immunsystem schafft, zwischen pathogenen Mikroben und Kommensalen etwa im Darm zu unterscheiden und darauf zu reagieren. Möglicherweise dient ja die angestoßene Immunreaktion sogar der Kontrolle der sonst überhand nehmenden Mitbewohner. Aber wie entgehen die Nützlinge dann der Ausrottung? Und wie wehrt sich die Abwehr gegen Parasiten, für die noch keine Rezeptoren bekannt sind?
„Unser Forschungsgebiet wächst immer noch exponentiell“ sagt Rusla Medzhitov, „wir entdecken fast jede Woche etwas Neues“. An der Universität Bonn wollen die Forscher wie Veit Hornung mit synthetischen, kurzen Nukleinsäure-Fragmenten ganz gezielt Abwehrreaktionen auslösen. Die entsprechenden Trigger könnten vielleicht auch im Kampf gegen Vireninfektionen oder Tumorerkrankungen helfen. Die ersten Untersuchungen am Menschen warten auf ihren baldigen Start.