Seit Novellierung der ärztlichen Approbationsordnung im Jahr 2002 haben viele Universitäten ihr Lehrcurriculums überarbeitet. Von bundesweit 36 Medizin-Unis haben rund 90% mittlerweile eine oder mehrere innovative Lehrmethoden eingeführt. Aber inwieweit profitieren wir Studenten wirklich von der Einrichtung eines Skills Lab oder Seminaren zu "Basisfertigkeiten Medizin"?
Was steckt hinter OSCE?
Im ersten Semester schwankte ich zwischen großem Interesse und einer leichten Nervosität, als ich den Begriff OSCE in meinem Stundenplan fand. Was sollte das denn sein? Schnell waren Kommilitonen aus höheren Semestern bereit, mich und meine Kommilitonen aufzuklären und erläuterten, dass es sich dabei um eine „objective structured clinical examination“ handelt. Aha! Irgendwie hatten wir das Gefühl, immer noch nicht genau Bescheid zu wissen und so erklärte man uns, dass dort die zuvor in Seminaren und Praktika eingeübten klinischen Fähigkeiten geprüft werden sollen. Dazu gehören an der Uni Göttingen unter anderem das hygienisch (und technisch!) korrekte Legen eines Zuganges, angemessene Patientengespräche in verschiedenen Situationen, eine dermatologische Bild-Diagnostik und die korrekte Erste Hilfe. Es gilt also einiges zu lernen.
Vorbereitung auf das OSCE
In vielen, teilweise langen Seminaren wurde, jeweils unter der Supervision einer Fachperson und einer studentischen Hilfskraft, die Kommunikation mit dem Patienten ebenso geübt wie die Technik einer subkutanen Injektion oder das richtige Kleben von EKG-Elektroden. Weiterhin standen uns an freien Nachmittagen die Räume des klinikeigenen Studentischen Trainingszentrums Ärztlicher Praxis und Simulation (kurz: „STÄPS“) zur Verfügung. Hier findet man vom Ultraschallgerät bis zum Fahrradergometer beste technische Voraussetzungen, um die nötigen Fähigkeiten der verschiedenen medizinischen Disziplinen praktisch zu üben. Dieses Angebot wird von Studenten sehr unterschiedlich genutzt. Das mag zum Teil an der fehlenden Motivation oder überfüllten Stundenplänen liegen. Allerdings beherrschen Physikumsabsolventen die Basics der Klinik auch einfach schon - sei es durch Erfahrungen im Nebenjob oder ein sehr gutes Pflegepraktikum.
In den jeweiligen Seminaren zu den „Basisfertigkeiten Medizin“ konnten jederzeit Fragen gestellt und Fehler gemacht werden, das einzige „No-Go“ waren Passivität und Unwillen zur Gruppenarbeit. Tatsächlich kann man anhand der Leistungen seiner Mitstreiter und insbesondere aus ihren Fehlern sehr viel lernen - diese Erfahrung hat sicherlich auch der ein oder andere von Euch schon gemacht. Es war unheimlich interessant zu beobachten, wie jeder aus der Gruppe nach einer Weile seine eigene Art der Gesprächsführung mit den „Patienten“ entwickelte. Auch die Stärken in Bezug auf Technik und Einfühlungsvermögen blieben nicht lange verborgen und sorgten für den ein oder anderen Lacher. Sich auch mal in die Rolle eines Patienten einzufühlen und dessen Krankheit einem Arzt zu erklären, öffnete weitere bisher nur erahnte Perspektiven.
Praktische Prüfung mit Stoppuhr
Bevor wir uns versahen war das OSCE da. Ich muss sagen, dass ich eine völlig andere Art der Nervosität spürte als vor gewöhnlichen Klausuren. Schließlich muss nicht nur der Kopf, sondern auch Hände, Koordination und nicht zuletzt die Stimme funktionieren. Ein bisschen erinnerte mich die Stimmung an eine Art Bewerbungsgespräch, denn man sollte ja möglichst sein jeweiliges Gegenüber von den eigenen Kompetenzen überzeugen, ob tatsächlich vorhanden oder nicht... In kleinen Gruppen wurden wir aufgerufen und verteilten uns auf die insgesamt 8 Stationen. Dazu zählten im Einzelnen: 3 Patientengespräche mit unterschiedlichem Kontext, 1 bis 2 dermatologische Bilder, die es zu befunden galt, das Legen eines Zuganges, EKG schreiben und auswerten, Erste Hilfe am Modell und einige schriftliche Fragen zur Rechtsmedizin.
Pro Station hat man exakt 5 Minuten Zeit, die (sehr zu unserem Vergnügen) durch einen der Betreuer mit der Uhr gestoppt wurden. Sobald die Zimmertür hinter dem jeweiligen Prüfling ins Schloss fällt, startet die Prüfung. Besonders in den 3 Patientengesprächen muss man wirklich zügig auf den Punkt kommen um die jeweilige Situation richtig zu erfassen und entsprechende Fragen zu stellen. Ich selbst wurde mit einer lebensmüden Frau, einem Mann mit dem Wunsch nach Krankschreibung und einer jungen Mutter nach Betriebsunfall konfrontiert.
Stärken und Schwächen des OSCE
Im Nachhinein kann ich definitiv sagen dass ich mich gut vorbereitet gefühlt habe. Die Art der Prüfung fand ich innovativ und sinnvoll, da sie nicht nur praxisbezogen war, sondern jedem einzelnen von uns auch die Möglichkeit gegeben hat, die Lösung des Problems selber zu finden und nicht nach einem bestimmten Schema vorgehen zu müssen. Denn darauf kommt es meiner Meinung nach später im Berufsalltag wirklich an, dass man seine eigene Strategie und Herangehensweise findet und so den Patienten schnell und kompetent helfen kann.
Womit wir auch bei meinem einzigen wirklichen Kritikpunkt in Bezug auf das OSCE wären: die limitierte Zeit. 5 Minuten mögen so manchem Stationsarzt im stressigen Alltag schon fast viel für die reine Gesprächsführung mit einem Patienten erscheinen. Als Anfängerin muss ich aber zu bedenken geben, dass grade der Gesprächseinstieg und die Findung des roten Fadens in der Symptomatik einige Zeit dauern können. Viele meiner Kommilitonen konnten dies grade in Bezug auf die Gespräche, aber auch auf die etwas aufwändigeren Praxiselemente bestätigen. Insgesamt fühlte man sich in den Prüfungsminuten doch gehetzt. Und auf Grund des Wissens, dass bestimmte Fragen Punkte bringen, konnte ich mich selbst beobachten, wie ich diese „abgearbeitet“ habe. Es gibt sicher Ärzte, die genau darin eine Erfahrung sehen würden, die den ärztlichen Alltag widerspiegelt. Für eine geplante, klinische Prüfung würde ich mir dennoch die Möglichkeit wünschen, das noch nicht wirklich gefestigte Wissen angemessen abfragen und anwenden zu können. Obwohl ich auch die Problematik sehe, dass bei knapp 150 Studenten pro Semester oder mehr 5 Minuten wahrscheinlich das organisatorisch mögliche Zeitfenster darstellen.
Intensivkurs Perioperatives Management
Nachdem also die Basis geschaffen war, folgte im 2. klinischen Semester mit dem Kurs „perioperatives Management“ ein weiterer innovativer Lehransatz. In verschiedenen Seminaren ging es jetzt um das korrekte „Einwaschen“ für den OP, das Anlegen von Stützverbänden sowie den korrekten Gebrauch von Kathetern jeglicher Art. Ein Nahtkurs ergänzte das Angebot, den Höhepunkt stellte jedoch die komplett selbstständig gestaltete Einleitung einer Narkose dar, die wir unter Aufsicht der Anästhesisten an einem Vormittag üben durften. Dieses Praktikum fand ich wirklich lehrreich und spannend.
In Dreier-Gruppen begaben wir uns an den Tisch, auf dem unser Modellpatient schon wartete. Zunächst noch unter Anleitung des anwesenden Anästhesisten und anschließend auch allein kümmerten wir uns um die Injektion von Analgetikum, Hypnotikum und Muskelrelaxans, natürlich streng in der korrekten Reihenfolge. Die Modellpuppe reagierte auf jede unserer Handlungen mit Herzfrequenz, Atmung oder Sauerstoffsättigung. Da fiel es dann schon unangenehm auf, wenn man vor der Gabe des Muskelrelaxans nicht die Größe und Funktionsfähigkeit der Atemmaske getestet hatte. Einige der weiblichen Teilnehmer stellten außerdem fest, dass eine gewisse Kraft in Händen und Armen durchaus sehr von Vorteil sein kann. Dass Intubieren mitunter schwer fällt ist nichts Neues und auch diese Hürde wurde von fast allen gemeistert.
Nachdem die ersten Gruppen so mehr oder weniger erfolgreich ihre Patienten ins Land der Träume geschickt hatten (diese etwas alberne Art der Ankündigung einer Narkose schätzen viele Patienten laut unserem Anästhesisten übrigens gar nicht), entwickelte unser Praktikumsleiter, der mittlerweile im Nebenraum die Anzeigen der Geräte und des Modells programmierte, einen gewissen Übermut. Plötzlich sahen wir uns mit fallenden Sättigungswerten, einem zu hohen Beatmungsdruck oder gar Kammerflimmern konfrontiert. Auch wenn wir in der ein oder anderen Situation nicht sofort richtig reagiert haben oder schlicht überfordert waren, habe ich viel über die Tricks und Tücken einer Narkoseeinleitung gelernt. Und das in grade einmal 4 Stunden. Auch die anderen genannten Seminare fand ich durchaus sinnvoll und hilfreich, wenn auch auf Grund ihrer Gestaltung weniger innovativ. Auch wenn es bei einem Katheterkurs sicherlich am sinnvollsten ist, wenn jeder Student ein Modell vor sich liegen hat und eher theoretisch erläutert wird, was wichtig ist, so wären in manch anderem Bereich doch Praktika der beschriebenen Art wünschenswert.
Gestatten: Mein Name ist Harvey
Im letzten Semester erwartete mich dann mit der Cardio-pulmonalen Lehre der sogenannte Harvey-Kurs. Harvey ist ebenfalls eine Modellpuppe, die in diesem Fall der Simulation sämtlicher Herzgeräusche inklusive der zugehörigen Weiterleitung selbiger in Carotis und Axillarlinie sowie der charakteristischen Pulswellen dient. Vielleicht kennen einige von euch dieses Modell ja sogar? Bereits vor Beginn des Kurses war die Motivation unter den Teilnehmern sehr geteilt, hatte man aus höheren Semestern doch eher negative Resumés gehört. Diese bewahrheiteten sich dann leider auch in der ersten Seminarstunde. Zu der ohnehin schon großen Gruppe von 12 Leuten gesellte sich noch der ein oder andere Student aus dem vorherigen Semester, der -man ahnt es fast- Fehlzeiten ausgleichen musste. An Harvey selber lag es sicher nicht, dass dieser Kurs mäßig bis gar nicht zum allgemeinen Lernerfolg dieses Moduls beigetragen hat. Auch wenn durch die zahlreichen Kopfhörer jeder Student die zu beurteilenden Herzgeräusche laut und deutlich mitbekam, so darf doch stark bezweifelt werden, dass die Art der Lehre hier dem Wissenszuwachs förderlich war. Um den Puls der Puppe stritten sich mindestens fünf Studenten pro Seite, den Blutdruck durfte genau einer bestimmen und die Anzahl der tastenden Finger, die auf eine Brust passt, ist nun mal auch begrenzt. Spätestens nach der zweiten Unterrichtseinheit war jedem klar, dass man die Zeit besser vor einem Lehrbuch verbracht hätte und ja, die Geräusche höchstwahrscheinlich nur theoretisch in ihrer Charakteristik auswendig gelernt hätte.
Idee ausgezeichnet, Umsetzung mangelhaft
Nur, um das klarzustellen: insgesamt war das Modul Cardio-pulmonale Lehre das beste meines bisherigen Studiums und diese Meinung teilt nach Auswertung der Evaluationen auch ein Großteil meiner Mitstudenten. Woran lag es also? Meiner Meinung nach scheitert die innovative Lehrmethode hier an 2 ganz entscheidenden Dingen: Erstens die Gruppengröße: es ist enorm wichtig, dass wirklich jeder einzelne die Chance bekommt, eine Maßnahme von vorn bis hinten allein durchzuführen. Sei es eine Anamnese oder das Ertasten des Herzspitzenstoßes. Der zweite Punkt betrifft die Selbstständigkeit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Dinge aktiv durchdenken und dann auch tun muss, um sich daran erinnern zu können, oder um davon in der Praxis wirklich zu profitieren. Wenn immer nur der Kardiologe das Stethoskop auf die Brust des Modells legt, haben wir Studenten eher wenig davon. Auch wenn das Gesamtergebnis dieses Kurses zu wünschen übrig ließ, so hat man als Teilnehmer dennoch die Gewissheit, dass man sowohl ein galoppierendes Herz als auch das berühmte „Maschinengeräusch“ bei offenem Ductus arteriosus botalli schon mal gehört hat und auch das ist ja ein Gewinn.
Fazit innovative Lehrmethoden: Insgesamt positiv
Ich hoffe, dass das Angebot an solchen Praktika und Seminaren in Zukunft noch steigen wird. Auch die Idee von praktischen Prüfungen ähnlich dem OSCE sollte unbedingt weiter verfolgt und ausgebaut werden. Natürlich wird es grade zu Anfang eines neuen Lehrkonzeptes immer mal wieder kleinere Stolperfallen geben. Dennoch findet die Grundidee innovativer Lehrangebote viel Zuspruch unter den Studenten. Auch wenn man sich manchmal überwinden und das Risiko eingehen muss, auch mal als unwissend dazustehen, es lohnt sich. Und ich denke, dass die ersten wirklichen Patienten unserer Arztlaufbahn dankbar für die geduldigen Modelle sein werden, die uns vielleicht ein wenig mehr Sicherheit und Übung hier oder da ermöglichen.