Der Umweltschadstoff Acrolein könnte wesentliche Ursache der Multiplen Sklerose sein. Das Toxin ist in Tabakrauch und Autoabgasen enthalten, doch der Körper kann es auch bilden. Potenzielles Therapeutikum ist das Bluthochdruckmedikament Hydralzin.
Acrolein ist nur wenigen Menschen ein Begriff. Andere für den Stoff verwendete Begriffe wie Propenal, Acrylaldehyd oder Aqualin klingen schon giftiger. Er entsteht bei der Oxidation organischer Verbindungen, z.B. bei der Verbrennung von Fetten durch Überhitzung, ist in Dieselautoabgasen und Tabakrauch enthalten. Acrolein ist übel riechend und sehr toxisch.
Aber der Körper kann die Verbindung auch selbst herstellen, wenn durch Verletzungen oder Erkrankungen Nervenzellen geschädigt werden. Acrolein gilt als krebserregend und wirkt nach neuer Erkenntnis auch neurotoxisch.
Oxidativer Stress als Hauptursache der MS
Riyi Shi, Neurowissenschaftler an der Purdue Universität, und seine Mitarbeiter fanden bei Mäusen mit einer experimentell erzeugten autoimmunen Enzephalomyelitis um 60 Prozent erhöhte Acroleinwerte im Gewebe des Rückenmarks. Sie vermuten, dass es sich bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) nicht anders verhält.
Sie teilen mit vielen anderen Experten die Meinung, dass oxidativer Stress die Hauptursache von MS ist. Dies bestätigt eine Vielzahl von Studien und Analysen zum Thema. Demnach bilden primär Makrophagen exzessive Mengen an reaktivem Sauerstoff, der als Mediator der Demyelinisierung und axonalen Schädigung bei MS gilt. Freie Radikale schädigen Zellbestandteile wie Lipide, Proteine und Nukleinsäuren mit der Folge des Zelluntergangs. Der Schaden vergrößert sich wahrscheinlich durch das gemeinsame Auftreten der geschwächten zellulären antixodativen Abwehr im zentralen Nervensystem und der Vulnerabilität gegenüber oxidativem Stress. Eine effektive antioxidative Therapie könnte die Lösung sein, so die Vermutung.
Hydralazin als Radikalfänger
Acrolein unterhält offenbar den oxidativen Stress, indem es die Produktion freier Radikale induziert. Doch das Gift lässt sich relativ mühelos unschädlich machen. Bereits in früheren Studien hatten Shi und Kollegen herausgefunden, dass Hydralazin dem Tod von Nervenzellen durch Acrolein entgegen wirkt. Hydralazin ist nicht nur ein Gefäßdilatator, sondern auch ein Radikalfänger. Es bindet an Acrolein und neutralisiert das Gift. Bei den an MS erkrankten Tieren verzögerte Hydralazin den Erkrankungsbeginn und reduzierte die Symptomschwere. Nebenwirkungen blieben aus, auch aufgrund der Tatsache, dass bereits sehr geringe Dosierungen ausreichten, um Acrolein zu binden.
Dies steigert bei den Forschern die Hoffnung, bald neue neuroprotektive Behandlungen entwickeln zu können, die schnell in die Klinik Eingang finden. Nach der Therapie mit oralem Hydralazin konnten die Forscher eine Halbierung der Acroleinwerte bei den MS-kranken Mäusen beobachten. Hydralazin wäre möglicherweise auch für eine Langzeittherapie von MS-Patienten geeignet.
Weitere Untersuchungen geplant
Dass Hydralazin ein effektiver Radikalfänger ist und Acrolein bindet, ist bekannt und bereits vor Jahren beispielsweise Gegenstand einer Untersuchung australischer Wissenschaftler. Eine andere Forschergruppe hatte unlängst bewiesen, dass Acrolein auch Leberzellen schädigt. Auch hier war Hydralazin wirksam.
Weitere Untersuchungen sollen nun der Identifikation weiterer Substanzen dienen, die an Acrolein binden, sowie der Verbesserung der Sensitivität von Untersuchungsmethoden zur Messung des Toxins bei Patienten mit MS.