Onkologen haben in letzter Zeit viel von Elefanten und Grönlandwalen gelernt. Die großen und schweren Tiere erkranken trotz gewaltiger Zellteilungsraten überraschend selten an Krebs. Jetzt wird versucht, das Wissen für menschliche Krebspatienten einzusetzen.
„Wäre es nicht faszinierend, Krebserkrankungen zu vermeiden anstatt sie zu therapieren?“, sagt Dr. Joshua Schiffman vom Huntsman Cancer Institute in Salt Lake City. Jede maligne Erkrankung hat zwar ihre Besonderheiten, dem Onkologen zufolge gibt es aber gemeinsame Mechanismen, die sogar artenübergreifend vorkommen. Wissenschaftler fanden heraus, wie sich Tiere vor Neoplasien schützen.
Eigentlich wäre ja zu erwarten, dass Lebewesen mit steigender Größe, also einer größeren Zahl an Zellen, und steigender Lebenserwartung ebenfalls häufiger Neoplasien entwickeln. Je mehr Zellteilungen stattfinden, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zelle entartet. Diese theoretischen Überlegungen spiegeln sich in der Praxis nicht wider – eine Tatsache, die als „Petos Paradoxon“ in vielen Lehrbüchern steht. „Beispielweise erkranken Elefanten so gut wie nie an Krebs“, berichtet Schiffman. Dies sei angesichts gewaltiger Zellteilungsraten besonders überraschend. Bei der Geburt bringt ein Elefantenkalb bis zu 100 Kilogramm auf die Waage. Daraus werden im Erwachsenenalter je nach Art zwei bis fünf Tonnen. Zoos berichten von mehr als 80 Jahren Lebenserwartung. Der Forscher wollte mehr wissen und machte sich im Erbgut auf Spurensuche. „Trotz ihrer Körpergröße und ihrer Lebensdauer bleiben Elefanten krebsresistent bei einer Krebsmortalität von 4,81 Prozent“, lautet seine Erkenntnis. Bei Menschen sind es je nach Ethnie und nach Datengrundlage 11 bis 25 Prozent. Die Krebsinzidenz steht nicht mit der Körpermasse (respektive Zellenzahl) und der Lebenserwartung in Verbindung. © Joshua D. Schiffman et al.
Warum Elefanten derart widerstandsfähig sind, liegt Schiffman zufolge in erster Linie an einem Gen namens TP53. Es codiert für p53. DNA-Schäden führen über Umwege zur Anhäufung des Schlüsselproteins in einer Zelle. Es setzt DNA-Reparatur-Mechanismen in Gang, stoppt aber gleichzeitig den Zellzyklus, um eine Art Ruhepause zu schaffen. Gelingt dies nicht, steigt der p53-Spiegel weiter an. Zusammen mit Cofaktoren wird schließlich die Apoptose eingeleitet. Punktmutationen in TP53 führen zum Funktionsverlust des Proteins. Genau hier wird es interessant. Während Menschen eine Kopie, also zwei Allele, haben, sind es bei Dickhäutern 20 Kopien, also 40 Allele. Der Effekt lässt sich im Labor veranschaulichen. Bestrahlte Schiffman Lymphozyten mit der gleichen Dosis, gingen 7,17 Prozent aller menschlichen Lymphozyten, aber 14,74 Prozent aller Lymphozyten tierischen Ursprungs zu Grunde. Das Zytostatikum Doxorubicin führte bei 8,10 versus 24,77 Prozent aller Lymphozyten zur Apoptose. Michael Sulak vom Department of Human Genetics, von der University of Chicago, bestätigt diese Auffassung mit eigenen Experimenten.
Wie wichtig intaktes p53 beim Menschen ist, wissen Onkologen nur allzu gut. Beim Li-Fraumeni-Syndrom treten schon in jungen Jahren unter anderem Astrozytome, Leukämien, Knochensarkome, Mammakarrzinome, Plexuskarzinome sowie Weichteilsarkome auf. Humangenetiker finden in sieben von zehn Fällen mutierte TP53-Gene. Auch bei diversen Tumoren im Alter tauchen mitunter Anomalien in TP53 auf. In der Literatur werden vor allem Glioblastoma multiforme, Nasopharynxkarzinome sowie Ösophaguskarzinome genannt. Die Taktik, über kleine Moleküle Cofaktoren zu inhibieren, die p53 abbauen, geht hier nicht auf. Forscher haben deshalb versucht, über Adenoviren intakte Kopien einzuschleusen. Einzelne Patienten erhielten Advexin (Ladenovec) im Rahmen von Compassionate Use-Programmen. Schließlich zog der Hersteller seinen Zulassungsantrag bei der EMA zurück. Der Ausschuss für Humanarzneimittel hatte fehlende Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit moniert. Jetzt geht es weiter. Laut clinicaltrials.gov laufen weltweit etliche Studien zur Gentherapie mit Konstrukten aus p53 und Adenoviren. In China wurde Gendicine (rAd-p53) bereits zur Therapie von Kopf-Hals-Karzinomen zugelassen. Meist handelt es sich um Plattenepithelkarzinome. Darüber hinaus eröffnet Crispr-Cas9 neue Möglichkeiten. Frank Buchholz von der TU Dresden berichtet jetzt, per Genschere sei es theoretisch möglich, 535.327 (88 Prozent) aller bekannten krebsassoziierten Mutationen zu reparieren, auch TP53. © João Pedro de Magalhães et al.
Sich nur auf dieses Gen zu konzentrieren, wäre aber falsch. Dazu erneut ein Blick in die Fauna. Grönlandwale können über 200 Jahre alt werden und bekommen kaum maligne Erkrankungen. João Pedro de Magalhães aus Liverpool hat ihr Erbgut mit dem Genom von Minkwalen verglichen. Beide Arten leben ähnlich. Nur liegt die Lebenserwartung von Minkwalen bei etwa 50 Jahren. Grönlandwale haben spezifische Mutationen in ERCC1- und PCNA-Genen. Beide Abschnitte helfen, Erbgutschäden zu reparieren. Jetzt planen die Forscher, den Effekt beider Gene in Mäusen zu untersuchen. Über diesen Weg lässt sich abschätzen, welche Bedeutung die Anomalien vielleicht bei Menschen haben.