ASS, Ibuprofen, Paracetamol - vom Kleinkind bis zum Erwachsenen gilt die Devise: Fiebersenker können Leben retten. Doch genau das, beschreiben nun britische Mediziner, sei womöglich ein Trugschluss - und empfehlen Ärzten den Einsatz der Pyrotherapie.
Clark Blatteis kämpft seit mehr als dreißig Jahren mit dem Fieber. Doch das, was der am University of Tennessee Health Science Center in Memphis forschende Mediziner jetzt als Fazit seiner Arbeit postuliert, dürfte Ärzte weltweit überraschen. Menschen und Fische sind sich in einem Punkt ähnlicher, als viele glauben: Beide Lebensformen des blauen Planeten nutzen Fieber, um Angriffe auf den Organismus abzuwehren und Infektionen zu besiegen.
Gleichwohl setzen Fische, anders als die humanen Lebewesen, gegen die Erhöhung der Körpertemperatur weder Paracetamol, noch ASS oder andere Fiebersenker ein – sie nutzen vielmehr die Kraft der evolutionsbedingten biochemischen Temperaturmaschine. Blatteis’ Begeisterung für das Heiße im Inneren allen Lebens kommt nicht von ungefähr. Allmählich – wenn auch noch zögerlich - setzt sich in der Medizin die Meinung durch, wonach Fieber eher nutzt, als dass es dem Menschen schadet. Bekannt ist zwar seit langer Zeit, dass höhere Körpertemperaturen die T-Lymphozyten aktiver werden lassen. Körpereigenes Fieber als gezielte Therapie bis 40° Celsius zuzulassen, erschien jedoch bislang gerade bei lebensbedrohlichen Infekten kein adäquates Mittel.
Patienen in Anfangsphase hohem Fieber aussetzen
Genau das soll sich jetzt ändern. So sorgte eine im Januar 2010 publizierte Studie um Garth Dixon vom University College London für Aufsehen. Der Mikrobiologe hatte den Einfluss der humanen Körpertemperatur auf den gefürchteten Erreger Neisseria meningitidis B. untersucht, wenn auch nur im Labor. In jenen Blutproben, die auf 40 Grad Celsius gehalten wurden, ging die Konzentration der lebensbedrohlichen Bazillen gegenüber den bei Normaltemperatur gedeihenden Pendants um 90 Prozent zurück. Die Ergebnisse waren derart beeindruckend, dass das Peer Reviewed British Medical Journal (BMJ) die Aussage der Londoner Mikrobiologen publizierte: Patienten sollten, fordert seitdem Dixon immer wieder, gerade in der Anfangsphase einer Infektion hohem Fieber ausgesetzt werden, um die Bakterienpopulationen im Körper auf natürliche Weise zu dezimieren. Nur einen Monat nach Dixon legte das BMJ nach, und lieferte eine der weltweit ersten Studien aus dem Klinikalltag, die das Phänomen Fieber unter therapeutischen Gesichtspunkten ins Visier nahm. Immerhin 400 Patientendaten hatte sich Gavin Barlow vom Hull and East Yorkshire Hospitals NHS Trust angesehen, alle Erkrankten litten an Pneumonie. Die Zahlen der Auswertung sprechen für sich: Während von jenen Patienten, deren Körpertemperatur unterhalb 36 Grad gehalten wurde, über ein Drittel innerhalb von 30 Tagen nach Erkrankungsbeginn verstarben, überlebten mehr als 82 Prozent der Patienten mit erhöhter Körpertemperatur. Die Sensation allerdings kam bei 40 Grad Celsius daher: In dieser Gruppe überlebten alle Patienten die Pneumonie.
Zwar müsse man beachten, dass gerade ältere Menschen generell eine niedrigere Körpertemperatur aufweisen und womöglich auch ohne Lungenentzündung verstorben wären, meint Barlow, doch sei er „von der Magnitude des Effekts beeindruckt“. Randomisierte Studien wären in der Lage, derartige Unsicherheiten zu beseitigen, doch davon gibt es bislang nur eine einzige - und die hat es in sich. Bereits im Jahr 2005 wollten Ärzte an der University of Miami herausfinden, ob Patienten mit fiebersenkenden Medikamenten tatsächlich besser therapiert werden. Dazu wurden 82 Intensivpatienten in zwei Gruppen unterteilt, von denen die eine Hälfte keine, die andere übliche Fiebersenker erhielt. „Wir hatten sieben Todesfälle in der Standardtherapie-Gruppe und nur einen in jener, die das Fieber zuließ“, erklärt Studienleiter Carl Schulman den Grund für den Abbruch der Studie.
"Fieber-runter-Doktrin"
Länder wie Großbritannien haben zumindest bei der Behandlung von Kindern reagiert und ihre Empfehlungen auf Fieber als Therapietool seit einigen Jahren abgestimmt. Hierzulande hingegen gilt nach wie vor die alte "Fieber-runter-Doktrin", wie ein Blick auf die Empfehlungen der TK Online bei Rachenentzündungen exemplarisch aufzeigt: „Bei hohem Fieber sollten fiebersenkende Medikamente eingenommen werden.“ Selbst der im Jahr 2010 aktualisierte „RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte“ kommt in seinen Empfehlungen an den klassischen Empfehlungen der Vergangenheit noch nicht vorbei: Bei Masern mit Komplikationen etwa setzen die Fachleute aus Berlin auf fiebersenkende Medikamente.
Doch es gibt Grund zur Hoffnung. Denn zumindest vereinzelt sprießt die Erkenntnis, dass Fiebersenkung nicht unbedingt sinnvoll ist. Von den amerikanischen und britischen Überlegungen ist man damit freilich hierzulande noch weit entfernt – aber es gibt Fortschritte. Ein von Medizinern verfasster Patientenratgeber der ältesten deutschen Privatuniversität, Witten/Herdecke, bringt die Sache mit den Fiebersenkern bei Kindern auf den Punkt: „Auch wenn viele Eltern gute Erfahrungen mit dem Einsatz dieser Mittel bei ihren Kindern gemacht haben, so gibt es jedoch keine Studien, die eine Wirksamkeit statistisch eindeutig belegen“.