Placeboeffekt ist, wenn man dran glaubt. Das glauben zumindest viele medizinische Laien. Stimmt aber nicht. Zumindest ist das Konzept grob unvollständig. Eine Studie bei Reizdarmpatienten zeigt, dass Placebos auch dann wirken, wenn die Patienten aufgeklärt werden.
„Bauchweh? Essen Sie doch einfach dieses Zuckerpillchen. Ist zwar nichts drin, das wirken könnte, aber macht nichts.“ Das ist, in pointierter Kurzfassung, das Konzept einer klinischen Studie, deren Ergebnisse pünktlich zu Weihnachten in der Fachzeitschrift PLoS ONE publiziert wurden. Die Untersuchung adressiert ein ethisches Problem, das manche Leute mit dem Einsatz von Placebos haben: die Tatsache nämlich, dass den Patienten dabei ein X für ein U vorgemacht wird. Es sei doch unethisch, so geht die Argumentation, die unter anderem in einigen christlichen Kreisen sehr populär ist, einem kranken Menschen zu erzählen, er erhalte ein wirksames Medikament, obwohl das gar nicht der Fall ist.
Placebo ist doppelt so gut wie nichts
Diese Argumentation ist offensichtlich etwas schräg, weil Patienten zumindest in klinischen Placebostudien ja explizit darauf hingewiesen werden, dass sie eventuell Placebos erhalten. Aber es soll ja Apotheker und Ärzte geben, die mit dem Placeboeffekt auch im Alltag gezielt spielen. Wie dem auch sei, der Ex-Hippie Professor Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School hat sich des Themas jetzt offensiv angenommen und in seiner Studie den Teilnehmern ganz offen gesagt, dass sie nur ein Zuckerpillchen erhalten, in welchem definitiv nichts Heilsames drin ist. Konkret nahmen an Kaptchuks Studie 80 Patienten mit Reizdarmsyndrom teil, die entweder besagtes Placebo bekamen, das sie zweimal täglich einnehmen mussten oder – nichts.
„Wir machten den Patienten eindeutig klar, dass die Pillen keinen Wirkstoff enthielten. Wir haben außerdem auch noch gut sichtbar das Wort Placebo auf die Verpackung gedruckt“, so Kaptchuk. Den Patienten wurde auch gesagt, dass sie gar nicht erst versuchen sollten, an die Wirksamkeit der Pillen zu glauben. Sie sollten sie einfach nur nehmen. Fertig. Das ganze Projekt lief über drei Wochen. Am Ende dieses Zeitraums stand die Frage, wie sich die Reizdarmsymptomatik in den beiden Gruppen entwickelt hat. Das Ergebnis kann nach dem bisher geschilderten nicht mehr überraschen: In der Gruppe, in der bewusst und offen ein Placebo eingesetzt wurde, berichteten 59 Prozent der Patienten bei standardisierter Befragung über eine Verbesserung der Reizdarmsymptome. In der Kontrollgruppe ohne Placebo waren es 35 Prozent.
Das Ritual als Wirkprinzip
Kaptchuk betont, dass er vorher selbst nicht daran geglaubt hatte, dass es funktionieren würde. Ein Blick in die Literatur zum Placeboeffekt zeigt freilich, dass das Ergebnis durchaus hätte erwartet werden können. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil beruht der Placeboeffekt nämlich nicht nur auf Autosuggestion, also darauf, dass die Patienten schön feste an ihre Therapie glauben. Autosuggestion ist nur eine Komponente des Placeboeffekts, die aber nicht ausreicht, um den Effekt vollständig zu erklären. Gegen die Interpretation des Placeboeffekts als reine Autosuggestion sprach und spricht unter anderem die Tatsache, dass er bei einer ganzen Reihe von Tieren nachgewiesen wurde und dass er auch bei kleinen Kindern funktioniert, dort sogar sehr ausgeprägt.
Höhere Abstraktionsleistungen sind für den Placeboeffekt also nicht zwingend erforderlich. Was aber dann? Wahrscheinlich geht es auch um Lernvorgänge, die auf niedrigeren Bewusstseinsebenen und/oder unterbewusst ablaufen. Bei Tieren ist es unter anderem die aus dem Biologieunterricht bekannte Konditionierung, die nach entsprechenden Vorerfahrungen einen Placeboeffekt auslösen kann. Konditionierungsvorgänge könnten auch das Ergebnis von Kaptchuks Studie erklären, wobei eine Konditionierung beim Menschen auch komplexer ablaufen kann als die sehr mechanischen Vorgänge der klassischen Konditionierung, die aus Tierversuchen sattsam bekannt sind. Kaptchuk jedenfalls glaubt an einen solchen komplexen Konditionierungsprozess: „Die Ergebnisse legen nahe, dass es um mehr geht als um positives Denken. Schon allein das Praktizieren eines medizinischen Rituals scheint einen nachweisbaren Effekt zu haben.“