Antikörper gelten als Wunderwaffe im Kampf gegen Krebs. Doch nicht immer können sie die tödliche Krankheit besiegen. Forscher wollen nun eine weitere Klasse von Antikörpern als Therapeutika einsetzen, mit denen die Immunabwehr aktiviert werden soll.
Monoklonale Antikörper gehören seit einigen Jahren zu den bevorzugten Therapeutika bei Krebspatienten. Die Ypsilon-förmigen Moleküle zeichnet aus, dass sie zielgenau an die Tumorzellen andocken und dadurch eine Immunantwort auslösen, die es in zahlreichen Fällen schafft, die tödlichen Zellen zurück zu drängen. „Doch viele Patienten sprechen auf die Antikörper gar nicht oder nur unzureichend an“, sagt Professor Thomas Valerius, leitender Oberarzt in der Sektion Stammzell- und Immuntherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel. Ihn verwundert das kaum, da die bisher zugelassenen Antikörper allesamt zur Klasse der IgG-Antikörper gehören, die solide Tumoren nicht besonders gut erreichen.
Valerius möchte deswegen das Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten erweitern und eine weitere Klasse von Antikörpern für die Tumortherapie zugänglich machen. Der Kieler Mediziner setzt auf IgA-Antikörper, die im Gegensatz zu den hauptsächlich frei im Blut zirkulierenden IgG-Antikörpern vor allem im Bronchialschleim und der Eingeweideflüssigkeit vorkommen, wo sie eine wichtige Abwehrbarriere gegen Krankheitserreger bilden. „Ein Vorteil von therapeutischen IgA-Antikörpern könnte sein, dass sie Darm- und Lungentumoren besser erreichen als IgG-Antikörper und man sie deshalb in geringeren Konzentrationen einsetzen könnte“, begründet Valerius seine Wahl.
Antikörper tötet Krebszellen ab
Um die Wirkung beider Antikörper-Klassen miteinander zu vergleichen, erzeugte das Team um Valerius eine IgA-Variante des bereits bei Krebspatienten eingesetzten IgG-Antikörpers Cetuximab. Er erkennt das wachstumsfördernde Protein EGFR auf der Oberfläche von Krebszellen und wurde von Merck unter dem Namen Erbitux gegen metastasierenden Darmkrebs auf dem Markt gebracht. Als die Forscher jeweils eine der beiden Antikörpervarianten im Reagenzglas mit humanen Krebszellen und weiteren Immunzellen zusammenbrachten, konnten sie bei beiden Antikörpern eine zellabtötende Wirkung beobachten.
Jedoch gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen den beiden Varianten: Wie die Forscher im Journal of Immunology berichteten, entfalten IgG-Antikörper ihre tödliche Wirkung über natürliche Killerzellen, während ihre IgA-Pendants stattdessen Phagozyten für diese Aufgabe mobilisieren. Valerius: „Da beide Antikörper zwar an das gleiche Antigen binden, jedoch andere Mechanismen der Immunabwehr in Gang setzen, können sich so beide Antikörper ergänzen und in ihrer Wirkung verstärken.“
Klinische Studien fehlen
Ob IgA-Antikörper aber nicht nur im Reagenzglas Krebszellen gefährlich werden können, sondern auch Tumorpatienten helfen könnten, im Zusammenspiel mit IgG-Antikörpern ihre Krankheit zu besiegen, ist bisher noch nicht erwiesen. „Das sind sehr interessante Ergebnisse, die jedoch durch klinische Beobachtungen bestätigt werden müssen“, findet Horst Lindhofer, Geschäftsführer der Biotech-Firma Trion Pharma, die neuartige Antikörper gegen Krebs entwickelt. „Gerade weil der alleinige Einsatz von therapeutischen Antikörpern auf IgG-Basis oft eine zu schwache Immunantwort am Tumor auslöst, ist es wichtig, andere Behandlungsansätze voranzutreiben, mit der man die körpereigene Immunabwehr noch stärker aktivieren kann.“
Valerius ist vor kurzem einen Schritt weitergegangen: Zusammen mit Kollegen der Universität Utrecht erprobt er die neu entwickelten IgA-Antikörper an transgenen Mäusen. Erst wenn diese Versuche, deren endgültige Ergebnisse nächstes Jahr bekannt gegeben werden sollen, erfolgreich abgeschlossen seien, könnten, so der Forscher, klinische Versuche am Menschen folgen. Allerdings zeigt Valerius zufolge die Pharmaindustrie, ohne deren Beteiligung größere Studien kaum finanziert werden können, bisher wenig Interesse an IgA-Antikörpern, da sie sich auf die Weiterentwicklung der IgG-Antikörper konzentriert.
Antikörper als Doppelpack
Zurzeit versuchen Valerius und seine Mitarbeiter die Durchschlagskraft der therapeutischen IgA-Antikörper zu erhöhen. „Uns ist es gerade gelungen, jeweils zwei der Moleküle miteinander zu verknüpfen“, erklärt der Mediziner. „Dieses Prinzip haben wir den natürlich vorkommenden IgA-Antikörper abgeschaut, die normalerweise als Dimere vorkommen.“ Da ein solches Molekül doppelt so viele Bindungsarme aufweise wie ein Monomer, könnte es effizienter an Tumorzellen binden und so die Immunantwort verstärken.