Kreuzfahrten boomen: Nie zuvor waren so viele Urlaubsschiffe unterwegs. Europaweit wohnen jährlich Millionen Passagiere in den schwimmenden Hotelstädten. Doch wie lässt sich die gesundheitliche Versorgung sicherstellen? Und wie steht es um Prävention auf hoher See?
Mit stetig steigenden Passagierzahlen und Größen der Schiffe wachsen die medizinischen Herausforderungen, denen sich die Kreuzfahrtgesellschaften stellen müssen. Was diese sehr ernst nehmen: "Das Problembewusstsein bei den Reedereien ist enorm gestiegen", so MPH Dr. Clara Schlaich, Leiterin des Hamburger Port Health Center (HPHC) des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin. Im Hinblick auf die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung an Bord hat sich laut Dr. Schlaich mit dem Kreuzfahrt-Boom in den letzten Jahren viel getan. "Sie wird im Wesentlichen von den Reedereien selbst organisiert und kontrolliert".
Schließlich haben diese ein großes Interesse an einem hohen medizinischen Versorgungsstandard auf ihren Schiffen: "Die Reedereien fürchten haftungsrechtliche Konsequenzen, etwa bei Behandlungsfehlern oder unzureichender Ausstattung der Schiffsapotheke", so Dr. Schlaich. Wie diese Ausstattung allerdings genau auszusehen hat, ist nicht standardisiert festgelegt. Genauso wie viele andere wichtige Elemente bei der medizinischen Versorgung an Bord.
Keine international bindenden Richtlinien
Die Abkommen der International Labour Organization schreiben einzig vor, dass ab hundert Personen ein Schiffsarzt mit an Bord sein muss. Wie aber die medizinischen Einrichtungen – beispielsweise das Hospital und die Schiffsapotheke – auszustatten sind, ist nur für Schiffe unter deutscher Flagge exakt vorgegeben. Nicht eben überzeugend angesichts der Tatsache, dass auf den wenigsten Kreuzfahrtschiffen die schwarz-rot-goldene Flagge weht. Zwar haben die Dachverbände der großen Reedereien, wie die Cruise Line International Association (CLIA), interne Standards gesetzt. Jedoch sind diese nach den Worten von Dr. Schlaich nicht gesetzlich bindend. Entsprechend sind auch die Qualifikationen, die der Schiffsarzt mitbringen muss, "mit wenigen Ausnahmen jedem Kreuzfahrtunternehmen selbst überlassen", so Dr. Schlaich. Einzig in Deutschland gibt es gesetzliche Vorschriften zur Qualifikation von Schiffärzten.
International staatlich überwacht werden allerdings die Hygienestandards sämtlicher Bereiche an Bord eines Kreuzfahrtschiffes – damit auch der Schiffshospitäler. Maßgeblich dafür sind die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Den Hygieneinspektionen, vergleichbar mit Begehungen der Gesundheitsämter in Krankenhäusern und Praxen an Land, müssen sich übrigens alle Schiffe im internationalen Verkehr alle sechs Monate unterziehen – nicht nur die schwimmenden Hotelburgen.
Kreuzfahrttauglichkeit? Fehlanzeige
Die Besatzung eines Kreuzfahrtschiffs unterliegt strengsten Auflagen bezüglich des Gesundheitszustandes. Jedes Besatzungsmitglied muss ein Zertifikat der Seediensttauglichkeit vorweisen, das - wieder primär nach der deutschen Gesetzgebung - alle zwei Jahre zu erneuern ist. Für die Passagiere indessen gilt dies alles nicht. Laut Dr. Schlaich kann "jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich gesundheitlich zu einer Seereise in der Lage sieht". Kontrolliert wird die gesundheitliche Verfassung jedoch nicht. Wie riskant das ist, zeigt sich immer wieder an den Meldungen von Massenerkrankungen auf hoher See. "Beliebt" ist hier neben grippalen Infekten vor allem alles, was auf Magen und Darm schlägt. Keine sehr schöne Vorstellung, wenn man bedenkt, dass die Reise unter dem Strich mit tausenden fremden Passagieren und ohne Rückzugsmöglichkeit wie an Land vonstatten geht. Da wird schnell mal das gesamte Schiff zu einer einzigen Quarantänestation.
Deshalb geben viele Kreuzfahrtunternehmen inzwischen Fragebögen hinsichtlich des Gesundheitszustandes an ihre Gäste aus. Darüber hinaus weisen einige Reedereien in ihren Reiseunterlagen darauf hin, dass bei bestimmten – vor allem chronischen – Erkrankungen vorab Rücksprache mit dem Veranstalter gehalten werden muss. Nach den Erfahrungen des HPHC werden diese Maßnahmen jedoch "sehr weich gehandhabt". Die Angaben zum Gesundheitszustand sind freiwillig und werden auch nicht überprüft. Was laut Dr. Schlaich schnell zum Problem werden kann: "Es ist keine gute Idee mit einer instabilen Angina pectoris oder hochgradigen Ösophagusvarizen an Bord zu gehen". Der Grund, warum die Reedereien ihren Gästen keine Vorgaben zum Gesundheitszustand machen und diesen kontrollieren, ist der Konkurrenzkampf in der Branche. "Der Wettkampf um die Passagiere ist enorm", weiß die Leiterin des HPHC.
Die einzige Ausnahme, bei der sehr genau hingesehen wird, ist (momentan) die Schweinegrippe: Seit Mitte letzten Jahres muss jeder Passagier einen Symptomfragebogen ausfüllen. Bestehen verdächtige Symptome, untersucht der Schiffsarzt den Betreffenden, noch bevor das Schiff abgelegt hat. Bestätigt sich der Verdacht auf Schweinegrippe, wird der Patient in der Regel auf Kosten der Reederei nach Hause gebracht.
Der Schiffarzt als eigener Schlag
Umso wichtiger ist eine verlässliche und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung an Bord. Mediziner mit maritimen Ambitionen haben gute Chancen: Schiffsärzte sind sehr gefragt. Wer sich die Meerbrise um die Nase wehen lassen möchte, sollte allerdings wissen, welche hohen Qualifikationen er zu erfüllen hat und welche Anforderungen an ihn gestellt werden. Denn die Arbeit eines Schiffsarztes unterscheidet sich in jeder Hinsicht von jener seiner Kollegen an Land: "Er hat es mit vollkommen anderen Voraussetzungen zu tun und ist allein auf sich selbst gestellt – ohne Zugriff auf Intensivstation oder Rettungswagen", gibt Dr. Schlaich zu bedenken. Zudem muss er sämtliche medizinischen Fachdisziplinen abdecken. Selbst die zahnärztliche Versorgung obliegt dem Schiffsarzt. "Es kann auch zu sehr kritischen Situationen kommen, beispielsweise bei Herzinfarkten und Schlaganfällen", so Dr. Schlaich. Dann muss der Schiffsarzt umgehend entscheiden, ob ein Hubschrauber angefordert oder aber die Reiseroute geändert werden muss – was mit erheblichen Kosten verbunden und gemeinsam mit dem Kapitän zu verantworten ist. Solche Fälle sind jedoch selten.
Meist handelt es sich bei den Erkrankungen an Bord eines großen Passagierschiffes um Sonnenbrand und Seekrankheit, Atemwegs- und Durchfallerkrankungen sowie um kleine Verletzungen und Frakturen. Womit sich ein Schiffsarzt jedoch fast ebenso häufig konfrontiert sieht, nicht zuletzt auf Grund der älteren Klientel, sind Todesfälle. Diese müssen laut Dr. Schlaich an die Hafengesundheitsbehörden gemeldet und die Leichen dann offiziell nach Deutschland eingeführt werden. "Da die Schiffe ja meist unter fremden Flaggen fahren, sind die Toten de facto zunächst nicht in Deutschland verstorben".
Hamburg Port Health Center Weltweit gibt es nur wenige Forschungszentren, die sich mit gesundheitlichen Belastungen, Vorsorgemaßnahmen und Behandlungsmethoden im Kontext der Schifffahrt befassen. Eines ist das Hamburg Port Health Center, kurz HPHC. Es ist Teil des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) und mit dem Fachbereich Medizin der Universität Hamburg verbunden.