Für Patienten mit einer schweren, therapieresistenten Depression gibt es möglicherweise bald eine neue Behandlungsmöglichkeit. In einer vierjährigen Studie profitierten sieben von acht Patienten von einer Tiefenhirnstimulation. Vier der Patienten wurden geheilt.
Gegen schwere Depressionen existieren verschiedene therapeutische Ansätze: medikamentöse und/oder psychotherapeutische Behandlungen, sowie Stimulationsverfahren wie die Elektrokrampftherapie. Doch bei manchen Patienten schlägt keine dieser Therapieoptionen an – sie gelten als austherapiert. Nicht selten beenden diese Menschen aufgrund der anhaltenden Hoffnungslosigkeit ihr Leben selbst.
Ärzte der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg konnten nun in einer Langzeitstudie zeigen, dass auch diesen Menschen geholfen werden kann. Das Freiburger Therapieverfahren beruht auf einer Tiefenhirnstimulation. Diese Stimulation konnte die Symptome von Patienten mit bislang nicht behandelbaren, schwersten Formen von Depression über mehrere Jahre lindern oder sogar beheben. Etabliert ist das Verfahren bereits bei Parkinson-Patienten, wo die Hirnstimulation bereits seit Jahren als Standardverfahren gegen Bewegungsstörungen erfolgreich zum Einsatz kommt. https://youtu.be/lZPB2TKUhYE
An der kleinen Langzeit-Studie nahmen acht Patienten teil. Alle litten an einer bisher nicht therapierbaren schweren Depression, die bereits zwischen drei und elf Jahre dauerhaft anhielt. Diesen Patienten implantierten die Freiburger Ärzte in einer jeweils achtstündigen, komplizierten Operation über ein Loch in der Schädeldecke dünne Elektroden ins Gehirn, mit denen sich der superolaterale Zweig des medialen Vorderhirnbündels, der für die Wahrnehmung von Freude verantwortlich sind, stimulieren lässt. Diese Hirnregion ist auch wichtig für die allgemeine Motivation und damit für die Lebensqualität des Patienten. https://youtu.be/zDvrhyxBL3g Der Stimulator ähnelt einem Herzschrittmacher. Er sendet kontinuierlich leichte, elektrische Impulse von 3 bis 5 Volt in die entsprechende Region des Gehirns. Nach der Implantation wird die Hirnstimulation in einem etwa achtwöchigen Verfahren genau an den Patienten angepasst.
Den Erfolg der Hirnstimulation bewerteten die Ärzte alle vier Wochen mit der etablierten Montgomery-Asberg Rating Scale (MARDS), einem Fragebogen zur Beurteilung der Schwere einer Depression. Die Skala reicht von null bis 60 Punkten; ab 10 Punkten liegt eine Depression vor. Bereits nach vier Wochen sank der MARDS-Wert im Durchschnitt von 30 Punkten auf 12 Punkte ab. Bis zum Ende der Studie nach vier Jahren sank der Wert noch weiter leicht ab. Die Schwelle zur Depression von zehn Punkten unterschritten vier Patienten. Insgesamt hatten sieben der acht behandelten Patienten bei kontinuierlicher Stimulation bis zum Beobachtungszeitpunkt nach vier Jahren anhaltende Verbesserungen der Symptome. Die Therapie blieb über die gesamte Zeit gleich wirksam. Die Freiburger Ärzte stimulierten mit Elektroden eine Region im Gehirn, die an der Wahrnehmung von Freude beteiligt ist. Dadurch wurde die Depression bei sieben der acht behandelten Patienten gelindert. © Universitätsklinikum Freiburg „Andere Therapieformen verlieren oft im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit. Damit ist die Tiefenhirnstimulation ein vielversprechender Ansatz für Menschen mit bisher nicht behandelbarer Depression“, so Studienleiter und Psychiater Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.
Bei manchen Patienten löste die Hirnstimulation kurzzeitig eine verschwommene Sicht oder Doppelbilder aus. Diese Sehstörungen konnten die Ärzte jedoch beheben, indem sie die Stimulus-Stärke anpassten. Die antidepressive Wirkung der Stimulation wurde dadurch nicht beeinflusst. Keiner der Patienten erlitt Persönlichkeitsveränderungen, Denkstörungen oder andere Nebenwirkungen. https://youtu.be/Jk0TGTdCXgQ?list=PLvYsWUkysynZyS6lkEmLLQbeaspXwMmXs Studienleiter und Psychiater Thomas Schläfer sagte gegenüber dem SWR: „Es ist schon etwas Unglaubliches, dass bei diesen schwerstkranken Patienten eine relativ einfache Stimulation, die kaum Nebenwirkungen hat, diesen Effekt gezeigt hat und das über vier Jahre. Das denke ich, ist schon ein Durchbruch."
Volker Coenen, Neurochirurg an der Uniklinik Freiburg, geht davon aus, dass sich die Tiefenhirnstimulation bei schwer depressiven Menschen ohne weitere Therapieoptionen als Standardverfahren durchsetzen könnte. Dazu müssten sich die vielversprechenden Ergebnisse der ersten Langzeitstudie allerdings in der Anfang 2017 angelaufenen, fünfjährigen Studie mit 50 Probanden wiederholen. Dann sieht Prof. Coenen die Möglichkeit einer europäischen Registrierung des Therapieverfahrens, nach dem die Therapie auch bei Patienten außerhalb einer klinischen Studie angewendet werden darf.
Bevernick, B.H. et al. Deep brain stimulation to the medial forebrain bundle for depression- long-term outcomes and a novel data analysis strategy. Brain Stimul. 2017 May - Jun;10(3):664-671.