Mitunter ist das deutsche Gesundheitswesen für kleine Wunder gut: Ab dem Jahr 2011 können Krankenhäuser in Deutschland Telekonsile bei Patienten mit akutem Schlaganfall regulär abrechnen. Gekoppelt wird diese Option aber an hohe Qualitätsstandards.
Das deutsche Gesundheitswesen macht es sich mitunter selbst schwer, das ist kein Geheimnis. Sehr deutlich wird das seit Jahren immer dann, wenn technische Hilfsmittel eingesetzt werden sollen, um Versorgungsengpässe zu überwinden. Die Telemedizin-Schwester AGNeS ist so ein Beispiel, das es zu einiger Prominenz gebracht hat. Jahrelang mussten ihre Erfinder im chronisch dünn versorgten Vorpommern dafür kämpfen, dass diese Gehilfin des (Haus-)Arztes auch vor den KV-Granden und den Krankenkassen-Bossen Gnade finde. Zu einem Zeitpunkt, als sie in einigen Regionen längst unverzichtbar war, haben sich dann auch die Bürohengste der Selbstverwaltung in gut versorgten Städten zu einem gönnerhaften Kopfnicken durchgerungen. Die Finanzierung wurde vorsichtshalber aber so knapp bemessen, dass es ja nicht zu attraktiv wird, Leistungen zu delegieren.
Innovative Versorgungsformen kämpfen gegen Widerstände
Ähnlich schwierig wie bei Schwester AGNeS gestaltete sich die Sache bisher bei der telemedizinischen Versorgung von Schlaganfallpatienten. Zwar gibt es vor allem in Süddeutschland seit Jahren gut funktionierende Schlaganfallnetze, bei denen überregionale Stroke Units bei Patienten mit akutem Schlaganfall per Videokonferenzschaltung als Ansprechpartner für kleine Krankenhäuser ohne eigene Rund-um-die-Uhr-Neurologie fungieren. Dass das funktioniert, wurde zumindest für das TEMPiS-Netz nachgewiesen, das sehr intensiv mit Fortbildungsaktivitäten arbeitet und in den kleinen Krankenhäusern quasi Mini-Stroke-Units unter dann internistischer Leitung aufbaut. Bis dafür die Finanzierung einigermaßen stand, hat es Jahre gedauert. Sondervereinbarungen mit den Krankenkassen wurden geschlossen, die eine Zeitlang funktionierten, bei denen zuletzt die Mittel aber dann doch wieder gekürzt wurden.
Kurz: Es war das übliche Kleinklein, das für diejenigen, die die Arbeit machen, unheimlich aufreibend ist, während die, die für die Mittelvergabe zuständig sind, nach Kassenlage entscheiden – ohne sich bei Kürzungen allzu viele Gedanken darüber zu machen, wie das adressierte Versorgungsdefizit denn sonst angegangen werden könnte. Ähnlich wie bei Schwester AGNeS so stand der innerärztliche Widerstand auch bei der Schlaganfalltelemedizin dem Widerstand des Finanzierungssystems in nichts nach. Die neurologischen Fachgesellschaften haben die Schlaganfallnetze, gelinde gesagt, so lange nicht unterstützt, bis es nicht mehr anders ging. Dann allerdings haben sie sich am Riemen gerissen und gemeinsame Qualitätsstandards definiert. Schlaganfalltelekonsil findet Eingang ins DRG-System
Diese innerärztliche Einigkeit im zweiten Anlauf dürfte eine wichtige Voraussetzung dafür gewesen sein, dass jetzt auch in die Finanzierung der Schlaganfallnetze Bewegung kommt. Im neuen OPS-Katalog des DIMDI kann das neurologische Telekonsil ab 2011 unter der Schlaganfall-Komplexziffer 8-98b erstmals im Rahmen des DRG-Systems abgerechnet werden. Das heißt: Werden Schlaganfallpatienten unter Zuhilfenahme eines Telekonsils versorgt, dann steigt der Fallwert um einen Betrag, der je nach individueller Situation irgendwo zwischen 1000 und rund 2000 Euro liegt. „Ich bin sehr froh, dass es zu dieser Regelung gekommen ist“, sagt Professor Dr. Heinrich Audebert, Charité Berlin. Der Begründer des TEMPiS-Netzes hat mit seinem Durchhaltevermögen und mit nach internationalem Standard durchgeführten Studien maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland weltweit als ein Vorzeigeland in Sachen Schlaganfalltelemedizin gilt. Die Dotierung der OPS-Ziffer hält er für angemessen: „Ein Krankenhaus, das nach dem TEMPiS-Modell arbeitet und etwa 300 Schlaganfallpatienten pro Jahr versorgt, müsste damit hinkommen“, so Audebert. Auch Privatdozent Dr. Guntram Ickenstein aus Aue ist zufrieden mit der Entwicklung. Ickenstein war früher beim TEMPiS-Netz tätig. Er ist jetzt neurologischer Chefarzt am Helios-Klinikum Aue und im Helios-Konzern verantwortlich für das Neuronet, eine Infrastruktur für neurologische Telekonsile. Rund 500 Schlaganfalltelekonsile würden bei Helios derzeit jährlich über dieses vor fünf Jahren gestartete Netz abgewickelt, so Ickenstein.
Hohe Anforderungen an Qualität und Personalaufwand
Es ist allerdings nicht so, dass sich ein Klinikum nur eine Kamera und einen Laptop zulegen muss, um künftig neurologische Telekonsile nach Belieben abrechnen zu können. Die Bedingungen für die Erteilung der OPS-Ziffer sind relativ detailliert formuliert, und sie sind anspruchsvoll. So ist von einem „regionalen“ Netzwerk die Rede, bei dem die Krankenhäuser mit einer überregionalen Stroke Unit verknüpft sind. Der Telekonsildienst muss rund um die Uhr zur Verfügung stehen, und die Telekonsilärzte müssen „für die Zeit des gesamten Telekonsildienstes von anderen klinischen Tätigkeiten freigestellt“ werden. Vor allem dieser Punkt dürfte dem einen oder anderen Netz Schwierigkeiten bereiten. Im Helios-Neuronet beispielsweise rotiere die Telekonsilverantwortung derzeit im Wochenrhythmus zwischen den fünf großen Stroke Units des Konzerns, wie Ickenstein bei einer Telemedizintagung in Berlin erläuterte. Klar ist: Alle Schlaganfallnetze müssen angesichts der neuen OPS-Ziffer jetzt noch einmal neu nachdenken, wie sie sich organisieren.