Das eosinophile Arzneimittelexanthem (DRESS) ist eine der schwersten Arzneimittelkomplikationen, die die Medizin kennt. Bisher galt es als eine Autoimmunreaktion. Wissenschaftler präsentieren jetzt Daten für eine andere Erklärung: Schuld könnten Herpes-Viren sein.
Es gibt einige wenige Erkrankungen, bei denen Ärzte und Apotheker schon Zähneklappern bekommen, wenn sie nur den Namen hören. Die toxische epidermale Nekrolyse gehört in diese Kategorie. Es handelt sich um eine lebensbedrohliche Hautreaktion auf Arzneimittel, bei der im schlimmsten Fall mehr als ein Drittel der Haut als Folge einer intraepithelialen Blasenbildung den Bach hinunter geht. Nicht ganz so bekannt, aber ähnlich gefährlich ist der „Drug Rash with Eosinophilia and Systemic Symptoms“, kurz DRESS-Syndrom genannt.
Die Zahl der auslösenden Medikamente steigt und steigt
Wie der Name nahelegt, handelt es sich um ein schweres Hautexanthem, bei dem zusätzlich innere Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. Zu den systemischen Manifestationen zählen unter anderem Entzündungen von Leber und Bauchspeicheldrüse sowie Nephritiden und Pneumonitiden. Klassische Auslöser sind Antiepileptika wie Carbamazepin, Phenobarbital und Phenytoin. Auch für die Einnahme von Sulfonamiden, Minocyclin und Allopurinol sind DRESS-Syndrome beschrieben. Zu den seltenen Ursachen gehört eine deutlich breitere Palette zum Teil sehr konventioneller Medikamente, darunter auch nicht-steroidale Antirheumatika und Kalziumantagonisten. In jüngerer Vergangenheit kamen schließlich auch einige antiretrovirale Medikamente neu auf die Kandidatenliste. So gab es Ende 2009 einen diesbezüglichen Rote-Hand-Brief für Etravirin.
Das Tückische am DRESS-Syndrom ist, dass es nicht sofort nach dem Ansetzen eines Medikaments auftritt, sondern sich einige Wochen Zeit lässt. Drei bis sechs Wochen nach Therapiebeginn ist das üblicherweise angegebene Zeitfenster, das bis zum Auftreten der Hautveränderungen verstreicht. Doch auch acht Wochen nach Therapiebeginn wurden noch DRESS-Syndrome beschrieben. Treten Hautveränderungen auf, muss alles andere gezielt untersucht werden. Denn die Schwere der Hautveränderungen korreliert beim DRESS-Syndrom nicht mit dem Befall innerer Organe.
Blutbildveränderungen wie bei einer Herpes-Infektion
Wie nun entsteht das DRESS-Syndrom? Klar war schon lange, dass es sich zumindest teilweise um eine immunologische Reaktion handelte. Der Favorit war eine durch Fremdantigene der Medikamente oder deren Abbauprodukte ausgelöste Autoimmunreaktion. Gestützt wurde diese These durch Beobachtungen an einigen Patienten mit DRESS-Syndrom nach Minocyclin-Therapie. Sie entwickelten eine Form der Hepatitis, die einer Autoimmunhepatitis stark ähnelte. Passend dazu gibt es Berichte über erfolgreiche Therapien unter Einsatz von Kortison. Es existierten freilich auch bisher schon andere Theorien. So wird seit mehreren Jahren eine Hypothese diskutiert, wonach es durch die Arzneimittelaufnahme zu einer Reaktivierung von bis dato stillen Herpes-Viren im Körper kommt.
Ist das DRESS-Syndrom also eher eine fulminant verlaufende Herpes-Infektion? Ein Team von Wissenschaftlern um den Franzosen Philippe Musette vom Universitätsklinikum Rouen hat sich das jetzt bei 40 Patienten mit DRESS-Syndrom einmal etwas genauer angesehen. Die Forscher berichten darüber in der Zeitschrift Science Translational Medicine. Und sie sind überzeugt davon, dass an der Virushypothese etwas dran ist.
Die auslösenden Medikamente in der französischen Kohorte waren die üblichen Verdächtigen: Carbamazepin, Allopurinol und Sulfamethoxazol. Analysiert wurden T-Zellen des peripheren Bluts, wobei hier speziell auf Hinweise einer Reaktivierung von Herpes-Viren geachtet wurde. Tatsächlich konnten die Forscher bei 76 Prozent der Patienten eine Reaktivierung von Herpes-Viren nachweisen, konkret entweder Epstein-Viren oder humane Herpesviren vom Typ 6 oder 7. Bei allen Patienten waren die für Virusinfektionen typischen, CD8-positiven T-Zellen aktiviert und produzierten große Mengen an Tumornekrosefaktor alfa und Interferon gamma. Klonale CD8-positive T-Zellen mit demselben Rezeptortyp fanden sich in allen betroffenen Organen. Und bei mehr als der Hälfte dieser T-Zellen richtete sich der Rezeptor gegen eines von mehreren Epitopen des Epstein-Barr-Virus. Das Ausmaß der virustypischen T-Zell-Aktivierung korrelierte außerdem mit dem Befall innerer Organe und damit mit der Schwere des DRESS-Syndroms. Kurz: Es passte alles. In der Gesamtschau lassen sich die Befunde als deutlicher Hinweis für eine wichtige Rolle der Herpes-Viren bei Entstehung und/oder Aufrechterhaltung des DRESS-Syndroms interpretieren.
Die Folgen für die Therapie? Unklar.
Wie so oft bei der Grundlagenforschung können aus den Erkenntnissen der französischen Wissenschaftler leider keine unmittelbaren Rückschlüsse für die Therapie abgeleitet werden. Klar: Wenn Herpes-Viren beim DRESS-Syndrom eine Rolle spielen, könnten antivirale Medikamente wie Ganciclovir unter Umständen hilfreich sein. Das ist aber nicht zwangsläufig. Denn wenn sich die Mehrzahl der Viren bereits intrazellulär befindet, wenn die Symptome auftreten, dann erreicht das Medikament die Übeltäter unter Umständen gar nicht. Fazit: Kortison bleibt bis auf Weiteres eine sinnvolle Strategie. Und das sofortige Absetzen des auslösenden Medikaments ist es sowieso.