Einst als seltenes Phänomen in Lehrbüchern beschrieben, hat sich Asthma innerhalb von 100 Jahren zum Massenleiden entwickelt. Allein für Deutschland schätzen Pneumologen, dass sich zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung mit der Krankheit quälen. Leitliniengerechte Therapien können das Fortschreiten stoppen – eine Heilung ist aber noch Zukunftsmusik.
Reagieren Zellen des Immunsystems unverhältnismäßig stark auf harmlose Stoffe, können Krankheiten entstehen. Beim allergischen Asthma spielen vor allem Mastzellen, eine Spezies des Immunsystems, die zentrale Rolle. Durch Antikörper sensibilisiert, setzen sie Botenstoffe frei. Im umgebenden Gewebe kommt es dann zu heftigen Reaktionen sowie zur Einwanderung von weiteren Entzündungszellen. „Insbesondere die Hemmung einer Mastzellaktivierung könnte eine versprechende neue Interventionsstrategie zur Behandlung von Patienten mit allergischem Asthma darstellen“, hofft Privatdozent Dr. Christian Taube von der Uni Mainz.
Spurensuche im Labor
Auf der Jagd nach den genetischen Ursachen hat ein internationales Konsortium 10.000 Asthmatiker und 16.000 gesunde Menschen untersucht. In der Tat konnten sechs relevante Genorte mit Informationen über Entzündungsvorgänge in den Atemwegen gefunden werden. Diese beeinflussten zwar die Erkrankung, nicht jedoch allergierelevante Antikörper.
Gene allein gelten aber nur als die halbe Wahrheit. Erst durch das Wechselspiel mit Umwelteinflüssen entstehen Krankheiten. Bestes Beispiel ist der unfreiwillige Tabakkonsum – kürzlich wieder von der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgegriffen. In einer neuen Studie kam die Gruppe um Dr. Annette Prüss-Üstün zu dem Schluss, dass weltweit etwa 36.900 Menschen pro Jahr durch Passivrauchen an Asthma sterben. „Die Durchsetzung strenger Anti-Raucher-Gesetze könnte vermutlich die Zahl der Todesfälle, die dem Passivrauchen zugerechnet werden, schon im ersten Jahr ihres Inkrafttretens deutlich zurückgehen lassen“, so die Autorin. Dem klinischen Nutzen entsprechender Maßnahmen ging Dr. Daniel Mackay aus Glasgow anhand junger Notfallpatienten nach. Normalerweise wurden in ganz Schottland zirka 200 Kinder pro Monat aufgrund akuter asthmatischer Probleme in den Kliniken vorstellig. Allein durch ein strenges Rauchverbot sank diese Zahl auf etwa 120 kleine Patienten im gleichen Zeitraum.
Vorbeugen auf dem Bauernhof
Doch kann die Umwelt auch schützen, wie der „Bauernhofeffekt“ zeigt – Kinder aus landwirtschaftlichen Betrieben erkranken nachweislich seltener an Asthma als der Nachwuchs aus der Stadt. Eine Arbeitsgruppe der Uni Bayreuth schreibt die protektive Wirkung speziellen Mikroorganismen, so genannten Mykobakterien, zu. Der Projektleiter Dr. Oliver Kreß und sein Team wiesen diese Spezies in diversen Stallungen nach – je älter der Raum, desto mehr Mykobakterien lagen vor. Und Bochumer Pneumologen interpretieren diesen Effekt als Wirkung von Arabinogalactanen, speziellen zuckerartigen Verbindungen. Diese kommen in Pflanzen vor, sind aber auch Bestandteile der Zellwand von Mykobakterien. Im Tierversuch hielt die Substanz das Immunsystem unter Kontrolle.
„Es hat sich gezeigt, dass die dendritischen Zellen, die den Immunzellen schädliche Eindringlinge präsentieren, so dass diese dagegen vorgehen, in Anwesenheit von Arabinogalaktan ihr Verhalten ändern“, erklärt der Immunologe Dr. Marcus Peters von der Ruhr Universität Bochum. „Sie produzieren dann einen bestimmten Botenstoff, der die Immunreaktion dämpft.“ Prinzipiell hat der zuckerartige Stoff nur einen Effekt auf die allzu große Aktivität des Immunsystems gegen harmlose Eindringlinge, nicht aber auf die Reaktion bei Krankheitserregern.
Asthma oder nicht Asthma, das ist hier die Frage
Vom geringen Beklemmungsgefühl beim Atmen über Husten bis hin zur hochgradigen Atemnot: Asthma versteckt sich hinter vielen Symptomen. Als diagnostischer Standard hat sich die Spirometrie bewährt. Pneumologen erfassen dabei das Volumen an Luft, das in einer Sekunde maximal ausgeatmet werden kann, sowie den maximalen Wert des Atemstroms in Volumen pro Zeit, detailliertere Messungen können folgen.
Gerade bei Kindern bieten ausgeatmete Stickoxide einen wertvollen Hinweis auf ein Asthmaleiden, wie Pädiater jetzt an der University of Southern California in Los Angeles, USA, nachweisen konnten. Junge Patienten, die große Mengen dieser Gase ausatmeten, hatten ein mehr als doppelt so hohes Risiko, in späteren Jahren an Asthma zu erkranken. Dabei könnten die verräterischen Moleküle durch Entzündungsprozesse in den inneren Wandungen der Atemwege entstehen, so die Hypothese. Die Methode wäre geeignet, in Zukunft auch Risikokinder ohne familiäre Vorbelastung schnell und sicher zu identifizieren.
Stufenweise zur Beschwerdefreiheit
Ist die Krankheit erst einmal diagnostiziert, bringt eine leitliniengerechte, fünfstufige Therapie den größten Erfolg. Während leichte Symptome, sprich Stufe 1, nur eine Bedarfsmedikation mit rasch wirksamen Beta-2-Sympathomimetika erfordern, sieht die Empfehlung bei Stufe 2 inhalative Corticosteroide vor, die bei Stufe 3 bzw. 4 noch durch verschieden dosierte lang wirksame Beta-2-Sympathomimetika ergänzt werden. In Stufe 5 stocken Pneumologen mit oralen Corticosteroiden auf. Auch der Hemmstoff Montelukast (Stufe 4) bzw. der monoklonale Antikörper Omalizumab (Stufe 5) leisten bei schweren Verlaufsformen einen wertvollen Beitrag. Und ab Stufe 2 können rasch wirksame, inhalative Beta-2-Sympathomimetika bei Bedarf ergänzt werden.
Das Beta-2-Sympathomimetikum Salmeterol steht schon lange im Verdacht, die Sterblichkeit von Asthmapatienten zu erhöhen. Angesichts der diffusen Datenlage nahmen Ärzte der Londoner Universität 26 Studien mit Salmeterol versus Placebo sowie acht Studien, die Salmeterol und Salbutamol gegenüber stellten, unter die Lupe. Insgesamt standen Daten von 62.630 Personen mit Asthma zur Verfügung, einschließlich 2.380 Kinder. Das Ergebnis: In der Tat konnten die Autoren ein erhöhtes Risiko der Salmeterol-Therapie nachweisen. Aber auch inhalative Corticoide führten zu einem leichten Anstieg der Mortalität. Trotz einzelner Hinweise ließ sich aber nicht statistisch signifikant belegen, dass die Kombination von Salmeterol und inhalativen Steroiden alle Risiken aus der Welt schafft.
Gerade Raucher sprechen ohnehin schlecht auf inhalative Corticoide an. Hier scheint die zusätzliche Gabe von Theophyllin einen gewissen Mehrwert zu bieten, wie eine Pilotstudie mit 68 Teilnehmern ergab. Die Kombinationsgruppe zeigte deutlich bessere Lungenparameter als die Patienten, die nur das Corticoid erhielten. Tiotropiumbromid ist nur zur Therapie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zugelassen. Eine US-amerikanische Studie untersuchte kürzlich, inwieweit auch Asthmatiker von der Substanz profitieren. Ausgewählt wurden dabei Patienten, bei denen die inhalativen Steroide allein das Krankheitsbild nicht kontrollieren konnten. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Tiotropiumbromid zusammen mit inhalativen Corticosteroiden der Therapie mit lang wirksamen Beta-2-Sympathomimetika zu entsprechen scheint. Hier bestehen aber noch einige Zweifel. Der Lungenfacharzt Prof. Dr. Dieter Köhler vom Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft im nordrhein-westfälischen Schmalberg sieht den Kritikpunkt vor allem in der Auswahl der Patienten. Er vermutet bei etlichen der Studienteilnehmer zusätzlich eine COPD. Mit einer Zahl von 210 Patienten sei die Studie außerdem zu klein, um daraus eine generelle Therapieempfehlung für Asthmapatienten ableiten zu können.
Neue Impulse hat die Arbeitsgruppe um Stephen Liggetts an der Universität von Maryland, USA, gemacht. Sie fanden spezielle Andockstellen auf den glatten Muskelzellen der Bronchien. Diese gleichen Rezeptoren im Mund, welche den Sinneseindruck „bitter“ vermitteln. Verabreichten die Ärzte ein Aerosol mit Bitterstoffen wie Chloroquin, beobachteten sie eine dreimal stärkere Relaxation als bei den üblichen Beta-2-Agonisten.
Nachsitzen für die Asthma-Therapie?
Neben der reinen Arzneimitteltherapie empfehlen die Leitlinien eine Schulung der Asthmatiker. „Mehr Wissen der Patienten verbessert in erster Linie deren Lebensqualität“, unterstreicht Nik Koneczny von der Universität Witten/Herdecke. Und genau da liegt das Manko – für viele Patienten ist ihre Erkrankung immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Das hat vor rund einem Jahr eine Befragung von 750 Allianz-Versicherten mit Asthma bronchiale gezeigt. Koneczny: „Gerade evidenzbasierte Patienteninformationen sind dazu geeignet, Informationsdefizite auszugleichen und damit nicht nur das Leben mit Asthma zu erleichtern, sondern auch Komplikationen, Folgeerkrankungen und Notfallereignisse zu vermindern.“
Die zweite Überraschung: „Ein großer Teil der Befragten wird nicht oder nur teilweise leitlinienbasiert therapiert“, kritisiert Dr. Cornelia Schürer-Maly von den Universitätskliniken Düsseldorf. Dabei könnte die entsprechende Versorgung viel bewirken. Auf Grundlage von knapp neun Millionen Versichertendaten der TK und der DAK haben die Uni Bayreuth und die Unternehmensberatung Oberender & Partner entsprechende Datensätze im Auftrag des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VfA) unter rein volkswirtschaftlichen Aspekten analysiert. Ihr Fazit: Speziell bei Asthma, das innerhalb der chronischen Erkrankungen die meisten Krankheitstage verursacht, ließen sich Fehlzeiten bei leitliniengerechter Therapie um bis zu 76 Prozent verringern.