Zum ersten Mal hat sich der Gesundheitsausschuss am gestrigen Mittwochvormittag mit den Plänen der Koalition zur Senkung der Arzneimittelpreise befasst. Im Mittelpunkt standen 22 Änderungsanträge, die die Koalitionsfraktionen zu ihrem Gesetzentwurf (17/2413) verfasst haben. Fest scheint zu stehen: AMONOG mutiert zum ernsthaften Schock für Apotheken.
Die Zahlen kamen pünktlich vor der gestrigen Session im Bundestag und stammen von einem Interessensverband. Trotzdem ist das, was der Progenerika e.V. mitzuteilen hatte, stellvertretend für das Durcheinander rund um das neue AMNOG. „Bei 101 von 143 Wirkstoffen, für die derzeit ein AOK-Rabattvertrag besteht, kann es vorkommen, dass das in der Apotheke abgegebene Rabattarzneimittel nicht für die gleichen Anwendungsgebiete (Indikationen) zugelassen ist, wie das ursprünglich vom Arzt für den Patienten verordnete“, heißt es unter Berufung auf eine im September durchgeführte Datenbankanalyse.
Apotheker dürften ihren Kunden die Nachricht auch in anderen Worten des Verbands präsentieren: „Es wird keine Ausnahme sein, dass ein AOK-Versicherter ein Arzneimittel bekommt, in dessen Packungsbeilage er keine Informationen zur Anwendung bei seiner Krankheit findet“.
Beratungspflicht zwischen den Fronten
Tatsächlich ist das, was einem „Austausch in nicht zugelassene Anwendungsgebiete“ gleichkommt, Bestandteil dessen, was die Bundesregierung ab 01.01.2011 mit einer entsprechenden Regelung im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zulassen möchte. Gerade für Apotheken erweist sich dieser Passus als Dilemma.
Denn normalerweise könnten sich Pharmazeuten auf das AMNOG berufen und Patienten gegenüber einfach schweigen. Einerseits. Andererseits durchlebt die Branche ohnehin turbulente Zeiten und muss auf Beratung und Information seiner Klientel setzen. Worüber sich die beim Überbringer der schlechten Botschaften kaum bedanken dürfte.
Welche Folgen beispielsweise allein das obige Beispiel hätte, zeigt ein Gutachten, das der Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden erstellt hat. Wilhelm Kirch nahm exemplarisch den Wirkstoff Terazosin ins Visier. Dieser ist sowohl für die Behandlung des hohen Blutdrucks als auch für die Therapie einer Prostatavergrößerung indiziert – wenn auch nicht alle Terazosin-Arzneimittel für beide Indikationen in Frage kommen. „Hat nun eine Kasse einen Rabattvertrag über ein Terazosin-Präparat geschlossen, das zwar zur Behandlung der Prostata aber nicht für die Hochdrucktherapie zugelassen ist, würden Hochdruck-Patientinnen ein Arzneimittel bekommen, in dessen Packungsbeilage sie zwar viel über die Prostatabehandlung lesen können, aber nichts über die Therapie von Bluthochdruck oder gar Kontraindikationen erfahren“, monieren jetzt die Fachleute um Kirch, und: „Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass sie ihre Arzneimittel mangels Information über- oder unterdosieren oder sogar die Therapie eigenmächtig ganz abbrechen“.
Kein Einzelfall. Ganze 40 Seiten macht das skurrile Dokument 17/2413 aus, über das der Gesundheitsausschuss gestern debattierte, nach außen hin wird das Papier als Durchbruch im Kampf gegen die Kosten propagiert. „Wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, soll die pharmazeutische Industrie künftig den Nutzen neuer Arzneimittel nachweisen und den Preis, den sie dafür von den Kassen erstattet bekommt, mit diesen aushandeln“, heißt es etwa in einer Stellungnahme des Deutschen Bundestags.
Die Kostensenkung freilich dürften in erster Linie Deutschlands Apotheken zu spüren bekommen – in Form von Umsatzeinbußen. Denn die geplante Umstellung der Großhandelsvergütung belastet die Apotheken nach Berechnungen des Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA mit bis zu 500 Millionen Euro jährlich. Das große Ganze trifft letztendlich jeden, wie die ABDA zu verstehen gibt: „Das bedeutet einen Rohertragsverlust von durchschnittlich weit mehr als 20.000 Euro je Apotheke, und dies jährlich“.
Kein Ausweg, nirgends
Auf andere Umsatzsegmente auszuweichen, um die Verluste auszugleichen, erscheint wenig realisierbar. Rund 78 Prozent des Apothekenumsatzes machen verschreibungspflichtige Medikamente aus, allein 2009 betrug dieser Anteil bundesweit 30,8 Milliarden Euro. Das sogenannte Arzneimittelverordungsvolumen, innerhalb dessen neben der GKV- auch die PKV-Komponente vertreten ist, liegt sogar bei 31,9 Milliarden.
Was Apothekenverbände auf Grund des drohenden AMNOG nahezu panisch verkünden, ließe sich demnach auch vollkommen frei von Verbandsinteressen bestätigen: Kein Ausweg, nirgends.
Nahezu zynisch muss ob solcher Perspektiven eine besondere Passage des Entwurfs 17/2413 auf Apotheken wirken. Auf Seite vier des gestern im Bundestag diskutierten AMNOG-Dokuments resümieren die Regierungsfraktionen den Output in Punkto Bürokratie: „Erwartete Kostenreduzierung: keine“.
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