Jetzt ist es amtlich: Die vor allem bei Herpeserkrankungen eingesetzten Wirkstoffe Acyilovir, Valaciclovir oder Famciclovir bergen für Schwangere keine Risiken. Apotheker können die Mittel demnach guten Gewissens anbieten - und sich auf die aktuelle Ausgabe des Fachblatts JAMA berufen.
Das Lexikon gilt als Wunderquelle des Wissens, einer Nature-Studie zufolge steht es selbst der Enyclopaedia Britannica nicht nach. Und doch: Bei Medikamenten sind die Angaben auf Wikipedia mitunter mit Vorsicht zu genießen. So erfuhren Frauen noch am 27. August 2010 auf der Site des Online-Lexikons, dass bestimmte Herpesmittel und werdende Mütter kaum zueinander passen. „Da Aciclovir auch in die zelluläre DNA eingebaut werden kann, stellt es ein chromosomales Mutagen dar“, erklärte Wikipedia und kam zu einem direkten Schluss: „Daher sollte es nicht während der Schwangerschaft verwendet werden“. Genau das aber, attestieren nun die dänischen Epidemiologen Bjorn Pasternak, und Anders Hviid vom Statens Serum Institut in Kopenhagen, ließe sich erstmals anhand von umfangreichen klinischen Daten widerlegen.
Mehr als 837.000 Neugeborene dienten den Dänen als Datenbasis auf der Suche nach der Antwort auf die entscheidende Frage: Sollten Schwangere antivirale Mittel meiden? Erfasst wurde dazu der Zeitraum vom 1996 bis 2008, so dass die Analyse nicht nur anhand der hohen Fallzahlen, sondern auch auf Grund des langen Zeitraums verlässliche Aussagen erlaubt.
Antivirale Substanzen könnten Gesundheit beeinträchtigen
Diese 837K-Gruppe diente somit als verlässliche Kontrollgruppe und wurde mit insgesamt 1804 Geburten verglichen, bei denen die werdenden Mütter innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate mit Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir behandelt worden waren.
Die Auswertung des Vergleichs brachte zunächst das zu Tage, was bis zur aktuellen JAMA-Publikation als Lehrmeinung galt: Die antiviralen Substanzen könnten die Gesundheit der Neugeborenen beeinträchtigen. Tatsächlich wiesen gleich 40 der 1804 beobachteten Kinder Geburtsfehler auf, was einer Rate von 2,2 Prozent entspricht. Doch auch innerhalb der Kontrollgruppe sah es statistisch betrachtet nicht anders aus, im Gegenteil. 19.920 von 835.991 Kindern hatten bei der Geburt die gleichen Probleme, obwohl ihre Mütter keinen der drei betrachteten Wirkstoffe eingenommen hatten. Prozentual betrachtet machte der Anteil dieser Kinder sogar 2,4 Prozent aus – und lag damit oberhalb des Wertes in der antiviralen Wirkstoffgruppe. Auch das in Herpessalben vorhandene Aciclovir führt der Studie zufolge zu keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Nachwuchses. Denn auch hier lag die Geburtsfehler-Rate bei 2,0 Prozent, während die Kontrollgruppe mit 2,4 Prozent auffiel.
Deutliche Entwarnung für den Alltag
„Unsere Studie hat direkte klinische Auswirkungen, weil die Anti-Herpesviren Therapie mit den drei untersuchten Wirkstoffen innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonaten durchgeführt werden kann“, erklären die Autoren. Allerdings gelte die Aussage lediglich für Aciclovir uneingeschränkt. Die beiden anderen Wirkstoffe würden generell seltener eingenommen, so dass es an einer soliden Datenbasis fehle. Gerade für Apotheken kommen die Ergebnisse wie gerufen. Laut GEK-Arzneimittelreport 2009 zählt der Wirkstoff Aciclovir nämlich zu den Arzneimittelgruppen mit den höchsten Umsatzsteigerungen.
So schnellten die Ausgaben der einstigen GEK innerhalb eines Jahres gleich um 10,50 Prozent hoch, die Zahl der verordneten Tagesdosen (DDD) kletterte um mehr als 13 Prozent. Dass die Substanz auch jenseits von Salben gegen Herpeslippen ihre Daseinsberechtigung hat, wissen wiederum Mediziner vom Otto Meyerhof Zentrum an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg zu berichten, wo der Wirkstoff bei Patienten mit Herpesenzephalitis zum Einsatz kommt.