Der Vorstoß der eBooks in der Medizin scheint unaufhaltsam: In einem Artikel des Fachblatts "GMS Medizin" erklären drei Verlage ihre Strategien und Pläne für die Zukunft. Man will vor allem die Universitätsbibliotheken und damit den medizinischen Nachwuchs via eBook erreichen.
Kurz vor der Frankfurter Buchmesse 2010 sorgte eine Publikation für Aufsehen innerhalb der Verlagsbranche. In einem Interview mit dem Fachblatt GMS Medizin erörtern Klaus Bahmann (Springer), Peter Gemmel (Thieme) und Angelika Lex (Elsevier) den Status und die Perspektiven von elektronischen Büchern aus der Sicht von drei großen wissenschaftlichen Verlagen. Tatsächlich erscheint die Avance der Großverlage auf den ersten Blick verwirrend. Denn auf dem Gebiet der eBooks tummeln sie sich bereits seit Jahren.
„Wir sind mit unserem eBook-Angebot im Sommer 2006 gestartet und sind heute der größte eBook-Anbieter unter den STM-Verlagen", erklärt beispielsweise Klaus Bahmann von Springer. Gemmel zufolge war Thieme indes „schon in den 90er Jahren mit elektronischen Büchern am Markt aktiv“. Ähnlich liest sich die Bilanz für Elsevier. Der Verlag startete 2006 mit zirka 230 Buchtiteln, nur drei Jahre später betrug diese Zahl immerhin 10.600. „Mit der E-Library stehen inzwischen die wichtigsten deutschsprachigen Lehrbücher, unter anderem Titel wie Sobotta, als Online-Lehrbücher mit nützlichen Zusatzfeatures an vielen medizinischen Fakultäten zur Verfügung“, betont Angelika Lex von Elsevier den digitalen Schub.
Die Geschichte der eBooks ist jedoch komplexer und von den Belangen der Bibliotheken abhängig. Und die sind wählerisch. Nur das, was von den Nutzern auch wirklich angenommen wird, hat eine Daseinsberechtigung – schon aus Kostengründen. Entsprechend verwundert es nicht, dass die Verlage auf die Macht der Bibliotheken eingehen und einlenken. Springer etwa offeriert eine sogenannte „Frontlist“: Der Bezug von digitalen Formaten ist unabhängig vom Erwerb der Printausgaben des Verlags. Für Bibliothekare eine willkommene Erleichterung, zumal nicht mehr jedes Werk in Papierform im Bestand sein muss.
Das allein reicht Elsevier nicht aus. „Viel wichtiger ist es uns, den wahren USP von eBooks, nämlich uneingeschränkte Nutzung, zu betonen. Und wir bieten uneingeschränkte Nutzung OHNE Restriktionen“, erklärt Lex die Taktik ihres Hauses. Prints und Downloads nach Lust und Laune begeistern Studentinnen und Studenten, wofür die Bibliothek letztendlich Lizenzgebühren berappt.
Thieme wiederum setzt auf die 24-Stunden Erreichbarkeit. Bei diesem Modell erfolgt ein campusweiter Zugang über Freischaltung der entsprechenden IP-Range. Auf diese Weise können von jedem Campusrechner aus die digitalen Inhalte abgerufen werden. Ein Verfahren, das viele Online-Webzines für eigene kostenpflichtigen Inhalte schon seit Jahren kostenlos an Universitäten anbieten.
Zukunftsvisionen hinken Realitäten hinterher
Die Visionen für die Zukunft lesen sich bei den Big Three hingegen eher minimalistisch. Elsevier möchte beispielsweise die elektronischen Inhalte mit Web 2.0 Elementen kombinieren. Webzines und Portale haben derartige Funktionen längst integriert und denken bereits über das Web 3.0 nach. Auch die Vernetzung mit anderen digitalen Inhalten steht im Mittelpunkt der Zukunftsstrategien, kann aber ebenfalls nur mäßig überzeugen weil sie andernorts schon vorhanden ist.
Selbst Standardwerke gibt es ohne die großen drei bereits in digitaler Form. Mit über 850 Seiten Textumfang bietet beispielsweise Gerd Herold's "Innere Medizin" eine vorlesungsorientierte Darstellung unter Berücksichtigung des Gegenstandskataloges für die Ärztliche Prüfung – und ist über DocCheck Load elektronisch erhältlich.
Dass nur noch die Giganten unter den Fachverlagen über das technische und logistische Know-how verfügen, um eBooks zu pushen, darf angesichts solcher Beispiele angezweifelt werden. Die Größe der Häuser ist zugleich ihr Ballast: Medizinische Fachliteratur muss auch außerhalb der Unibibliothek abrufbar sein. Zudem reicht das simple eBook, in Form des jahrzehntealten PDF-Standards etwa, vielen Nutzern allein nicht immer aus.
Damit avancieren kleinere Special-Interest Portale zu ernstzunehmenden Wettbewerbern der altehrwürdigen Großverlage. Denn unzählige Online-Plattformen sind schon heute bestens vernetzt und bieten das an, wovon Elsevier, Thieme oder Springer noch träumen: Web 2.0, Querverweise, medizinische Nachrichten und Medical Social Network, um nur einige Features zu nennen.
„Unsere Vision ist eine Lern- und Prüfungsplattform, die alle Lernwelten miteinander verknüpft“, erklärt indes Bahmann von Springer seine Vorstellung von der Zukunft der digitalen Medizinwelt. Viel Zeit für die Umsetzung bleibt nicht. Die Frankfurter Buchmesse 2010 startete erstmals in ihrer Geschichte mit SPARKS eine digitale Offensive, innerhalb derer verschiedene Plattformen unterschiedliche Zielgruppen zusammenführen sollten. Für die Verlage bot vor allem die sogenannte HOT SPOTS Ebene einen Blick in die Zukunft: Vom Blogger bis zum Special-Interest-Produzenten werden die Inhalte der Zukunft vernetzt. Für viele Großverlage heißt das aber womöglich auch: Die Jahre der alleinigen Marktbeherrschung sind vorbei.