Das Zystennieren-Syndrom ist bislang nicht heilbar. Das bereits zugelassene Medikament Everolimus sollte den Durchbruch in der Therapie dieser häufigen Erbkrankheit bringen. Doch die Ergebnisse einer klinischen Studie fielen enttäuschend aus.
Die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) ist eine lebensbedrohende Erbkrankheit, bei der sich in beiden Nieren zahlreiche, sich ständig vergrößernde Zysten bilden. In Deutschland gibt es etwa 80.000 von der ADPKD betroffene Menschen. Sie stehen meist mitten im Leben, haben Familie und einen Beruf, wenn sich die Krankheit zum ersten Mal bemerkbar macht. Erste Symptome können Bluthochdruck, blutiger Urin, wiederholte Harnwegsinfekte und Schmerzen im Bauchraum sein. Bislang verfügen Mediziner über keine Therapie, um die fortschreitende Krankheit zu heilen, so dass das Blut der Patienten immer schlechter gereinigt wird. Im späten Erwachsenenalter kommt es zum endgültigen Versagen der Nieren. Nur die Dialyse oder eine Nierentransplantation kann den Betroffenen dann noch helfen.
Ursache für die Erkrankung sind fast immer Mutationen in den Genen PKD1 oder PKD2. Die von beiden Genen kodierten Proteine Polycystin-1 und Polycystin-2 bilden einen Eiweißkomplex, der für Calcium-Ionen durchlässig ist. Der Ionenkanal ist Bestandteil der Zilien – haarfeinen Zellfortsätzen, die in das Innere der Nierenkanälchen ragen. Die Zilien messen wahrscheinlich die Stärke des Harnstroms und sind vermutlich für das korrekte Wachstum der Tubulusepithelien verantwortlich. Bleibt die Bildung des Eiweisskomplexes aus, ist die Funktion der Zilien gestört. Signale werden daraufhin nicht mehr korrekt ins Innere der Epithelzellen weitergeleitet, so dass diese anfangen, zahlreiche Nierenzysten zu bilden.
Wirkstoff bereits zugelassen
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Protein mTOR eine Schlüsselrolle in diesem Prozess einnimmt und dabei dauerhaft aktiviert ist. Hier setzt eine multizentrische Studie an, in der an ADPKD-Patienten der Wirkstoff Everolimus getestet wurde. Die Substanz, die in Europa unter dem Handelsnamen Certican zur Immunsuppression bei Transplantationen bereits zugelassen ist, blockiert mTOR. Wie die Forscher im Fachmagazin New England Journal of Medicine mitteilten, verzögerte Everolimus zwar geringfügig das Wachstum der Zysten bei den Studienteilnehmern, ohne jedoch deren voranschreitenden Verlust der Nierenfunktion aufhalten zu können.
An der multizentrischen Studie nahmen 433 Patienten mit ADPKD teil, deren glomeruläre Filtrationsrate auf einen geringen bis mittelschweren Funktionsverlust der Nieren hinwies. Die Probanden erhielten über einen Zeitraum von zwei Jahren unter Kontrolle des Blutspiegels entweder ein Placebo oder Everolimus. Weder Ärzte noch Testpersonen wussten, wer zu welcher Gruppe gehörte. In der Everolimus-Gruppe brachen 32,7 Prozent der Teilnehmer die Studie ab, in der Placebogruppe nur 14,7 Prozent. Als Nebenwirkungen traten in der Everolimus-Gruppe vor allem Veränderungen des Fettstoffwechsels und des Blutbilds bei den Probanden auf. Trotz der immunsuppressiven Wirkung des Medikaments erkrankten sie jedoch nicht häufiger an Infekten als die Patienten, denen ein Placebo verabreicht wurde.
Kein signifikanter Unterschied
Zu Beginn, nach einem Jahr und am Ende des Beobachtungszeitraums erstellten die Ärzte jeweils ein Kernspintomogramm, um die Veränderung der Nierengröße zu messen. Nach zwei Jahren betrug die durchschnittliche Volumenzunahme in der Everolimus-Gruppe 230 Milliliter und in der Kontrollgruppe 301 Milliliter, was aufgrund der hohen Abbruchrate statistisch nicht signifikant unterschiedlich war. Auch die Nierenfunktion der Patienten überprüften die Ärzte in regelmäßigen Abständen. Allerdings zeigte sich nach zwei Jahren, dass es keinen signifikanten Unterschied in der glomerulären Filtrationsrate zwischen den beiden Gruppen gab.
„Wir hatten eindeutig mehr von der Behandlung erwartet. Der große Durchbruch scheint nicht gelungen zu sein“, sagt Studienarzt Marwan Mannaa, der die Probanden betreute, die am Virchow-Klinikum der Berliner Charité an der Studie teilnahmen. Zwar habe sich in der Everolimus-Gruppe die Nierenfunktion der Patienten in den ersten zwei bis drei Monaten vorübergehend gebessert, doch sei dieser Effekt trotz der verminderten Größenzunahme nach zwei Jahren nicht signifikant gewesen. Die Autoren der Veröffentlichung halten es für möglich, dass bei Patienten, deren Nierenfunktion sich noch nicht messbar verschlechtert hat, Everolimus eventuell einen Nutzen erbringen könnte, da in einem frühen Krankheitsstadium die Vernarbung von gesundem Gewebe viel weniger fortgeschritten ist. Deshalb wünschen sich Mannaa und seine Kollegen weitere Studien, um die Langzeiteffekte einer Behandlung mit Everolimus besser zu verstehen.
Skepsis überwiegt
Andere Experten stehen dem allerdings skeptisch gegenüber: „Da die Zysten kontinuierlich wachsen, müsste Everolimus auch im mittleren Stadium der Erkrankungen einen Einfluss haben“, sagt Professor Peter Gross, Facharzt für Nephrologie am Universitätsklinikum Dresden. Weiterhin wies Gross auf die hohe Ausstiegsrate bei Patienten hin, die mit dem Immunsuppressivum behandelt wurden: „Man müsste die Dosis deutlich verringern, um die Nebenwirkungen zu reduzieren.“ Doch dann sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass Everolimus das Krankheitsgeschehen weniger hilfreich beeinflusst.
Zurzeit werden die Studienteilnehmer nachbeobachtet. Vielleicht, so Mannaa, halte sich die Nierenfunktion der mit Everolimus behandelten Patienten länger auf einem stabilen Niveau als die der unbehandelten Probanden. Solange die Wirksamkeit allerdings noch nicht eindeutig belegt ist, rät er dringend von einer off-Label-Anwendung des Immunsuppressivums ab. „Everolimus, ist ein hoch potentes Medikament“, so Mannaa. „Es gehört unbedingt in die Hände von Spezialisten, die seine Nebenwirkungen kennen.“