Ein Patient in den 60ern sieht plötzlich schlechter. Speziell beim Lesen fällt ihm ein kreisrunder, unscharfer Fleck im Gesichtsfeld auf: Anzeichen einer altersbedingte Makuladegeneration. Jetzt gilt es, schnell zu intervenieren, um die Sehkraft zu erhalten.
Wunderwerk Mensch: Einer der wichtigsten Bereiche des Auges ist die Netzhaut oder Retina. Dort befinden sich die lichtempfindlichen Sinneszellen. Und der gelbe Fleck, die Macula lutea, gilt als Stelle des schärfsten Sehens. Genau hier laufen bei der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) zerstörerische Prozesse ab – mehr als viereinhalb Millionen Menschen sind allein in Deutschland betroffen. Forscher der Universität Bonn fanden jetzt im Rahmen einer multizentrischen Studie bei vielen der Betroffenen Ablagerungen aus Stoffwechselprodukten. „Wir konnten so markante Veränderungen auf Ebene der lichtempfindlichen Sehzellen sichtbar machen“, erklärt Prof. Dr. Frank G. Holz, der Leiter der dortigen Uni-Augenklinik. „Dies war umso überraschender, als man bisher annahm, dass sich die Erkrankung im Wesentlichen in anatomisch tieferen Schichten abspielt und nicht primär auf Ebene der Photorezeptoren“. Pigmentzellen können diese Abfallprodukte des Stoffwechsels nicht mehr entfernen – es kommt zum Absterben entsprechender Bereiche. Gene oder Umwelt – wer ist schuld? Als Auslöser der AMD identifizierten Forscher mittlerweile mehrere Defekte in menschlichen Genen. Doch allzu große Hoffnung ist fehl am Platze, wie ein Team der Universität Regensburg zu bedenken gab. „Unsere Studie zeigt, dass die bekannten Erbfaktoren im Spätstadium offensichtlich keine Rolle mehr spielen“, so der Humangenetiker Prof. Dr. Bernhard Weber. Beim Krankheitsprozess spielen jedoch Umwelteinflüsse eine entscheidende Rolle. Gegen den größten Risikofakor lässt sich schwer etwas unternehmen. „Die altersbedingte Makuladegeneration ist Schicksal“, so Prof. Dr. Johann Roider, Direktor der Universitätsklinik in Kiel. „Die einzige Möglichkeit vorzubeugen, ist es, nicht zu rauchen“. Der blaue Dunst verschlechtert nämlich die Durchblutung des Auges, und Stoffwechselprodukte können schlechter abtransportiert werden. In diesem Zusammenhang hatte die Universität Manchester herausgefunden, dass in Großbritannien jede fünfte Makuladegeneration durch Zigaretten und Co. verursacht wurde. Und mit der „Blue Mountains Eye“-Studie der Universität von Sydney, Australien, errechneten die Forscher ein vierfach höheres AMD-Risiko bei Rauchern. Dazu begleiteten sie 2.500 Personen, die mindestens 49 Jahre alt waren, über zehn Jahre hinweg. Langsam und trocken Relativ langsam schreitet die trockene Makuladegeneration voran. Ausgelöst durch Störungen des Stoffwechsels bilden sich Ablagerungen im Bereich des gelben Flecks. Momentan sind die therapeutischen Maßnahmen noch äußerst begrenzt – Patienten profitieren zumindest von diversen Nahrungsergänzungsmitteln. Beispielsweise zeigte die US-amerikanische Age-related Eye Disease Study (AREDS) bereits vor mehreren Jahren, dass eine Kombination von Vitamin E und Beta-Carotin mit Vitamin C, Zink und Kupfer das Fortschreiten der Krankheit um 25 Prozent verlangsamt. Die Kehrseite der Medaille: Auch traten vermehrt Krebserkrankungen auf. Wissenschaftler arbeiten jetzt an einer Nachfolgestudie: „Die Mengen der verwendeten Päperate in der AREDS-Studie müssen kritisch hinterfragt werden“, so Prof. Dr. Gabriele Lang vom Uniklinikum Ulm. Außerdem wurde „AREDS-2 begonnen, um den Nutzen weiterer Mikronährstoffe zu prüfen“. Dazu gehören etwa Omega-3-Fettsäuren, bekannt aus fetten Fischen, sowie spezielle Abkömmlinge des Carotins, nämlich Zeaxanthin und Lutein. Jetzt lässt ein neuer Arzneistoff AMD-Patienten hoffen. Fenretinide, strukturell dem Vitamin A ähnlich, verringert speziell bei der trockenen Form die Ablagerungen im Auge. Dementsprechend verlangsamen sich auch die Degenerationsprozesse. Nach viel versprechenden Tierexperimenten und ersten Studienerfolgen mit Patienten, ermöglicht die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA der Substanz eine schnellere Zulassung, den „Fast Track“-Status. Schnell und feucht Weitaus gefährlicher schätzen Augenärzte die feuchte Variante der Makuladegeneration ein. Innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen führt diese aggressive Ausprägung zu einem signifikanten Verlust der Sehschärfe und zu einer unwiederbringlichen Zerstörung funktioneller Bereiche. Der Mechanismus: Blutgefäße wachsen aus der Aderhaut unter die Netzhaut. Austretende Flüssigkeit und Blutbestandteile führen schließlich zu einem entsprechenden Funktionsverlust lichtempfindlicher Strukturen. Mittlerweile stehen einige wirkungsvolle Interventionen zur Verfügung. Um das Kapillarnetz in Schach zu halten, „verkochen“ Augenärzte mit der thermischen Laserkoagulation überschüssige Strukturen. Hingegen sensibilisiert man bei der Phototherapie die zu zerstörenden Bereiche mit einem Farbstoff, beispielsweise Verteporfin, und setzt Laserlicht ein. In den bestrahlten Bereichen bilden sich freie Radikale, die den überflüssigen Adern den Todesstoß verpassen. Beide Verfahren haben einen großen Nachteil: Meist sind mehrfache Anwendungen erforderlich, und trotzdem sprießen die Blutgefäße weiter. Mit dem Antikörper Bevacizumab (Avastin) und dem Antikörper-Fragment Ranibizumab (Lucentis) begann eine Revolution in der AMD-Therapie. Beide inaktivieren die Neubildung von Gefäßen, indem sie den Signalstoff Vascular Endothelial Growth Factor, kurz VEGF, inaktivieren – eine Strategie aus der Krebstherapie. „Seit kurzer Zeit ist es medikamentös erstmals möglich, die Sehschärfe bei altersabhängiger Makuladegeneration langfristig zu erhalten und in Einzelfällen wieder zu verbessern“, betont Prof. Dr. Johann Roider, Kiel. Ökonomie und Medizin – zwei Welten begegnen sich Obwohl Lucentis bereits 2007 die Zulassung zur AMD-Therapie bekommen hat, setzen Augenärzte nach wie vor Avastin „off label“ ein, Haftungsrisiken inklusive. Bei dieser Wahl ist der Preis das Kriterium: Avastin schlägt lediglich mit einem Dreißigstel der Behandlungskosten von Lucentis zu Buche. Ende August hat sich das Bundesversicherungsamt angesichts mehrerer Beschwerden von Patienten in die Debatte eingeschaltet. In einem Rundschreiben betonen die Verantwortlichen, jeder Patient habe das Recht, bei entsprechender Indikation mit Lucentis behandelt zu werden. Auch müssten die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten ohne Murren übernehmen. Angesichts dieser Problematik wies Prof. Dr. Johann Roider bereits 2009 darauf hin, dass sich beide Eiweiße trotz struktureller Ähnlichkeiten hinsichtlich ihres Wirkmechanismus unterscheiden. Roider: „So lange wir keine kontrollierten Studien haben, wissen wir nicht, was in zehn Jahren ist“. Jetzt soll die herstellerunabhängige Vergleichsstudie VIBERA Klarheit bringen: Wissenschaftler der Universität Bremen nehmen beide Präparate unter die Lupe, um zu sehen, ob diese gleich gut bei altersbedingter feuchter Makuladegeneration wirken. Ein mögliches Ergebnis, sollte es keine großen Unterschiede geben, wäre die de-facto-Zulassung von Avastatin bei der AMD. In die Zange genommen Momentan untersucht ein internationales Forscherteam den zusätzlichen Einsatz von Strontium-90: „Ranibizumab hemmt nur die Bildung neuer Blutgefäße. Die Strahlen wirken aber auch gegen die Entzündungsreaktionen – einen weiteren Faktor im Krankheitsbild AMD. So können verschiedene Ursachen der AMD in die Zange genommen werden“, unterstreicht Prof. Dr. Peter Wiedemann, Direktor der Universitätsaugenklinik Leipzig. Bei der internationalen Cabernet-Studie setzen Fachärzte deshalb auf die Kombination: „Die bisherigen Erfahrungen sind vielversprechend. Bei vielen Patienten bleibt der Zustand stabil“. Hingegen stoppte die Bundesärztekammer den Einsatz schneller Protonen bei AMD. Die Auswertung entsprechender Daten habe keinen langfristigen Mehrwert im Sinne einer Verbesserung der Sehfähigkeit im Vergleich zu anderen Verfahren ergeben, hieß es. Daher sieht der Gemeinsame Bundesausschuss als oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung derzeit keine medizinische Notwendigkeit für diese Therapieform. Besser als die Bekämpfung des Wachstumsfaktors VEGF wäre, dessen Bildung im Keim zu ersticken, etwa durch die RNA-Intereferenz. „Dabei handelt es sich um ein molekularbiologisches Verfahren, mit dem sich einzelne Gene gezielt stumm schalten lassen“, erklärt Prof. Dr. Frank G. Holz. Entsprechend bringen kleine Nukleinsäure-Bausteine das Gen zum Schweigen, das für die VEGF-Produktion verantwortlich ist. Im Labor hat sich die Methode längst etabliert. Holz: „Inwieweit dieser spannende neue Ansatz bei Patienten funktioniert, wird derzeit noch untersucht“.