Weniger ist mehr – auch im OP. Verfahren werden zusehends weniger invasiv. Eine Dynamik, die in der NOTES-Methode ihren Höhepunkt erreicht hatte. Vorläufig, denn inzwischen stehen zwei Technologien in den Startlöchern. Beide gelten als Meilensteine.
Die Vorteile der minimal-invasiven versus der konventionellen offenen Chirurgie sind evident: weniger Traumata, weniger Schmerzen, geringere Operationsdauer, kürzerer Klinikaufenthalt, schnellere Rekonvaleszenz. Mit der Minimalisierung minimieren sich laut Prof. Dr. Carsten Zornig, Direktor der Chirurgischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg, auch die Risiken: So sind unter anderem "Wundinfekte und Verletzungen der Bauchdecke deutlich geringer". Nicht zu vergessen natürlich "die wesentlich bessere Kosmetik" – ein weiteres bedeutendes Argument für den Einsatz minimal-invasiver Verfahren. Entsprechend wurden diese in den letzten Jahren mit Riesenschritten weiter entwickelt. Immer weniger und immer dünnere Trokare, so die Devise. Die vielen Vorteile und die gute Akzeptanz generieren einen wachsenden Bedarf an innovativen, noch weniger invasiven Technologien – Zugzwang für Forschung und Industrie.
Der Traum vom Operieren ohne Narben
2004 führte der US-Gastroenterologe Prof. Dr. Anthony Kalloo von der Johns Hopkins Universität in Baltimore schließlich die erste transgastrale Peritoneoskopie durch. In der dazu gehörigen Publikation tauchte erstmals jener Begriff auf, der zu einem Zauberwort in der Chirurgie werden sollte: Natural Orifice Translumenal Endoscopic Surgery, kurz NOTES. So benannt, weil dabei natürlich bestehende Körperöffnungen wie Vagina, Harnröhre, Anus oder Mund als Zugang zum Bauchraum genutzt werden. Eine Traumatisierung der Bauchdecke durch Einführen der Instrumente gänzlich vermeiden und so im Grunde narbenfrei operieren zu können – das sorgte verständlicherweise für einige Furore in medizinischen Kreisen. Mit der neuen NOTES-Technik rückte die Erfüllung des Traumes von einer wirklich narbenlosen Chirurgie endlich in greifbare Nähe.
Vorerst bleibt es allerdings beim Träumen. Das Operieren via natürlicher Körperöffnungen steckt noch in den – allerkleinsten – Kinderschuhen. In der klinischen Praxis spielt NOTES derzeit nur eine marginale Rolle. Das Verfahren, so Prof. Dr. Kaja Ludwig, Chefarzt der Chirurgie und Ärztlicher Direktor des Klinikum Südstadt Rostock, "ist noch meilenweit von einer breiten Anwendung entfernt". Bis es soweit ist, wird es dauern und sind noch einige Hürden zu nehmen. Nicht nur medizin-technische. Skepsis herrscht unter Experten auch hinsichtlich dessen, ob die "Methode narbenfrei" tatsächlich die erwarteten weiteren Vorteile bringt. Zumal für die Anwendung von NOTES erst einmal vollkommen neue und wesentlich komplexere Operationswege erlernt werden müssen.
Multifunktional und magnetisch geführt
Seit kurzem gibt es nun Zuwachs in der minimal-invasiven Chirurgie. Zwei neue Systeme, die zwar mit einigen wenigen Einschnitten einhergehen, dafür jedoch deutlich einfacher zu handhaben sind als NOTES: das Percutaneous Surgical Set und das Magnetic Anchoring and Guidance System, kurz MAGS. Die beiden Verfahren werden bereits in ihrem jetzigen Prototypen-Status als Vorreiter der nächsten Generation auf dem Gebiet der minimal-invasiven Chirurgie gewertet. Sie ermöglichen es, selbst komplexe Operationen mit nur wenigen Einschnitten und erstmals mit magnetischer Führungskontrolle durchzuführen. Da die neuen Technologien intuitiv zu bedienen sind, können gewohnte Operationsmethoden beibehalten werden. Worin Prof. Zornig "den größten Vorteil gegenüber NOTES" sieht.
Das multifunktionale Percutaneous Surgical Set lässt sich für diverse Eingriffe wie beispielsweise zur Entfernung des Blinddarms oder der Gallenblase anwenden. Sein Schaft hat einen Durchmesser von drei Millimetern und wird separat durch die Bauchdecke in den Körper eingeführt. Anschließend kann der Schaft im Bauchraum des Patienten mit längeren Endstücken von fünf oder zehn Millimetern Durchmesser zusammengesetzt werden. Das erlaubt es, durch einen nur kleinen Einschnitt an Geweben zu operieren, die für gewöhnlich größere Instrumente und damit Einschnitte erfordern. Das zweite System, MAGS, dient dazu, Instrumente durch die Körperwand hindurch magnetisch miteinander zu verkoppeln. Diese magnetische Führung erhöht die Manövrierfähigkeit. Auch die Sicht verbessert sich durch die in MAGS integrierte Kamera – sie kann beliebig im Körperinneren bewegt werden. Das gibt einen wesentlich detaillierteren Überblick über den Bauchraum und unterstützt damit die Präzision des Operateurs. Beide Systeme, das perkutane und MAGS, können gemeinsam bei einer Operation eingesetzt werden.
"Extrem pfiffig..."
Prof. Ludwig ist bundesweit der erste Chirurg, der MAGS und das perkutane System bereits getestet hat. Sein Fazit: "Extrem pfiffige Innovationen, die ausräumen, was uns bislang behindert hat". Der Vorteil bei MAGS liegt nach seiner Ansicht vor allem in der verbesserten Optik: "Die kabellose Kamera gibt ausreichend Licht und die Optik ist von der Gerätespitze abgekoppelt. Ein immenser Fortschritt, denn bislang hatten wir beim Operieren mit dem Endoskop stets nur den Blick von der Gerätespitze geradeaus". Zudem, so Prof. Ludwig, macht MAGS den Operateur um einiges mobiler. "Dank der magnetischen Führung kann man im Bauchraum hin- und herfahren und ist nicht mehr an den Zugang gebunden". Das perkutane System überzeugte beim Testlauf besonders durch die hohe Stabilität, die es beim Operieren gewährleistet – welche es so laut Prof. Ludwig noch nie zuvor gegeben hat: "Das Percutaneous Surgical Set schlägt die Brücke zwischen konventionellen Zugängen und möglichst gar keinen". Beide Verfahren, MAGS wie das perkutane System, lassen sich nach den bisherigen Erfahrungen von Prof. Ludwig von "jedem laparoskopisch tätigen Chirurgen einfach anwenden". Mit guten Ergebnissen: Narben, Traumata und post-operative Schmerzen werden sich reduzieren. Das Gleiche gilt für Anästhesiedosen, Erholungszeit der Patienten sowie das Personal im OP.
Auch die Psyche profitiert
Die Minimalisierung von Operationsmethoden stellt nicht nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Erleichterung für den Patienten dar. Ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, so Prof. Ludwig: "Generell besteht bei jedem Patienten eine mehr oder minder große Angst vor einer Operation". Diese ist umso ausgeprägter, je größer der Eingriff sein wird. Entsprechend stimmen Patienten fast ausnahmslos lieber einer Operation zu, die mit minimal-invasiven Verfahren sicher erfolgen können. Dass sich auch Ängste und damit psychische Belastungen reduzieren lassen, indem möglichst wenig sichtbar verletzt wird, ist nach Auffassung des Rostocker Chirurgen ein zusätzlicher "immens wichtiger Vorteil".
Auch angesichts dessen steht für Prof. Ludwig außer Frage, dass MAGS zukünftig eine breite Anwendung findet: "Ich bin davon überzeugt, dass es sehr schnell akzeptiert und in vielen Kliniken eingesetzt wird". Die Zukunftsaussichten des perkutanen Systems bewertet er ebenfalls positiv – vorausgesetzt, dass es zu vernünftigen Preiskonditionen angeboten wird.
In Kürze werden weitere führende Experten auf dem Gebiet der minimal-invasiven Chirurgie die beiden Neulinge testen. Die Markteinführung der beiden Systeme ist vom Hersteller für 2012 vorgesehen. Möglicherweise ist es bereits früher so weit, wie Prof. Ludwig hofft: "Wir würden diese Technologien gerne so bald wie möglich einsetzen".