Tuberkulose bleibt eine rätselhafte Erkrankung. Warum bricht sie nur bei einer Minderheit der Infizierten aus? Die Antwort könnte in den Genen liegen – und sie könnte dabei helfen, jene zu identifizieren, denen durch das Mykobakterium wirklich Gefahr droht.
Tuberkulose, was ist das? Ein Arzt, der sein berufliches Leben komplett in Deutschland verbringt, könnte diese Frage durchaus stellen. Zwar ist die Tuberkulose hierzulande nicht ausgerottet. Aber allen Berichten über eine wieder ansteigende Tuberkulosegefahr zum Trotz befindet sich die Tuberkulose auf deutschem Boden seit Jahren im Sinkflug. Für 2009 meldete das Robert Koch Institut lediglich 4390 Neuerkrankungen – ein historischer Tiefstand. Die Zahl der tuberkulosebedingten Todesfälle lag bei 150.
Bei der Tuberkulose herrscht Forschungsbedarf an allen Ecken und Enden
Trotz dieser Zahlen hat die Tuberkuloseforschung weltweit deutlich an Priorität gewonnen. Denn der Blick über die Grenzen zeigt, dass Deutschland in Sachen Tuberkulose eine Insel der Seligen ist. Mit fast zwei Millionen Todesfällen pro Jahr ist die Tuberkulose auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die tödlichste durch Bakterien verursachte Infektionskrankheit überhaupt. "Die Brennpunkte sind derzeit das südliche Afrika, die ehemalige Sowjetunion, Indien, China und Südostasien", sagt Professor Robert Loddenkemper vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK). Nur ein Beispiel: In Südafrika ist die Tuberkulose pro Bevölkerungseinheit 150 Mal häufiger als in Deutschland. Nicht genug damit, es hapert bei der Tuberkulosebekämpfung an fast allem: Es gibt keine schnellen und kostengünstigen Tuberkulosetests, insbesondere in jenen Regionen, in denen der Tuberkulintest nicht weiterhilft. Es gibt keine befriedigende Impfung. Und in Sachen Therapie machen multiresistente Mykobakterien wie MDR und XDR zunehmend Sorge, von den äußerst prekären Tuberkulose-HIV-Koinfektionen gar nicht zu reden.
Die Gretchenfrage der Infektiologie: Warum ich, warum nicht du?
Neben diesen klinisch-praktischen Defiziten sind auch einige grundsätzliche Fragen zur Tuberkulose bisher ungelöst. Vor allem ist unklar, warum nicht viel mehr Menschen an manifester Tuberkulose leiden. Denn die Durchseuchung ist extrem hoch. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung trägt den Keim in sich, schätzt die WHO. Wieso es bei etwa 90 Prozent der Tb-Infizierten zeitlebens bei einer latenten Infektion bleibt, darauf beginnen Forscher gerade erst, eine Antwort zu finden.
Ein Team um Anne O’Garra vom britischen National Institute of Medical Research und Matthew Barry vom Imperial College Healthcare NHS Trust hat jetzt ein wichtiges Puzzlestück ausfindig gemacht. Die Wissenschaftler berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature. Sie konnten zeigen, dass es bei Patienten mit aktiver Tuberkulose ein sehr typisches Muster von Genaktivierungen gibt, eine Art genetischer Fingerabdruck der aktiven Tuberkulose. Diese „Signatur“ besteht aus 393 Genen. Es handelt sich überwiegend um solche Gene, die durch verschiedene Interferone induziert werden. Die Interferone wiederum, das ist nicht neu, sind eine Antwort des Organismus auf die Infektion mit dem Mykobakterium.
Interessant wird diese Beobachtung dadurch, dass die Forscher die Genaktivität nicht nur bei Patienten analysiert haben, die an Tuberkulose erkrankt waren, sondern auch bei Infizierten mit latenter Tb. Und siehe da: Etwa jeder zehnte in der Gruppe der latent infizierten Menschen wies eine ähnliche Gensignatur auf wie die manifest erkrankten Patienten. 90 Prozent der latent Infizierten dagegen hatten diesbezüglich unauffällige Blutproben.
Latent infiziert und doch schon krank?
Die These lautet nun, dass sich in diesem Unterschied eine unterschiedliche genetische Empfindlichkeit gegenüber dem Mycobakterium tuberculosis widerspiegelt. Kandidaten hierfür wären Gene, die mit Art oder Ausmaß der Interferonantwort auf die Tuberkuloseinfektion zu tun haben. „Es ist zumindest denkbar, dass unsere Gensignatur Vorhersagen darüber erlaubt, bei wem die Tuberkulose letzten Endes ausbricht“, so O’Garra. „Diese Menschen könnten dann möglicherweise präventiv behandelt werden, um die Ausbreitung im Körper zu verhindern.“ Zum jetzigen Zeitpunkt ist das freilich nicht mehr als eine Hoffnung: „Weitere Arbeit ist nötig, um zu validieren, ob die Signatur wirklich prädiktiv ist.“
Dass es grundsätzlich genetische Unterschiede gibt, die mit einer unterschiedlichen Empfindlichkeit gegenüber der Tb einhergehen, ist mittlerweile unstrittig. Kurz vor der Nature-Publikation der Briten haben andere Wissenschaftler der Universität Oxford und des deutschen Bernard Nocht Instituts für Tropenmedizin in der Zeitschrift Nature Genetics eine Genvariante beschrieben, die bei Afrikanern mit einer erhöhten Suszeptibilität gegenüber Tb einhergeht. Es handelt sich um eine Region auf Chromosom 18, die möglicherweise ein Wörtchen bei der Genregulation mitzureden hat. Die Genvariante wurde mit Hilfe von genomweiten Assoziationsstudien identifiziert, für die 11000 Blutproben nötig waren – bei der Tuberkulose ein Novum für die afrikanische Bevölkerung. Auch diese Entdeckung hat keine unmittelbaren therapeutischen Konsequenzen. Aber sie ist ein weiterer Schritt zum Verständnis einer Erkrankung, die noch längst nicht Vergangenheit ist.