Man mu¿sse die Arbeitsbedingungen der Lebenswelt der jungen Mediziner anpassen. Das waren die Worte von Bundesa¿rztekammerpra¿sident Hoppe auf dem diesjährigen Bundesa¿rztetag. Doch wie sieht die Lebenswelt der Medizinstudenten jenseits aller wortgewaltigen Bekra¿ftigungen aus?
Da hilft nur Fragen: Leo Rensch, ein 24-jähriger Medizinstudent aus Halle an der Saale stand exemplarisch Rede und Antwort. Seine "Lebenswelt" liegt im Spannungsfeld zwischen Studium, Promotion und Nebenjob.
Wir sitzen beim Kaffee. Leo ist direkt aus der Uni gekommen. Viel Zeit hat er nicht, da er die Artikel für das Antestat zum Notfallpraktikum am Abend noch nicht gelesen hat. Als er ins Erzählen kommt, sind die noch ausstehenden Vorbereitungen aber schnell vergessen.
Du studierst Medizin im 10. Semester. Bist Du nach wie vor zufrieden mit Deiner Studienwahl?
Leo: Ein definitives Jein.
Was heißt das?
Leo: Ich hab’ das Studium damals angefangen, weil ich es zum einen für eine gute Perspektive hielt und zum anderen, weil ich es unglaublich spannend fand. Macht eine nachdenkliche Pause. Unglaublich spannend finde ich es in den meisten Fällen immer noch, denn der menschliche Körper ist in seiner Funktionsweise einfach genial. Was die gute Perspektive angeht, bin ich zweigeteilter Meinung. Ökonomisch wird es sich auf jeden Fall lohnen, aber der zeittechnische Aspekt bereitet mir im Moment ein paar Sorgen.
Was meinst Du mit zeittechnisch?
Leo: Ich merke eben, dass ich schon jetzt im Studium und auf jeden Fall später im Berufsleben Tageslängen, die für die meisten Leute nicht so erstrebenswert sind, ertragen muss. 7 bis 18 Uhr ist zum Beispiel in der Neurologie keine Seltenheit. Und dass ich nebenher gern auch noch ein bisschen Forschung machen möchte, weil ich das interessant und spannend finde, wird die Sache nicht leichter machen. In der Uniklinik erlebe ich gerade, wie es so läuft, dass man also entweder nur Forschung macht und dabei zwischen den Geldgebern hin und her getrieben ist und seiner Stelle hinterher klingelt, oder dass man als angestellter Arzt zu forschen versucht. In diesem Fall ist es an der Uniklinik zurzeit so, dass viele die Forschung in ihrer Freizeit machen müssen, weil in der normalen Arbeitszeit dafür kein Raum ist.
Was ist eigentlich Dein Berufsziel? Klinik, Niederlassung oder etwas anderes?
Leo: Eigentlich schwanke ich nur zwischen universitär angestellter Forschung und reiner Forschung, wobei ich letzteres nur so im Hinterkopf habe. Ich würde nämlich schon gern noch ein bisschen Patientenversorgung machen; ausschließlich am Patienten zu arbeiten, kann ich mir im Moment aber nicht vorstellen.
Was reizt Dich an der Forschung?
Leo: Ein kleines Lächeln geht über sein Gesicht. Neue Dinge herauszufinden und an Entwicklungsprozessen beteiligt zu sein, ist toll. Und überhaupt habe ich so viele Fragen. Im Studium stoße ich ständig auf Sachen, bei denen ich mir denke, dass das doch schon untersucht sein müsste. Ich erlebe aber regelmäßig, dass mich Dozenten dann schulterzuckend anschauen oder sich über die Frage wundern. Das ist irgendwie unbefriedigend.
Eine Onlinebefragung zur Weiterbildungssituation junger Ärzte hat ergeben, dass gerade die Anwendung evidenzbasierter Medizin im Klinikalltag bemängelt wird. Verliert man da beim Forschen nicht die Motivation?
Leo: Ich muss gestehen, dass ich das im Moment nicht so sehr erlebe, weil gerade mein betreuender Chef und die Leute, mit denen ich zu tun habe, da sehr firm sind und sehr auf die Umsetzung neuer Forschungsergebnisse achten, zumal sie selbst federführend auf dem Gebiet des Signalmonitorings sind.
Die Frage bezieht sich auch mehr auf den Stationsalltag, und an Unikliniken mag das auch noch ein bisschen anders sein.
Leo: Dazu kann ich aus meiner Studentensicht nicht so viel sagen, aber was ich erlebt habe, ist, dass zwar die einzelnen Fächer in ihrem Fach einigermaßen evidenzbasiert arbeiten, aber die Sachen drum herum schon eher mal leiden. Wenn zum Beispiel jemand zusätzlich zu seiner eigentlichen Erkrankung noch gehbehindert ist und dazu noch weitere Hilfe bräuchte, geht das schon mal unter. Häufig fehlt der ganzheitliche Ansatz. Das habe ich auch schon an der Uni erlebt. Wenn drei Sachen zusammen kommen, wird in der Regel nur die Baustelle aus dem eigenen Fachgebiet richtig versorgt.
Ich komme noch einmal auf die erste Frage zurück: Wie ist die Stimmung, Deiner Meinung nach, unter den Kommilitonen/-innen? Freut man sich auf den ärztlichen Alltag?
Viele ja. Und ich kenne übrigens sehr viele, die Hausarzt werden wollen. Das hätte ich vorher nie gedacht. Und die freuen sich eben auf die Praxistätigkeit und begreifen das Klinikleben als nötigen Zwischenschritt, um später klar zu kommen. Insofern blenden sie den auf sie zukommenden Stress aus und wollen einfach was lernen. Dann gibt es die, die wie ich erstmal ein halbes Jahr irgendetwas anderes machen. Da ist entweder die Doktorarbeit der Grund oder, weil kein Ende des permanenten Arbeitens in Sicht ist. Mein letzter Urlaub ist auch schon wieder 1 1⁄2 Jahre her. Und würde ich jetzt direkt ins PJ gehen, hätte ich lediglich eine Woche Pause, und auch danach ginge es fast nahtlos weiter. Und die hohe Arbeitsbelastung als Assistent ist unter den Studenten ja bekannt, auch deswegen machen sie gern erst einmal ein bisschen Pause.
Fühlt Ihr Euch insgesamt durch das Studium gut auf den Klinikalltag vorbereitet?
Leo blickt nachdenklich und zögert: Allgemein gesprochen, nein. Es gibt natürlich immer wieder statistische Ausreißer, die sich viel Mühe geben und versuchen, einen fit zu machen. In der halleschen Notfallmedizin wird man zum Beispiel zu Recht „geprügelt“, die Standards zu können. Das kann man von anderen Fächern nicht behaupten.
Was ist Dein Hauptkritikpunkt an der Ausbildung? Vonseiten der Ärztekammern und des Bundesgesundheitsministeriums heißt es ja, dass der Praxisbezug im Studium noch weiter ausgebaut werden muss.
Leo: Ein ganz klarer Kritikpunkt ist die mangelnde Struktur. Alle Fächer müssen im Studium ja irgendwie gelehrt werden. Aber es macht nicht den Anschein, dass die in irgendeiner Weise aufeinander aufbauen oder kooperieren würden. Und mehr Praxisbezug ist so ein Schlagwort, das alle einfordern und machen wollen, aber ich wünsche mir mehr sinnvollen Praxisbezug. Es bringt meiner Meinung nach überhaupt nichts, dass wir seit dem 5. Semester die hundertste Patientenvorstellung machen, aber es keinen Untersuchungskurs gibt. Das ist sinnfrei, man müsste das irgendwie dosierter machen. Bei der letzten Patientenvorstellung war es mir dann echt über, weil es da sogar hieß "Suchen Sie sich den Patienten bitte selbst!" und dann wurde im Akkord vorgestellt. Das wirkt auf mich, als würde man den Praxisbezug auf Zwang umsetzen wollen. Was mir also ganz konkret fehlt, ist der Untersuchungskurs und die praktische Ausbildung an Geräten und in bestimmten Techniken wie Ultraschall. Das müsste es mehr geben. Im Urologie-Praktikum haben wir in Selbstorganisation mal einen ganzen Tag Nieren geschallt, aber vorgesehen war das nicht.
Du hast eine aufwendige Promotionsarbeit, die, wie so üblich, neben dem Studium läuft. Des Weiteren bist Du gezwungen, Dich mit einem Nebenjob über Wasser zu halten. Und dass Deine Freundin derzeit in Japan weilt, macht das Zeitmanagement auch nicht leichter. Wie sieht Dein Alltag aus?
Leo lacht: Das größte Problem ist in diesem Zusammenhang die siebenstündige Zeitverschiebung, das macht die Kommunikation schwierig. Aber um auf den Alltag zu sprechen zu kommen: Meistens bin ich erst in der Uni und gehe im Anschluss arbeiten, oder umgekehrt. Nachmittags sind dann die Praktika, und an den Tagen, an denen keine Praktika sind, versuche ich, im Klinikum meine Forschungsarbeit voran zu bringen. Im Moment kann ich auch noch viel von zu Hause aus machen, da viel programmiert werden muss. Mein zeitliches System ist also gut ausbalanciert, was den Nachteil mit sich bringt, dass es extrem störanfällig ist. Wenn zum Beispiel Klausuren anstehen, kann ich nicht arbeiten gehen und muss das später nachholen. Da gerät das Ganze ins Stolpern, und die eine oder andere Vorlesung fällt dann schon mal aus.
Wir verabschieden uns, und im Gehen verrät Leo mir noch die seiner Meinung nach einzig sinnvolle Lösung für eine Verbesserung der Ausbildungssituation: Man müsse die Manpower erhöhen, um die Kliniken in Sachen Lehre zu entlasten und somit Ressourcen für mehr Qualität zu schaffen. Wohl wahr.