Menschen, die ihr Leben mit dem Moebius-Syndrom beginnen, haben es schon als Kind schwer, Freunde zu finden. Die Lähmung der Gesichtsmuskulatur erlaubt ihnen kaum, ihre Gefühle ohne Worte zu zeigen. Dennoch gibt es Wege aus der Isolation.
Die Geschichte, die am 5. April in der New York Times erschien, berichtet von Kontaktproblemen zwischen Menschen. Der jungen Sozialarbeiterin in New Orleans gelang es einfach nicht, eine Bindung zu der alten Frau aufzubauen, die sie bei der Evakuierung vor „Katrina“ aus der Südstaaten-Stadt herausbringen sollte.
Kathleen Bogart, damals Helferin und heute Psychologiestudentin an der Tufts University hat ein einschneidendes Handikap: Seit ihrer Geburt kann sie ihre Gesichtszüge nicht bewegen. Kein Lächeln, kein Augenrollen, kein Zwinkern. Kathleen Bogart leidet am Moebius Syndrom, einer seltenen Lähmung der Gesichtsmuskulatur.
Hunger und Depressionen
Nicht alle Betroffenen haben das Glück, mit oder trotz ihrer Behinderung ein halbwegs normales Leben führen zu können. Die Selbstmordrate ist hoch, Depressionen sehr häufig und der Rückzug in die Einsamkeit fast schon normal. Denn hinter dem zur Maske erstarrten Gesicht steckt ein Kopf, der bei den allermeisten - mehr als 90 Prozent der Moebius-Patienten - genauso klar denken kann wie jeder andere.
Die wissenschaftliche Literatur weiß von insgesamt etwa 300 Fällen, die sich schon sehr früh manifestieren. Wer seine Lippen nicht richtig bewegen kann, hat schon als Säugling Probleme an der mütterlichen Brust. Ohne Hilfe und Unterstützung mit speziellen Trinkflaschen würden viele dieser Kinder verhungern.
Mimik lässt Gefühle sprechen
Irgendwann in der Embryonalentwicklung sind die Kranialnerven 6 und 7 zu kurzgekommen. Sie sind unterentwickelt oder fehlen ganz. Möglicherweise eine Durchblutungsstörung der versorgenden Hirngefäße? Die Ursache genauso wie den Einfluss relevanter Gene konnten die Experten bisher nicht entschlüsseln. Die allermeisten Fälle entstehen spontan ohne familiäre Häufung.
Die verwaschene Sprache, die auch von Deformationen an der Zunge herrührt, Essen mit offenem Mund, Probleme beim Kauen. Auf dem Körper ein „Puppenkopf, der sprechen kann“. Wer weiß, dass Spiegelneurone eine entscheidende Rolle beim Umgang mit Mitmenschen spielen, der erkennt die Probleme beim Kontakt mit Moebius-Patienten. Um aus der Mimik des anderen dessen Stimmungslage abzulesen und eine Verbindung herzustellen, imitieren wir unbewusst dessen Gesichtsausdruck. Dabei spüren wir nach, wie es uns geht. Aber wie kann man aus dem erstarrten Gesichtsausdruck seines Gegenübers lesen?
Jenseits von Sprache und Gesichtsausdruck
Anscheinend, so sind sich Kathleen Bogart und ihr Mitstreiter, David Matsumoto aus San Francisco sicher, gibt es noch andere Wege. In der bisher größten Studie mit Moebius-Patienten schnitten 37 dieser Patienten genauso gut ab wie die 37 Kontroll-Probanden, wenn es um das richtige Ablesen von Stimmungen aus dem Gesicht ihres gesunden Gegenübers ging. Auch eine holländische Studie weist auf Alternativen zum „Gesichts-Mimikry“ hin. Studenten mussten dabei erraten, ob ihr Gesprächspartner die Wahrheit sagte oder log. Dabei wurden sie instruiert, entweder die Mimik ihres Gegenübers zu imitieren, die eigene Mimik zu unterdrücken oder sich ganz natürlich zu geben. Unabhängig von der Sympathie zu ihrem Gegenüber waren jene besonders treffsicher, die ein Pokerface aufsetzten und den Gesichtsausdruck des anderen nicht widerspiegelten.
Mit Beinmuskeln lächeln
Dank Sprachtherapeuten finden viele Patienten ohne Mimik einen Weg aus ihrer Isolation. Das Lachen aus dem Bauch heraus oder ihre besondere ausdrucksstarke Sprache, die auch ihre Gefühle beschreibt, ist dann für Freunde und Bekannte schon bald selbstverständlich. Das Gesicht verliert von seiner abstossenden Wirkung. Die vielen Variationen eines Lächelns bleiben den Betroffenen jedoch zeitlebens verschlossen, auch wenn die moderne Chirurgie zumindest etwas mehr Beweglichkeit in den Mundwinkeln ermöglicht. Die entsprechende Operation ist jedoch extrem aufwändig. Bei einem „Free Muscle Transfer“ entnehmen die Ärzte Muskulatur aus dem Oberschenkel und schließen sie an die Nerven für die Kaumuskeln an. Festes Zubeißen erzeugt das Standardlächeln. Ähnliche Muskeltransplantationen helfen auch beim Lidschluss. Als Alternative zur Operation gilt derzeit die Stimulation der Gesichtsmuskulatur mit Bürsten oder elektrischem Strom.
Synthetische Muskeln
In den Archives of Facial Plastic Surgery erschien Anfang des Jahres ein Artikel eines kalifornischen Forscherteams. Bisher an Leichen erfolgreich erprobt, könnten Moebius-Patienten die ersten sein, die von einem „künstlichen Muskel“ profitieren. Ein Kunststoff-Polymer, das sich bei elektrischer Reizung zusammenzieht, soll dabei die Kraftübertragung der Natur ersetzen. Implantiert in der Schläfe, zieht die Mikro-Apparatur an Kunstofffäden, die zum Ober und Unterlid führen. Dieser Zug sorgt dafür, dass sich die Lider alle Sekunden schließen und dabei die Hornhaut befeuchten und gesund erhalten. Möglicherweise funktioniert so etwas mit entsprechenden Sensoren auch an anderen Stellen des Gesichts und ermöglicht Patienten mit der Gesichtslähmung, zumindest Trauer und Glück mit entsprechenden Bewegungen auszudrücken.
Bei aller Hoffnung auf technische Neuentwicklungen zeigen Moebius-Patienten aber auch, dass das Wissen um unbewusste Verständigung jenseits von Sprache und Mimik immer noch sehr lückenhaft ist. Die zukünftige Kenntnis verborgener Signale zwischen Menschen, so hoffen die die Moebius-Forscher, könnte nicht nur ihren Patienten helfen sondern auch Menschen mit sozialer Phobie, Autisten oder Menschen, deren Gesicht aus anderen Gründen eingefroren ist.