Während des Heranwachsens ist das Gehirn besonders anfällig für schädliche Einflüsse. Bei Mäusen wurde festgestellt, dass fettreiches Essen die Reifung des präfrontalen Cortex stört. Dadurch sollen im Erwachsenenalter Defizite bei Lernprozessen und der Impulskontrolle drohen.
Der präfrontale Cortex ist ein Teil der Großhirnrinde und gilt als Sitz von Gedächtnis, Planung, Impulskontrolle und Sozialverhalten. Ohne funktionierenden präfrontalen Cortex, etwa nach einem Unfall oder aufgrund eines Tumors, verändert sich das Wesen des Menschen. Er hat Mühe bei komplexen Lernprozessen, kann seine Hemmungen verlieren, wird unkontrolliert aggressiv, kindisch oder triebhaft. Die Reifung des präfrontalen Cortex dauert länger als bei anderen Hirnstrukturen und ist erst im frühen Erwachsenenalter zwischen 18 und 22 Jahren abgeschlossen. Während dieses Prozesses ist der präfrontale Cortex anfällig für negative Umwelteinflüsse wie Stress, Infektionen oder Traumata. In mehreren Studien zeigte sich zudem, dass fettreiche Nahrung und Übergewicht bei Heranwachsenden wahrscheinlich zu kognitiven Defiziten führt. Ein Forscherteam der ETH und der Universität Zürich hat nun im Tiermodell untersucht, welche molekularen Prozesse im präfrontalen Cortex durch eine unausgewogene Ernährung verändert werden. Wie die Wissenschaftler um Urs Meyer in einem Artikel im Fachmagazin Molecular Psychiatry berichten, hatte eine extrem fettreiche Nahrung bei jungen Mäusen zur Folge, dass weniger Reelin in deren präfrontalen Cortex hergestellt wurde. Reelin ist ein extrazelluläres Protein, das bei der Entwicklung der Großhirnrinde und des Hippocampus eine wichtige Rolle spielt. Im Rahmen ihrer Studie fütterte Meyers Team sowohl heranwachsende Mäuse als auch erwachsene Mäuse über einen Zeitraum von 13 Wochen mit einer speziellen Diät, deren Fettanteil zu 63 Prozent zur Energiezufuhr beitrug. In den entsprechenden Kontrollgruppen erhielten junge und ältere Mäuse jeweils eine normale Kost.
Anschließend testeten die Forscher mithilfe verschiedener Experimente, wie gut sich die Tiere räumlich orientieren können. Diese mussten dabei in einem Y-förmigen Gangsystem sich für eine der beiden Arme entscheiden oder in einem runden, mit trüben Wasser gefüllten Becken eine unter der Wasseroberfläche befindliche, nicht sichtbare Plattform finden. Mäuse, die während des Heranwachsens fettreiche Nahrung erhielten, schnitten bei diesen Tests schlechter als ihre normal ernährten Artgenossen ab. Besonders deutlich wurden die Unterschiede, als die Forscher die Regeln während des Versuchs veränderten: „Wenn die Mäuse auf einmal rechts anstatt links schwimmen müssen, um das Ziel zu erreichen, brauchen sie eine erhöhte kognitive Flexibilität“, erklärt Meyer, Professor am Institut für Verterinärpharmakologie und -toxikologie der Universität Zürich. „Die Tiere mit einer fettreichen Nahrung machten dann fast doppelt so viele Fehler und benötigten viel mehr Zeit, um die neue Regel zu lernen, als die Mäuse aus der Kontrollgruppe.“ Interessanterweise waren diese Unterschiede nicht vorhanden, wenn die Mäuse erst im Erwachsenenalter fettreiche Nahrung erhielten: Die Tiere zeigten in den Tests normale Verhaltensmuster und wiesen keine kognitiven Einbußen auf, egal ob sie fettreiches oder normales Futter bekommen hatten. Während die erwachsenen Mäuse unter der Fettdiät schon nach kurzer Zeit stark an Gewicht zulegten, war dieser Effekt bei den heranwachsenden Mäusen nur schwach ausgeprägt. „Jungen Tieren sieht man zuerst kaum an, dass sie fettreiches Futter zu sich nehmen“, sagt Meyer. „Bevor die heranwachsenden Mäuse dick werden, machen sich aber schon die neuronalen Defizite bemerkbar.“ Entscheidend für die Entstehung dieser Defizite scheint also das Zeitfenster des Fettkonsums zu sein: Dieser wirkt sich vornehmlich in der Adoleszenz negativ auf die Reifung des präfrontalen Cortex aus.
Dann wollten Meyer und sein Team herausfinden, auf welche Weise fettreiche Nahrung das Gehirn von heranwachsenden Mäusen schädigt. Nachdem die Tiere 13 Wochen lang fettreiches Futter erhalten hatten, untersuchten die Forscher in verschiedenen Gehirnarealen der Mäuse die Konzentration von mehreren Proteinen. Dabei stellten sie fest, dass im präfrontalen Cortex der fettreich ernährten Tiere 35 Prozent weniger Reelin als bei normal ernährten Tieren vorkam. In anderen Gehirnarealen fanden die Forscher keinen solchen Unterschied. Bei erwachsenen Tiere hatte die fettreiche Nahrung keinen Einfluss auf die Produktionsrate von Reelin im präfrontaten Cortex. Reelin wird von GABAergen Nervenzellen ausgeschüttet und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der synaptischen Plastizität, die als entscheidend für Lernen und Gedächtnisbildung gilt. Die Neuronen aus dem präfrontalen Cortex von heranwachsenden, normal ernährten Mäusen (links) produzieren mehr Reelin (braun) als die entsprechenden Neuronen von fettreich ernährten Mäusen (rechts). © U. Meyer Die Reizübertragung von einer Nervenzelle auf eine andere Nervenzelle findet an den Synapsen mithilfe von Neurotransmittern statt. Diese docken an passende Rezeptorproteine der Empfängerzelle an und lösen einen elektrischen Impuls aus. Die Signalübertragung wird normalerweise nach einem länger anhaltenden Stimulus abgeschwächt. Dieser auch als Langzeit-Depression (LTD) bezeichnete Prozess kann als Reaktion auf eine künstliche elektrische Stimulation gemessen werden. Deshalb haben Meyer und sein Team mit einer dünnen Elektrode einzelne Sender-Nervenzellen aus dem präfrontalen Cortex der Mäuse elektrisch angeregt und mit einer weiteren Elektrode die synaptische Antwort der jeweiligen Empfänger-Nervenzellen gemessen. Nur bei Tieren mit normaler Ernährung konnten die Forscher eine Abschwächung der elektrischen Ströme nachweisen, bei den fettreich ernährten Tieren war die Langzeit-Depression dagegen vollständig verschwunden. „Das Reelin-Defizit im präfrontalen Cortex stört elektrophysiologische Prozesse, die für die synaptische Plastizität wichtig sind“, sagt Meyer. Er und seine Mitarbeiter untersuchten daraufhin gentechnisch veränderte Mäuse, deren Nervenzellen im präfrontalen Cortex zusätzliches Reelin produzierten und die ebenfalls fettreich ernährt wurden. Diese Mäuse zeigten ein fast normales Verhalten in den Lerntests zur räumlichen Orientierung. „Wahrscheinlich gibt es aber noch weitere Reelin-unabhängige Prozesse, die durch eine fettreiche Ernährung während des Heranwachsens verändert werden und sich auf die kognitive Entwicklung negativ auswirken“, meint Meyer. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die fettreich ernährten Mäuse ihre kognitiven Defizite wieder aufholen können, wenn sich ihr Ernährungsmuster wieder verändert: „Vermutlich bleiben einige Einbußen bestehen, andere können vielleicht durch eine normale Ernährung wieder rückgängig gemacht werden“, so Meyer.
Ein Teil der Ergebnisse der Zürcher Studie könnten auf den Menschen übertragbar sein: „Sowohl beim Menschen als auch bei der Maus reift der präfrontale Cortex hauptsächlich in der Adoleszenz heran“, sagt Meyer. „Auch die Nervenzellstrukturen und die zellulären Prozesse im Gehirn, auf die die fettreiche Nahrung einwirkt, stimmen bei Mensch und Maus weitgehend überein.“ Der Forscher räumt allerdings ein, dass die extrem fettreiche Nahrung nicht dem entspricht, was die meisten Menschen über längere Zeit einnehmen. „Derart fettreich essen wohl nur die wenigsten Kinder und Jugendlichen“, sagt Meyer. „Diese Form der Zuspitzung haben wir bewusst gewählt, um den Effekt fettreicher Nahrung auf die Gehirnreifung klar und deutlich aufzuzeigen und den Prinzipienbeweis erbringen zu können.“ Eine bereits angelaufene Studie mit Versuchsmäusen soll nun bestimmen, wie hoch der Fettanteil der Nahrung in der Adoleszenz sein darf, damit keine Schäden am präfrontalen Cortex entstehen. „Wer einmal pro Woche fettreichen Fast Food isst, wird kaum betroffen sein“, meint Meyer. Dennoch findet der Forscher, dass der Ernährung in der Adoleszenz mehr Beachtung geschenkt werden muss: „Während des Heranwachsens sollten Kinder und Jugendliche möglichst ausgewogen und hochwertig essen.“ Fragt sich nur, ob der Studienaufwand für die Gewinnung dieser profunden Erkenntnis gerechtfertigt war.