Die WHO hat ihren neuen Tuberkulosebericht vorgelegt. Trotz einiger Erfolge ist das Gesamtfazit ernüchternd. Konstanter Fortschritt vorausgesetzt, ist die Welt von einer globalen Lösung des Tuberkuloseproblems noch ein paar tausend Jahre entfernt.
Etwa seit den neunziger Jahren wurde im Kampf gegen die drei großen globalen Killer, die Infektionskrankheiten Malaria, AIDS und Tuberkulose, massiv finanziell aufgerüstet. Die Etablierung des Global Funds und nicht zuletzt der Eintritt der Bill und Melinda Gates Foundation in das Konzert der Spenderorganisationen haben die Spielregeln nachhaltig geändert. Doch ist der internationale Kraftakt von Erfolg gekrönt? Kommt die Welt einem Sieg gegen HIV, Tuberkelbazillus, Plasmodien und Co wirklich näher?
Tb-Situation global: Auf hohem Niveau stabil
Für das Teilgebiet der Tuberkulosebekämpfung zieht ein neuer WHO-Report eine Zwischenbilanz. Hinter dem nüchternen Titel Global Tuberculosis Control 2010 verbirgt sich Sprengstoff. Die Erfolge, aber auch die Misserfolge des Kampfs gegen die Tb werden offengelegt. Grund für übertriebenen Optimismus liefert das Papier nicht. Vor allem die Tuberkuloseinzidenz ist ziemlich statisch. Im Jahr 2004 lag sie im globalen Mittel bei 142 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen. 2009 waren es 137. Weit über neun Millionen Menschen infizieren sich weiterhin pro Jahr mit Tuberkulose. 1,7 Millionen Menschen sind im Jahr 2009 an dieser Erkrankung gestorben, einer Erkrankung, an der eigentlich kaum jemand sterben müsste. Die WHO schätzt, dass 50.000 bis 100.000 der Todesopfer Kinder sind. Enttäuschend findet der Leiter des Programms Stop Tb der WHO, Mario Raviglione, diese Zahlen, vor allem den nur minimalen Rückgang der Inzidenz: „Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht, brauchen wir noch Jahrtausende, um die Tuberkulose loszuwerden.“ Ravigliones Aussage ist auch vor dem Hintergrund eines inoffiziellen WHO-Ziels zu sehen, wonach die Tuberkulose bis zum Jahr 2050 auszurotten sei. Im Moment deutet wenig daraufhin, dass dieses Ziel realistisch sein könnte.
DOTS ist eine Erfolgsgeschichte
Ein Kernproblem der Tuberkulosebekämpfung ist, dass immer noch viele Millionen Menschen mit Tuberkulose nicht oder viel zu spät diagnostiziert werden und entsprechend unbehandelt und oft infektiös durch die Welt laufen. Der zweite kritische Punkt sind die Koinfektionen mit HIV. „Wer als HIV-Infizierter eine Tuberkulose hat, bei dem gibt es so lange kaum eine Heilungschance, solange er nicht auch effektiv antiretroviral behandelt wird“, erläutert Dr. Nils Billo von der Internationalen Union zur Bekämpfung der Tuberkulose. Tuberkulosetherapie bedeutet also auch HIV-Kontrolle.
Was sich deutlich gebessert hat – und das ist der erfreuliche Teil des WHO-Berichts – ist die Sterblichkeit an Tuberkulose. Wenn es ein Tuberkulosepatient schafft, behandelt zu werden, dann sind seine Aussichten heute dramatisch besser als noch vor einigen Jahren. 86 Prozent der Patienten, die wegen Tb behandelt werden, werden heute geheilt. Das schlägt auf die Sterblichkeit durch: „Die Tuberkulosesterblichkeit ist seit Anfang der 90er Jahre um ein Drittel zurückgegangen“, betont Raviglione. 20 von 100.000 Menschen sterben heute im globalen Mittel an Tuberkulose. 1990 waren es noch 30. Der Grund für diesen Erfolg ist, dass die Therapien heute konsequenter durchgezogen werden. In Fachkreisen hat diese Konsequenz einen Namen: DOTS, oder: „directly observed treatment, short-course“. Wie die Auflösung des Akronyms nahelegt, ist DOTS eine kurze Intensivtherapie, bei der die Einnahme der Tabletten so weit möglich überwacht wird. „Ohne DOTS wären seit den 90er Jahren sechs Millionen Menschen mehr an Tuberkulose gestorben“, unterstreicht Raviglione. Bill Gates-Klone dringend gesucht
Die Zahlen sind erfreulich. Aber wenn die Tuberkulose tatsächlich ausgerottet werden soll, wird DOTS nicht reichen. Alle Eradikationshoffnungen ruhen deswegen auf neuen Impfstoffen. „Die Pipeline ist voll. Es geht jetzt um den Übergang in klinische Studien“, sagt Professor Stefan Kaufmann vom Max Planck-Institut für Infektionsbiologie. Kaufmann und sein Team haben in den letzten Jahren selbst einen Vakzinekandidaten entwickelt. Es handelt sich um eine gentechnisch veränderte Variante der seit nahezu 100 Jahren genutzten BCG-Impfung. Die Phase Ia mit gesunden Freiwilligen wurde in Deutschland ohne Sicherheitsprobleme abgeschlossen. Wenn jetzt auch die Phase Ib-Studie in Südafrika gut verläuft, könnte es bald in die Phase II gehen. Einige therapeutische Impfstoffe für schon infizierte Tuberkulosepatienten befinden sich bereits in der Phase II. Die große Frage ist jetzt, woher das Geld für die diversen Phase III-Studien kommen soll. Die Tuberculosis Vaccine Initiative (TBVI) beziffert den Finanzbedarf bis 2015 auf fast zwei Milliarden US-Dollar – aufs Jahr gerechnet viermal so viel wie derzeit zur Verfügung steht.