Die Erfolgreichsten unter den Ärzten und Forschern werden am meisten umworben. Sie erhalten Unterstützung von Industrie, aber auch von Verbänden, Verlagen und anderen Interessengruppen. Gleichzeitig sind sie aber auch diejenigen, die Behandlungs-Leitlinien entwickeln und Gutachten erstellen. Nur wer seine Verbindungen offen darlegt, verdient Vertrauen.
Für Kenner der engen Verflechtungen zwischen Industrie, Interessenverbänden und den Stars in der Medizin kam die Meldung vor einigen Wochen nicht unerwartet: Spitzenverdiener der amerikanischen Orthopädie sind sehr zurückhaltend, wenn es um das Offenlegen von Interessenkonflikten aufgrund finanzieller Zuwendungen geht.
David Rothman vom New Yorker Institute of Medicine hat die Angaben großer Orthopädietechnik-Firmen über die Empfänger von Sponsorengelder mit denen von Autoren in entsprechenden Fachzeitschriften verglichen. Rothman und seine Mitstreiter berücksichtigten dabei nur Beträge von mehr als einer Million Dollar. Hinweise auf entsprechende Verbindungen zur Industrie enthielt jedoch nur etwa die Hälfte aller Artikel. Und das, obwohl nahezu alle Redaktionen inzwischen von ihren Autoren entsprechende Angaben schon beim Einreichen ihres Manuskripts fordern. Nur sieben von den 95 untersuchten Artikeln enthielten einen Vermerk, dass die Zuwendungen für den Forscher mehr als 10.000 Dollar betrugen.
Geiz und Ehrgeiz kollidieren mit Patientenwohl
David Rothman spricht in seinem Artikel von „zweifelnden Fragen, ob die unveröffentlichten Zuwendungen ... zu voreingenommenen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen führen“. Das Problem ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) gab im Frühjahr dieses Jahres „Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften“ heraus. Offensichtlich sind auch die Leitlinien der AWMF nicht ganz immun gegen Einflüsse von Lobbyisten. Interessenkonflikte sind für die AWMF dabei entsprechend der Definition von Thompson und Emanuel aus den neunziger Jahren „Umstände, die ein Risiko für professionelles Handeln erzeugen, bei denen sekundäre Interessen ein primäres Interesse übermäßig beeinflussen.“ Sie sorgen dafür, dass das Streben nach Renommee oder Wohlstand das Wohl des Patienten oder das überprüfbare Forschungsergebnis gefährden.
Wer dabei mithilft, Behandlungsleitlinien zu entwickeln, muss unabhängig sein. Daher fordert die AWMF in ihrem Papier, die Finanzierung des Prozesses offenzulegen und befürwortet für die Beteiligten eine „Befangenheits-Skala“ bei Interessenskonflikten. Tagungen sollen entsprechend den wissenschaftlichen Zielsetzungen und nicht den Freizeitinteressen der Teilnehmer geplant werden: Das heißt zum Beispiel: Kein exklusives Sponsoring des Rahmenprogramms oder extrateure VIP-Festbankette anstatt Arbeitsessen.
„Vergessene“ Angaben im Anhang
Auch in Deutschland gibt es schwarze Schafe. Wer etwa regelmäßig das „Deutsche Ärzteblatt“ liest, findet zuweilen einige Wochen nach einem Übersichtsartikel eine Berichtigung, in dem Interessenskonflikte „nachgereicht“ werden. Entsprechende Verbindungen - auch finanzieller Natur - fanden sich etwa bei Reviews über das kolorektale Karzinom, der Sicherheit von Impfstoffen oder über Adipositas.
Zerstörtes Vertrauen
Wer als Arzt Unterstützung von Interessensgruppen annimmt, der handelt nicht mehr unabhängig, auch wenn er sich darum bemüht. Das sehen auch Patienten so. Das amerikanische Verbrauchermagazin „Consumer Report" berichtet von einer Patientenumfrage zur „Zielgruppe Arzt“ von Pharmafirmen. Die Mehrheit der Behandelten ist der Meinung, dass „gesponserte“ Ärzte eher Medikamente - auch minderwertigere - der großzügigen Firma vorziehen würden.
Aber auch Ärzte glauben, dass etwa intensive Beziehungen zu Pharmareferenten nicht ohne Folgen bleiben. Bei einer Umfrage waren 21 Prozent davon überzeugt, dass Firmenvertreter ihre Kollegen beeinflussen. Sich selber halten dagegen über 90 Prozent für immun gegen jegliche Einflüsterungen.
Strategisches Ghostwriting
Selbst wer sich unabhängig vom Vertreterbesuch in der Praxis informieren möchte, kommt kaum um unterschwelliges Marketing herum. Die Fachzeitschrift PLoS Medicine veröffentlichte im Sommer letzten Jahres rund 1500 Dokumente, die zeigen, wie Interessensgruppen mit „Ghostwritern“ zusammenarbeiten. Immer wieder sind auch hochangesehene Akademiker bereit, ihren Namen über einen Artikel in Fachzeitschriften zu setzen, den die PR-Abteilung schon vorbereitet hat und die überragenden Eigenschaften einer Therapie bescheinigt. Immerhin - ein weiterer Beitrag zur eigenen Publikationsliste und damit zum Marktwert. Das betreffende Produkt muss man gar nicht einmal erwähnen. Meist reicht es, die Behandlung deutlich zu umschreiben oder auf die Schwächen der Konkurrenz hinzuweisen. Gerne auch in Kommentaren und Leserbriefen, die sich auf die Publikation beziehen.
Freiwillige Selbstkontrolle für den guten Ruf
David Klemperer, Vorsitzender des Netzwerks evidenzbasierte Medizin und in der AWMF aktiv, ging auf das Thema Interessenskonflikte vor einiger Zeit in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt ein. Für sich selber hat er eine Übersicht über den Aufwand und die „Gegenleistungen“ aller seiner Aktivitäten auf seiner Homepage aufgelistet. Ähnliche Transparenz und Unabhängigkeit will auch „MEZIS - Initiative unabhängiger Ärztinnen und Ärzte“, die mit dem eingängigen Slogan „Mein Essen zahl‘ ich selbst“ für ihre Ideen wirbt.
Schließlich versucht auch die Gegenseite mit entsprechenden Initiativen die Kratzer am Renommee nicht zu tief werden zu lassen. So haben sich bereits 2004 vierzig Pharmafirmen zur „Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ zusammengeschlossen. Darin verpflichten sich die Mitglieder unter anderem zu strengen Regeln bei der Finanzierung von Anwendungsbeobachtungen, bei Geschenken oder Arzneimittelmustern.
Noch immer bezahlen Interessensgruppen wie etwa Arzneimittelproduzenten einen großen Teil der ärztlichen Fortbildungen, obwohl diese Lerneinheiten eigentlich neutral sein sollten. Laut „New England Journal of Medicine“ haben die Hälfte aller Medizinforscher Verbindungen zur Industrie. Die wirklich Erfolgreichen dabei noch häufiger als andere. Ohne enge Zusammenarbeit zwischen Verbänden, Firmen, Selbsthilfegruppen und Ärzten geht es aber auch in der Forschung nur langsam voran. Daher bleibt nur der Ausweg, Abhängigkeiten offen darzulegen. Zur Erinnerung: Ob sekundäre Interessen das Urteilsvermögen des Arztes oder Forschers tatsächlich beeinflussen, spielt keine Rolle. Allein offen auf die Gefahr hinzuweisen, lässt Misstrauen schwinden.